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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Loriscuide

Not, daß sie doch wenigstens etwas Schokolade und Kuchen genossen und sich
eine Weile von den tiefliegenden Augen der alten Dame anstarren ließen.

Sie hatte eine besondre Art, diese jungen Gesichter anzusehen; etwa so,
als wenn sie jemand suchte und nicht finden könnte. Dann murmelte sie un¬
verständliche Worte vor sich hin, schüttelte den Kopf und sah grenzenlos
traurig aus. So traurig, daß selbst das junge Volk, das doch sonst mit dem Alter
wenig Mitleid hat, eine Art Rührung empfand und Fräulein Ahlborn fragte,
was denn die Gräfin suche? Worauf die Gesellschafterin allemal einen tiefen
Seufzer ausstieß und antwortete: Was sie sucht, Kinder? Ich kann es euch
nicht sagen, und ihr würdet die Geschichte auch nicht verstehen. Denn ihr
versteht noch nicht alles, was in dieser argen Welt vorgeht. Wenn ihr aber
einmal alt werden solltet, dann will ich euch mir wünschen, daß ihr niemals so
suchen mögt, wie es meine arme Herrin thut!

Über diese kleine Rede lachten die Jungen immer sehr. Schon deswegen,
weil es ihnen ganz unfaßlich schien, daß sie jemals alt und traurig werden
könnten. Dann huschten sie davon und kamen lauge nicht wieder.

Eines Tags war die alte Gräfin sehr unruhig gewesen und hatte Fräu¬
lein Ahlborn heftig gescholten. Sie langweile sich, behauptete sie mit weiner¬
licher Stimme. Es sei unerträglich, wenn mau jung und schön sei, seine
Jugend so in der Einsamkeit zu vertrauern. Sie wolle Abwechslung haben,
Besuch, heitere Gäste, sonst gehe sie ins Wasser und suche Vergessenheit. Da
sie inzwischen der Gesellschafterin auch wieder kündigte und ihr ihre thörichte
Jugend vorhielt, so hatte diese keinen leichten Stand. Und als die Gräfin
auf ihrem Rollstuhl in den Garten hinausgefahren war -- denn es brütete
ein heißer Sommertag über der kleinen Stadt --, da stellte sich Frnuleiu
Ahlboru an die geöffnete Thür ihres Hauses und blickte seufzend auf die
menschenleere Straße.

Plötzlich fuhr sie zusammen, als wenn sie einen Geist sähe. Und doch
war es kein Geist, sondern ein junges Mädchen, das dicht vor ihr stand und
nachdenklich einen blühenden Rosenbusch betrachtete, der im Vorgarten wuchs,
und dessen schneeweiße Blüten einen feinen Duft ausströmten. Einen Augenblick
stand die Gesellschafterin uuter dem Banne eiues großen Erstaunens. Dann
aber atmete sie wie erleichtert ans, pflückte einige Rosen von dem Strauch,
bot sie der Fremden und stammelte eine Einladung, in den Garten zu kommen.
Auch sah sie so freundlich, so vertrauenerweckend aus, und das Haus war so
einladend kühl, daß sie nicht lange zu bitten brauchte.

Im Garten saß die alte Gräfin und hatte die Augen halb geschlossen.
Sie war ruhiger geworden, nnr ein sehnsuchtsvoller Zug lag auf ihrem Ge¬
sicht, und manchmal fuhr sie empor und lauschte in die Ferne. Ein mit Cham¬
pagner gefülltes Glas stand neben ihr; manchmal führte sie es mit zitternden
Händen an die Lippen und trank einige Tropfen. Wenn ein Vogel besonders


Grenzboten I 1893 5ö
Loriscuide

Not, daß sie doch wenigstens etwas Schokolade und Kuchen genossen und sich
eine Weile von den tiefliegenden Augen der alten Dame anstarren ließen.

Sie hatte eine besondre Art, diese jungen Gesichter anzusehen; etwa so,
als wenn sie jemand suchte und nicht finden könnte. Dann murmelte sie un¬
verständliche Worte vor sich hin, schüttelte den Kopf und sah grenzenlos
traurig aus. So traurig, daß selbst das junge Volk, das doch sonst mit dem Alter
wenig Mitleid hat, eine Art Rührung empfand und Fräulein Ahlborn fragte,
was denn die Gräfin suche? Worauf die Gesellschafterin allemal einen tiefen
Seufzer ausstieß und antwortete: Was sie sucht, Kinder? Ich kann es euch
nicht sagen, und ihr würdet die Geschichte auch nicht verstehen. Denn ihr
versteht noch nicht alles, was in dieser argen Welt vorgeht. Wenn ihr aber
einmal alt werden solltet, dann will ich euch mir wünschen, daß ihr niemals so
suchen mögt, wie es meine arme Herrin thut!

Über diese kleine Rede lachten die Jungen immer sehr. Schon deswegen,
weil es ihnen ganz unfaßlich schien, daß sie jemals alt und traurig werden
könnten. Dann huschten sie davon und kamen lauge nicht wieder.

Eines Tags war die alte Gräfin sehr unruhig gewesen und hatte Fräu¬
lein Ahlborn heftig gescholten. Sie langweile sich, behauptete sie mit weiner¬
licher Stimme. Es sei unerträglich, wenn mau jung und schön sei, seine
Jugend so in der Einsamkeit zu vertrauern. Sie wolle Abwechslung haben,
Besuch, heitere Gäste, sonst gehe sie ins Wasser und suche Vergessenheit. Da
sie inzwischen der Gesellschafterin auch wieder kündigte und ihr ihre thörichte
Jugend vorhielt, so hatte diese keinen leichten Stand. Und als die Gräfin
auf ihrem Rollstuhl in den Garten hinausgefahren war — denn es brütete
ein heißer Sommertag über der kleinen Stadt —, da stellte sich Frnuleiu
Ahlboru an die geöffnete Thür ihres Hauses und blickte seufzend auf die
menschenleere Straße.

Plötzlich fuhr sie zusammen, als wenn sie einen Geist sähe. Und doch
war es kein Geist, sondern ein junges Mädchen, das dicht vor ihr stand und
nachdenklich einen blühenden Rosenbusch betrachtete, der im Vorgarten wuchs,
und dessen schneeweiße Blüten einen feinen Duft ausströmten. Einen Augenblick
stand die Gesellschafterin uuter dem Banne eiues großen Erstaunens. Dann
aber atmete sie wie erleichtert ans, pflückte einige Rosen von dem Strauch,
bot sie der Fremden und stammelte eine Einladung, in den Garten zu kommen.
Auch sah sie so freundlich, so vertrauenerweckend aus, und das Haus war so
einladend kühl, daß sie nicht lange zu bitten brauchte.

Im Garten saß die alte Gräfin und hatte die Augen halb geschlossen.
Sie war ruhiger geworden, nnr ein sehnsuchtsvoller Zug lag auf ihrem Ge¬
sicht, und manchmal fuhr sie empor und lauschte in die Ferne. Ein mit Cham¬
pagner gefülltes Glas stand neben ihr; manchmal führte sie es mit zitternden
Händen an die Lippen und trank einige Tropfen. Wenn ein Vogel besonders


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[0451] Loriscuide Not, daß sie doch wenigstens etwas Schokolade und Kuchen genossen und sich eine Weile von den tiefliegenden Augen der alten Dame anstarren ließen. Sie hatte eine besondre Art, diese jungen Gesichter anzusehen; etwa so, als wenn sie jemand suchte und nicht finden könnte. Dann murmelte sie un¬ verständliche Worte vor sich hin, schüttelte den Kopf und sah grenzenlos traurig aus. So traurig, daß selbst das junge Volk, das doch sonst mit dem Alter wenig Mitleid hat, eine Art Rührung empfand und Fräulein Ahlborn fragte, was denn die Gräfin suche? Worauf die Gesellschafterin allemal einen tiefen Seufzer ausstieß und antwortete: Was sie sucht, Kinder? Ich kann es euch nicht sagen, und ihr würdet die Geschichte auch nicht verstehen. Denn ihr versteht noch nicht alles, was in dieser argen Welt vorgeht. Wenn ihr aber einmal alt werden solltet, dann will ich euch mir wünschen, daß ihr niemals so suchen mögt, wie es meine arme Herrin thut! Über diese kleine Rede lachten die Jungen immer sehr. Schon deswegen, weil es ihnen ganz unfaßlich schien, daß sie jemals alt und traurig werden könnten. Dann huschten sie davon und kamen lauge nicht wieder. Eines Tags war die alte Gräfin sehr unruhig gewesen und hatte Fräu¬ lein Ahlborn heftig gescholten. Sie langweile sich, behauptete sie mit weiner¬ licher Stimme. Es sei unerträglich, wenn mau jung und schön sei, seine Jugend so in der Einsamkeit zu vertrauern. Sie wolle Abwechslung haben, Besuch, heitere Gäste, sonst gehe sie ins Wasser und suche Vergessenheit. Da sie inzwischen der Gesellschafterin auch wieder kündigte und ihr ihre thörichte Jugend vorhielt, so hatte diese keinen leichten Stand. Und als die Gräfin auf ihrem Rollstuhl in den Garten hinausgefahren war — denn es brütete ein heißer Sommertag über der kleinen Stadt —, da stellte sich Frnuleiu Ahlboru an die geöffnete Thür ihres Hauses und blickte seufzend auf die menschenleere Straße. Plötzlich fuhr sie zusammen, als wenn sie einen Geist sähe. Und doch war es kein Geist, sondern ein junges Mädchen, das dicht vor ihr stand und nachdenklich einen blühenden Rosenbusch betrachtete, der im Vorgarten wuchs, und dessen schneeweiße Blüten einen feinen Duft ausströmten. Einen Augenblick stand die Gesellschafterin uuter dem Banne eiues großen Erstaunens. Dann aber atmete sie wie erleichtert ans, pflückte einige Rosen von dem Strauch, bot sie der Fremden und stammelte eine Einladung, in den Garten zu kommen. Auch sah sie so freundlich, so vertrauenerweckend aus, und das Haus war so einladend kühl, daß sie nicht lange zu bitten brauchte. Im Garten saß die alte Gräfin und hatte die Augen halb geschlossen. Sie war ruhiger geworden, nnr ein sehnsuchtsvoller Zug lag auf ihrem Ge¬ sicht, und manchmal fuhr sie empor und lauschte in die Ferne. Ein mit Cham¬ pagner gefülltes Glas stand neben ihr; manchmal führte sie es mit zitternden Händen an die Lippen und trank einige Tropfen. Wenn ein Vogel besonders Grenzboten I 1893 5ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/451>, abgerufen am 27.11.2024.