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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Lorisande

Geschenke, klopften sie auf die Schulter und versicherten sie ihrer unaus¬
löschlichen Dankbarkeit. Diese dankbaren Menschen waren die Enkelkinder der
alten Dame, und für einen Fremden mußte es etwas rührendes haben, wie
sehr sie sich über das lange Leben ihrer Großmutter freuten.

Fräulein Ahlborn aber war keine Fremde und daher auch uicht gerührt.
Sie wußte ganz genau, daß diese zärtliche Liebe nur der großen Pension galt,
die die Gräfin ans einem Nachbarstaate bezog, und die fast ganz ungeschmälert
unter die Enkelkinder verteilt wurde. Es war eine bedeutende Summe, die
halbjährlich zur Auszahlung kam, und die Nachkommen der Gräfin konnten
sie gut brauchen. Wenn aber die Gräfin starb, so versiegte die Einnahmequelle.

Nur viel Champagner, liebes Fräulein Ahlborn! flüsterte die hübsche
kleine Baronin, die Enkelin der Gräfin. Und vergessen Sie die Austern nicht !

Die Verwandten saßen in dem kühlen Eßzimmer und warteten auf die
Verteilung der Pension.

Großmama muß auch etwas geistige Anregung haben, meinte ein junger
Mann, der nachdenklich den dunkelroten Wein in seinem Glase betrachtete.
Sie hat doch etwas abgenommen in deu letzten sechs Monaten. Als ich ihr heute
erzählte, daß es geregnet habe, sah sie mich ganz fassungslos an!

Wahrscheinlich haben Sie ihr diese Bemerkung schon öfter gemacht, meinte
Fräulein Ahlborn. Sie müssen ihr etwas Heiteres, Lustiges erzählen, das
regt sie an!

Etwas Lustiges? Du lieber Gott! Die kleine Baronin schauderte. Sie
kommt mir gar nicht lustig vor, eher leichen- und gespensterhaft! Weißt du,
Arwed -- fie wandte sich an ihren Gatten, einen ältern Herrn, der noch kein
Wort gesagt hatte --, weißt du, daß mir Mama einmal erzählte, Großmama
könne nicht sterben, weil sie nicht wolle? Sie wartet noch auf jemand, den
sie vorher sprechen muß!

Dummes Zeug! murmelte der Baron. Er hatte schon vorhin sehr mi߬
mutig ausgesehen; nun wurde sein verlebtes Gesicht noch verdrießlicher.

Ihr Männer sagt immer: Dummes Zeug! wenn wir euch etwas inter¬
essantes erzählen, schmollte die Baronin. Mama hat es mir gesagt, und sie
mußte etwas davon verstehen, wenn sie auch nicht allzuviel mit ihrer Mutter
verkehrt hatte. Ich glaube, die Großeltern haben getrennt gelebt. Nun
einerlei, ich gönne Großmama von Herzen einen stillen Tod.

Baron Arwed fuhr auf und warf seiner Gemahlin einen strengen Blick
zu. Schweig! sagte er heftig; wie kann man so gottvergessen sein und einem
menschlichen Wesen, noch dazu seiner eignen Großmutter, den Tod wünschen?
Er fuhr sich mit der Hand über den kahlen Kopf und räusperte sich laut.
Ich für meine Person danke der Vorsehung täglich, daß sie uns das teure
Leben deiner Großmutter erhalten hat. Möge sie es uns much noch ferner
erhalten!


Lorisande

Geschenke, klopften sie auf die Schulter und versicherten sie ihrer unaus¬
löschlichen Dankbarkeit. Diese dankbaren Menschen waren die Enkelkinder der
alten Dame, und für einen Fremden mußte es etwas rührendes haben, wie
sehr sie sich über das lange Leben ihrer Großmutter freuten.

Fräulein Ahlborn aber war keine Fremde und daher auch uicht gerührt.
Sie wußte ganz genau, daß diese zärtliche Liebe nur der großen Pension galt,
die die Gräfin ans einem Nachbarstaate bezog, und die fast ganz ungeschmälert
unter die Enkelkinder verteilt wurde. Es war eine bedeutende Summe, die
halbjährlich zur Auszahlung kam, und die Nachkommen der Gräfin konnten
sie gut brauchen. Wenn aber die Gräfin starb, so versiegte die Einnahmequelle.

Nur viel Champagner, liebes Fräulein Ahlborn! flüsterte die hübsche
kleine Baronin, die Enkelin der Gräfin. Und vergessen Sie die Austern nicht !

Die Verwandten saßen in dem kühlen Eßzimmer und warteten auf die
Verteilung der Pension.

Großmama muß auch etwas geistige Anregung haben, meinte ein junger
Mann, der nachdenklich den dunkelroten Wein in seinem Glase betrachtete.
Sie hat doch etwas abgenommen in deu letzten sechs Monaten. Als ich ihr heute
erzählte, daß es geregnet habe, sah sie mich ganz fassungslos an!

Wahrscheinlich haben Sie ihr diese Bemerkung schon öfter gemacht, meinte
Fräulein Ahlborn. Sie müssen ihr etwas Heiteres, Lustiges erzählen, das
regt sie an!

Etwas Lustiges? Du lieber Gott! Die kleine Baronin schauderte. Sie
kommt mir gar nicht lustig vor, eher leichen- und gespensterhaft! Weißt du,
Arwed — fie wandte sich an ihren Gatten, einen ältern Herrn, der noch kein
Wort gesagt hatte —, weißt du, daß mir Mama einmal erzählte, Großmama
könne nicht sterben, weil sie nicht wolle? Sie wartet noch auf jemand, den
sie vorher sprechen muß!

Dummes Zeug! murmelte der Baron. Er hatte schon vorhin sehr mi߬
mutig ausgesehen; nun wurde sein verlebtes Gesicht noch verdrießlicher.

Ihr Männer sagt immer: Dummes Zeug! wenn wir euch etwas inter¬
essantes erzählen, schmollte die Baronin. Mama hat es mir gesagt, und sie
mußte etwas davon verstehen, wenn sie auch nicht allzuviel mit ihrer Mutter
verkehrt hatte. Ich glaube, die Großeltern haben getrennt gelebt. Nun
einerlei, ich gönne Großmama von Herzen einen stillen Tod.

Baron Arwed fuhr auf und warf seiner Gemahlin einen strengen Blick
zu. Schweig! sagte er heftig; wie kann man so gottvergessen sein und einem
menschlichen Wesen, noch dazu seiner eignen Großmutter, den Tod wünschen?
Er fuhr sich mit der Hand über den kahlen Kopf und räusperte sich laut.
Ich für meine Person danke der Vorsehung täglich, daß sie uns das teure
Leben deiner Großmutter erhalten hat. Möge sie es uns much noch ferner
erhalten!


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[0449] Lorisande Geschenke, klopften sie auf die Schulter und versicherten sie ihrer unaus¬ löschlichen Dankbarkeit. Diese dankbaren Menschen waren die Enkelkinder der alten Dame, und für einen Fremden mußte es etwas rührendes haben, wie sehr sie sich über das lange Leben ihrer Großmutter freuten. Fräulein Ahlborn aber war keine Fremde und daher auch uicht gerührt. Sie wußte ganz genau, daß diese zärtliche Liebe nur der großen Pension galt, die die Gräfin ans einem Nachbarstaate bezog, und die fast ganz ungeschmälert unter die Enkelkinder verteilt wurde. Es war eine bedeutende Summe, die halbjährlich zur Auszahlung kam, und die Nachkommen der Gräfin konnten sie gut brauchen. Wenn aber die Gräfin starb, so versiegte die Einnahmequelle. Nur viel Champagner, liebes Fräulein Ahlborn! flüsterte die hübsche kleine Baronin, die Enkelin der Gräfin. Und vergessen Sie die Austern nicht ! Die Verwandten saßen in dem kühlen Eßzimmer und warteten auf die Verteilung der Pension. Großmama muß auch etwas geistige Anregung haben, meinte ein junger Mann, der nachdenklich den dunkelroten Wein in seinem Glase betrachtete. Sie hat doch etwas abgenommen in deu letzten sechs Monaten. Als ich ihr heute erzählte, daß es geregnet habe, sah sie mich ganz fassungslos an! Wahrscheinlich haben Sie ihr diese Bemerkung schon öfter gemacht, meinte Fräulein Ahlborn. Sie müssen ihr etwas Heiteres, Lustiges erzählen, das regt sie an! Etwas Lustiges? Du lieber Gott! Die kleine Baronin schauderte. Sie kommt mir gar nicht lustig vor, eher leichen- und gespensterhaft! Weißt du, Arwed — fie wandte sich an ihren Gatten, einen ältern Herrn, der noch kein Wort gesagt hatte —, weißt du, daß mir Mama einmal erzählte, Großmama könne nicht sterben, weil sie nicht wolle? Sie wartet noch auf jemand, den sie vorher sprechen muß! Dummes Zeug! murmelte der Baron. Er hatte schon vorhin sehr mi߬ mutig ausgesehen; nun wurde sein verlebtes Gesicht noch verdrießlicher. Ihr Männer sagt immer: Dummes Zeug! wenn wir euch etwas inter¬ essantes erzählen, schmollte die Baronin. Mama hat es mir gesagt, und sie mußte etwas davon verstehen, wenn sie auch nicht allzuviel mit ihrer Mutter verkehrt hatte. Ich glaube, die Großeltern haben getrennt gelebt. Nun einerlei, ich gönne Großmama von Herzen einen stillen Tod. Baron Arwed fuhr auf und warf seiner Gemahlin einen strengen Blick zu. Schweig! sagte er heftig; wie kann man so gottvergessen sein und einem menschlichen Wesen, noch dazu seiner eignen Großmutter, den Tod wünschen? Er fuhr sich mit der Hand über den kahlen Kopf und räusperte sich laut. Ich für meine Person danke der Vorsehung täglich, daß sie uns das teure Leben deiner Großmutter erhalten hat. Möge sie es uns much noch ferner erhalten!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/449>, abgerufen am 01.09.2024.