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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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laut sang, so öffnete sie wohl die Augen und blickte nach oben. Dann sah
sie auch den blühenden Jasminbusch, unter dem sie saß, und atmete seinen
Duft ein.

Plötzlich hörte sie Schritte neben sich, und als sie neugierig den Kopf
wandte, richtete sie sich gerade in die Höhe. Einen Augeuölick war sie stumm,
dann stieß sie einen Laut des Entzückens aus.

Corisaude! Du bist es! Ach, ich wußte es ja, daß du heute kommen
würdest! Ich wußte es!

Liebkosend strich ihre welke Hand über das gesenkte blonde Haupt der
jungen Fremden.

Ich wußte es! wiederholte sie noch einmal triumphirenden Tones.
Wenn meine Corisande zwei oder drei Tage verstreichen läßt, ohne mich zu
besuchen, dann finde ich es ganz entsetzlich. Ich kann es nicht aushalten,
Kleine, gerade jetzt nicht. Du weißt, meine Nerven haben gelitten durch die
bösen Träume der letzten Zeit! Die bösen Träume!

Sie seufzte und winkte dann. Ahlbvru, einen Stuhl für das gnädige
Fräulein!

Gehorsam setzte sich das Mädchen auf einen Sessel, den die alte Gesell¬
schafterin eilig herbeiholte, sah aber ängstlich um sich.

Fräulein Ahlborn legte ihr beruhigend die Hand auf deu Arm und flüsterte:
Jhro Gnaden halten Sie für Corisande, für Fräulein Corisande. Lange schon
verlangte sie nach Ihnen!

Wie überwältigt vor Freude hatte sich die alte Gräfin wieder in ihren
Stuhl zurückgelegt. Die letzten Worte Fräulein Ahlborns hatte sie gehört,
und sie nickte eifrig. Ja, Kleine, ich verlangte nach dir; obgleich Ahlborn noch
so jung und unerfahren ist, so hat sie doch für meine Sehnsucht ein wenig
Verständnis gezeigt. Aber du wirst nur darin beistimmen, daß ich sie bald
entlasse. Sie paßt nicht für mich. Meine Gesellschafterin muß eine gesetztere
Person sein!

Hastig griff die Gräfin nach dein Champagnerglase und that einen kräf¬
tigen Zug. Wo ist Corisandens Glas, Ahlborn? rief sie ungeduldig. Sie
wissen doch, daß sie gern Champagner trinkt, wenn auch nicht so gern wie
ich. Nun ja, wenn man Braut ist und jünger als ich, daun muß man die
Dehors wahren! Sieben Jahre bist du jünger als ich, nicht wahr, .Kleine?
Deshalb habe ich auch immer versucht, dich zu behüten und zu bemuttern!

Die Gräfin lachte plötzlich. Nun, sehr viel Anlage habe ich eigentlich
nicht zum Vernünftigsein. Mein Herz -- sie machte eine Bewegung, als wenn
sie körperlichen Schmerz empfände, dann lachte sie wieder und hielt ihr
leeres Glas der Gesellschafterin hin.

Euer Gnaden sollten nicht so viel sprechen, sagte diese, indem sie die
Flasche aus dem Eiskübel nahm und vorsichtig das Glas füllte.


laut sang, so öffnete sie wohl die Augen und blickte nach oben. Dann sah
sie auch den blühenden Jasminbusch, unter dem sie saß, und atmete seinen
Duft ein.

Plötzlich hörte sie Schritte neben sich, und als sie neugierig den Kopf
wandte, richtete sie sich gerade in die Höhe. Einen Augeuölick war sie stumm,
dann stieß sie einen Laut des Entzückens aus.

Corisaude! Du bist es! Ach, ich wußte es ja, daß du heute kommen
würdest! Ich wußte es!

Liebkosend strich ihre welke Hand über das gesenkte blonde Haupt der
jungen Fremden.

Ich wußte es! wiederholte sie noch einmal triumphirenden Tones.
Wenn meine Corisande zwei oder drei Tage verstreichen läßt, ohne mich zu
besuchen, dann finde ich es ganz entsetzlich. Ich kann es nicht aushalten,
Kleine, gerade jetzt nicht. Du weißt, meine Nerven haben gelitten durch die
bösen Träume der letzten Zeit! Die bösen Träume!

Sie seufzte und winkte dann. Ahlbvru, einen Stuhl für das gnädige
Fräulein!

Gehorsam setzte sich das Mädchen auf einen Sessel, den die alte Gesell¬
schafterin eilig herbeiholte, sah aber ängstlich um sich.

Fräulein Ahlborn legte ihr beruhigend die Hand auf deu Arm und flüsterte:
Jhro Gnaden halten Sie für Corisande, für Fräulein Corisande. Lange schon
verlangte sie nach Ihnen!

Wie überwältigt vor Freude hatte sich die alte Gräfin wieder in ihren
Stuhl zurückgelegt. Die letzten Worte Fräulein Ahlborns hatte sie gehört,
und sie nickte eifrig. Ja, Kleine, ich verlangte nach dir; obgleich Ahlborn noch
so jung und unerfahren ist, so hat sie doch für meine Sehnsucht ein wenig
Verständnis gezeigt. Aber du wirst nur darin beistimmen, daß ich sie bald
entlasse. Sie paßt nicht für mich. Meine Gesellschafterin muß eine gesetztere
Person sein!

Hastig griff die Gräfin nach dein Champagnerglase und that einen kräf¬
tigen Zug. Wo ist Corisandens Glas, Ahlborn? rief sie ungeduldig. Sie
wissen doch, daß sie gern Champagner trinkt, wenn auch nicht so gern wie
ich. Nun ja, wenn man Braut ist und jünger als ich, daun muß man die
Dehors wahren! Sieben Jahre bist du jünger als ich, nicht wahr, .Kleine?
Deshalb habe ich auch immer versucht, dich zu behüten und zu bemuttern!

Die Gräfin lachte plötzlich. Nun, sehr viel Anlage habe ich eigentlich
nicht zum Vernünftigsein. Mein Herz — sie machte eine Bewegung, als wenn
sie körperlichen Schmerz empfände, dann lachte sie wieder und hielt ihr
leeres Glas der Gesellschafterin hin.

Euer Gnaden sollten nicht so viel sprechen, sagte diese, indem sie die
Flasche aus dem Eiskübel nahm und vorsichtig das Glas füllte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/452>, abgerufen am 27.11.2024.