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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Häuschen hat, wo -- ach, was erzähle ich dir da, Kleine! Ich bin nicht
eifersüchtig, ich freue mich vielmehr, daß sich seine Exzellenz der Graf manch¬
mal von dem Zusammenleben mit mir erholt. Früher habe ich allerdings ge¬
hofft, er würde etwas freundlicher gegen mich werden -- ich war sehr jung
und fühlte mich einsam. Allmählich aber habe ich mich an seine Kälte ge¬
wöhnt. Er ist eben Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle und kann nicht
heucheln. Aber er verlangt auch nicht, daß ich mich seinetwegen genire. Des¬
halb führen wir jetzt eine sehr glückliche Ehe, eine Mnstcrehe.

Die Gräfin lachte wieder, aber etwas wehmütiger, und Fräulein Ahlborn
redete ihr leise zu: Euer Gnaden sollten sich nicht aufregen!

Lassen Sie sich sofort Ihren Lohn auszahlen! rief die Gräfin. Was
sollte mich aufregen? Spreche ich nicht alle Tage mit meiner Corisande?
Allerdings -- sie sah nachdenklich in den Himmel --, es kommt mir vor, als
hätte ich die Kleine eine Woche lang nicht gesehen. Oder ist mir nur die Zeit
so lang geworden? Weshalb kamst dn nicht, Kleine? Oder hatte ich so viel
zu thun? Da war der Ball beim Erbprinzen, das Fest beim österreichischen
Gesandten, die Ausfahrt mit den Engländern, und dann die große Gesellschaft
dir zu Ehren. Da sah ich dich doch mundi Dn und dein Alfred, ihr wäret
ja die Hauptpersonen! Der Graf ist eine liebenswürdige Erscheinung, und es
hat den Anschein, als wenn du an ihn ein kleines Stück deines Herzens ver¬
loren hättest. Nur kein großes Stück, liebe Kleine! das wäre nicht gut und
würde dir nur Schmerzen machen. Das Leben aber ist zu kurz, sich mit
Gramm aufzuhalten. Weine also nicht, Corisande, wenn Alfred einmal andre
Wege geht, als du denkst. Mein Gott, es braucht kein Hänschen in der Vor¬
stadt zu sein. Aber er ist eigentümlich angelegt, und es wäre schon möglich
-- erschrick nicht, es wäre ja möglich --, daß er sein Herz verschenkt Hütte,
ohne dich zu fragen. So etwas kommt vor, Kleine, und du wirst dich auch
trösten. Bedenke doch, wie lustig wir in der Residenz leben, und wie schön
die Feste beim Erbprinzen sind! Auch der alte König, wenn er auch schlechte
Manieren hat, so verdirbt er doch niemandem die Freude. Ahlborn, ein
Glas Champagner!

Gehorsam brachte die Gesellschafterin das frischgefüllte Glas an den zit¬
ternden Mund der Gräfin, und diese trank hastig. Dann ließ sie es ruhig
geschehen, daß ihr Frnnlein Ahlborn den Kopf in die Kissen drückte. Sie
war müde geworden. Einmal noch griff sie nach den Jasminblüten, die von
den Büschen herabhingen, dann schloß sie die Angen und schlief fest ein.

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Häuschen hat, wo — ach, was erzähle ich dir da, Kleine! Ich bin nicht
eifersüchtig, ich freue mich vielmehr, daß sich seine Exzellenz der Graf manch¬
mal von dem Zusammenleben mit mir erholt. Früher habe ich allerdings ge¬
hofft, er würde etwas freundlicher gegen mich werden — ich war sehr jung
und fühlte mich einsam. Allmählich aber habe ich mich an seine Kälte ge¬
wöhnt. Er ist eben Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle und kann nicht
heucheln. Aber er verlangt auch nicht, daß ich mich seinetwegen genire. Des¬
halb führen wir jetzt eine sehr glückliche Ehe, eine Mnstcrehe.

Die Gräfin lachte wieder, aber etwas wehmütiger, und Fräulein Ahlborn
redete ihr leise zu: Euer Gnaden sollten sich nicht aufregen!

Lassen Sie sich sofort Ihren Lohn auszahlen! rief die Gräfin. Was
sollte mich aufregen? Spreche ich nicht alle Tage mit meiner Corisande?
Allerdings — sie sah nachdenklich in den Himmel —, es kommt mir vor, als
hätte ich die Kleine eine Woche lang nicht gesehen. Oder ist mir nur die Zeit
so lang geworden? Weshalb kamst dn nicht, Kleine? Oder hatte ich so viel
zu thun? Da war der Ball beim Erbprinzen, das Fest beim österreichischen
Gesandten, die Ausfahrt mit den Engländern, und dann die große Gesellschaft
dir zu Ehren. Da sah ich dich doch mundi Dn und dein Alfred, ihr wäret
ja die Hauptpersonen! Der Graf ist eine liebenswürdige Erscheinung, und es
hat den Anschein, als wenn du an ihn ein kleines Stück deines Herzens ver¬
loren hättest. Nur kein großes Stück, liebe Kleine! das wäre nicht gut und
würde dir nur Schmerzen machen. Das Leben aber ist zu kurz, sich mit
Gramm aufzuhalten. Weine also nicht, Corisande, wenn Alfred einmal andre
Wege geht, als du denkst. Mein Gott, es braucht kein Hänschen in der Vor¬
stadt zu sein. Aber er ist eigentümlich angelegt, und es wäre schon möglich
— erschrick nicht, es wäre ja möglich —, daß er sein Herz verschenkt Hütte,
ohne dich zu fragen. So etwas kommt vor, Kleine, und du wirst dich auch
trösten. Bedenke doch, wie lustig wir in der Residenz leben, und wie schön
die Feste beim Erbprinzen sind! Auch der alte König, wenn er auch schlechte
Manieren hat, so verdirbt er doch niemandem die Freude. Ahlborn, ein
Glas Champagner!

Gehorsam brachte die Gesellschafterin das frischgefüllte Glas an den zit¬
ternden Mund der Gräfin, und diese trank hastig. Dann ließ sie es ruhig
geschehen, daß ihr Frnnlein Ahlborn den Kopf in die Kissen drückte. Sie
war müde geworden. Einmal noch griff sie nach den Jasminblüten, die von
den Büschen herabhingen, dann schloß sie die Angen und schlief fest ein.

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[0454] Häuschen hat, wo — ach, was erzähle ich dir da, Kleine! Ich bin nicht eifersüchtig, ich freue mich vielmehr, daß sich seine Exzellenz der Graf manch¬ mal von dem Zusammenleben mit mir erholt. Früher habe ich allerdings ge¬ hofft, er würde etwas freundlicher gegen mich werden — ich war sehr jung und fühlte mich einsam. Allmählich aber habe ich mich an seine Kälte ge¬ wöhnt. Er ist eben Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle und kann nicht heucheln. Aber er verlangt auch nicht, daß ich mich seinetwegen genire. Des¬ halb führen wir jetzt eine sehr glückliche Ehe, eine Mnstcrehe. Die Gräfin lachte wieder, aber etwas wehmütiger, und Fräulein Ahlborn redete ihr leise zu: Euer Gnaden sollten sich nicht aufregen! Lassen Sie sich sofort Ihren Lohn auszahlen! rief die Gräfin. Was sollte mich aufregen? Spreche ich nicht alle Tage mit meiner Corisande? Allerdings — sie sah nachdenklich in den Himmel —, es kommt mir vor, als hätte ich die Kleine eine Woche lang nicht gesehen. Oder ist mir nur die Zeit so lang geworden? Weshalb kamst dn nicht, Kleine? Oder hatte ich so viel zu thun? Da war der Ball beim Erbprinzen, das Fest beim österreichischen Gesandten, die Ausfahrt mit den Engländern, und dann die große Gesellschaft dir zu Ehren. Da sah ich dich doch mundi Dn und dein Alfred, ihr wäret ja die Hauptpersonen! Der Graf ist eine liebenswürdige Erscheinung, und es hat den Anschein, als wenn du an ihn ein kleines Stück deines Herzens ver¬ loren hättest. Nur kein großes Stück, liebe Kleine! das wäre nicht gut und würde dir nur Schmerzen machen. Das Leben aber ist zu kurz, sich mit Gramm aufzuhalten. Weine also nicht, Corisande, wenn Alfred einmal andre Wege geht, als du denkst. Mein Gott, es braucht kein Hänschen in der Vor¬ stadt zu sein. Aber er ist eigentümlich angelegt, und es wäre schon möglich — erschrick nicht, es wäre ja möglich —, daß er sein Herz verschenkt Hütte, ohne dich zu fragen. So etwas kommt vor, Kleine, und du wirst dich auch trösten. Bedenke doch, wie lustig wir in der Residenz leben, und wie schön die Feste beim Erbprinzen sind! Auch der alte König, wenn er auch schlechte Manieren hat, so verdirbt er doch niemandem die Freude. Ahlborn, ein Glas Champagner! Gehorsam brachte die Gesellschafterin das frischgefüllte Glas an den zit¬ ternden Mund der Gräfin, und diese trank hastig. Dann ließ sie es ruhig geschehen, daß ihr Frnnlein Ahlborn den Kopf in die Kissen drückte. Sie war müde geworden. Einmal noch griff sie nach den Jasminblüten, die von den Büschen herabhingen, dann schloß sie die Angen und schlief fest ein. sSchlujz fol»t)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/454>, abgerufen am 27.11.2024.