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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Soldat und Schulmeister

um diesen Ausdruck zu gebrauchen, nicht für "voll" angesehen wird. Leider
kann hier der Offizier nicht von Schuld freigesprochen werden. In welchem
Ton bei jüngern Leuten vom "Pauker" gesprochen wird, weiß jeder, der auch
einmal zu diesen "jüngern Leuten" gehört hat, aus eigner Erfahrung. Das
studentische Wesen ragt in dieser Beziehung hinein in das Leben des jungen
Juristen, Arztes u. s. w., aber es dürfte nicht hineinragen in das Leben von
Offizieren, die es schon bis zum Hauptmann und Major gebracht haben; denn
haben sie es da noch nicht abgelegt, so werden sie es nie los.

Wie jener vorhin erwähnte Unteroffizier den Dvrfschullehrern gegenüber
dachte, so jener Major -- ich denke auch hier an einen bestimmten selbst er¬
lebten Fall --, der, als er seinen Platz an der Festtafel zu Kaisers Geburtstag
suchte, sich neben den Gymnasialdirektor gesetzt fand und sagte: "Neben dem
A.... Pauker kann ich doch nicht sitzen!" Er sagte es freilich nur scherzweise
zu einem Kameraden, mit dem er eben beim Frühschoppen ans reinem Patrio¬
tismus einen guten Schluck genommen hatte; aber -- in vino vcniiW! --
das Wort bezeichnete doch deutlich, was das Herz dachte.

Hier liegt das Unrecht ausheilen des Offiziers. Und ebenso wenn von
ihm der Gymnasiallehrer für Verhältnisse verantwortlich gemacht wird, die er
nicht verschuldet, und die zu andern ihm gar nicht möglich ist, ja unter denen
auch er empfindlich zu leiden hat. Es handelt sich hier um gewisse Übel-
stände im höhern Schulwesen, die sich am unangenehmsten gerade dem Offizier
bemerkbar macheu. Die höhern Lehranstalten sind sehr verschieden in ihren
Einrichtungen. Man denke nur z. B., daß ein Offizier mit vier oder fünf das
Gymnasium besuchenden Söhnen aus dem Norden des Vaterlandes nach dem
Süden versetzt wird. Bisher hatte für die Junge" das Schuljahr zu Ostern
angefangen, jetzt liegt der Anfang Mitte September. Vier Jungen verlieren
je ein halbes Jahr. Nach einer Reihe von Jahren -- sagen wir nach vier
Jahren -- wird derselbe Offizier wieder nach einer Garnison im Norden ver¬
setzt. Derselbe Übelstand! Außerdem mußten beidemale vielleicht für 100 bis
150 Mark neue Lehrbücher angeschafft werden. Ein nicht besonders befähigter
Junge kam in den neuen Verhältnissen überhaupt nicht mit fort. Da giebt
es Ärger über Ärger in der Familie. Und wer trägt die Schuld? In Wirk¬
lichkeit die freilich sehr der Verbesserung bedürftigen Einrichtungen; aber der
erbitterte Vater schiebt sie der Lehrerschaft in die Schuhe. Im Kasino wird
das mit den Kameraden besprochen; die haben zum Teil dieselben Erfahrungen
gemacht. Die Sache wird vielleicht noch etwas schwarzer dargestellt, als sie
ist. Der arme Lehrer ist an allem Unheil schuld!

Und nun gar wenn die leidige Privatstnndenangelcgenheit mit hinein¬
gezogen wird! Ein Junge kann vielleicht noch das Ziel erreichen, wenn er die
Stoffe, die bereits durchgenommen worden sind, als er noch nicht anwesend
war, bis zu einem bestimmten Zeitpunkte nachholt. Das kann er aber nur


Soldat und Schulmeister

um diesen Ausdruck zu gebrauchen, nicht für „voll" angesehen wird. Leider
kann hier der Offizier nicht von Schuld freigesprochen werden. In welchem
Ton bei jüngern Leuten vom „Pauker" gesprochen wird, weiß jeder, der auch
einmal zu diesen „jüngern Leuten" gehört hat, aus eigner Erfahrung. Das
studentische Wesen ragt in dieser Beziehung hinein in das Leben des jungen
Juristen, Arztes u. s. w., aber es dürfte nicht hineinragen in das Leben von
Offizieren, die es schon bis zum Hauptmann und Major gebracht haben; denn
haben sie es da noch nicht abgelegt, so werden sie es nie los.

Wie jener vorhin erwähnte Unteroffizier den Dvrfschullehrern gegenüber
dachte, so jener Major — ich denke auch hier an einen bestimmten selbst er¬
lebten Fall —, der, als er seinen Platz an der Festtafel zu Kaisers Geburtstag
suchte, sich neben den Gymnasialdirektor gesetzt fand und sagte: „Neben dem
A.... Pauker kann ich doch nicht sitzen!" Er sagte es freilich nur scherzweise
zu einem Kameraden, mit dem er eben beim Frühschoppen ans reinem Patrio¬
tismus einen guten Schluck genommen hatte; aber — in vino vcniiW! —
das Wort bezeichnete doch deutlich, was das Herz dachte.

Hier liegt das Unrecht ausheilen des Offiziers. Und ebenso wenn von
ihm der Gymnasiallehrer für Verhältnisse verantwortlich gemacht wird, die er
nicht verschuldet, und die zu andern ihm gar nicht möglich ist, ja unter denen
auch er empfindlich zu leiden hat. Es handelt sich hier um gewisse Übel-
stände im höhern Schulwesen, die sich am unangenehmsten gerade dem Offizier
bemerkbar macheu. Die höhern Lehranstalten sind sehr verschieden in ihren
Einrichtungen. Man denke nur z. B., daß ein Offizier mit vier oder fünf das
Gymnasium besuchenden Söhnen aus dem Norden des Vaterlandes nach dem
Süden versetzt wird. Bisher hatte für die Junge« das Schuljahr zu Ostern
angefangen, jetzt liegt der Anfang Mitte September. Vier Jungen verlieren
je ein halbes Jahr. Nach einer Reihe von Jahren — sagen wir nach vier
Jahren — wird derselbe Offizier wieder nach einer Garnison im Norden ver¬
setzt. Derselbe Übelstand! Außerdem mußten beidemale vielleicht für 100 bis
150 Mark neue Lehrbücher angeschafft werden. Ein nicht besonders befähigter
Junge kam in den neuen Verhältnissen überhaupt nicht mit fort. Da giebt
es Ärger über Ärger in der Familie. Und wer trägt die Schuld? In Wirk¬
lichkeit die freilich sehr der Verbesserung bedürftigen Einrichtungen; aber der
erbitterte Vater schiebt sie der Lehrerschaft in die Schuhe. Im Kasino wird
das mit den Kameraden besprochen; die haben zum Teil dieselben Erfahrungen
gemacht. Die Sache wird vielleicht noch etwas schwarzer dargestellt, als sie
ist. Der arme Lehrer ist an allem Unheil schuld!

Und nun gar wenn die leidige Privatstnndenangelcgenheit mit hinein¬
gezogen wird! Ein Junge kann vielleicht noch das Ziel erreichen, wenn er die
Stoffe, die bereits durchgenommen worden sind, als er noch nicht anwesend
war, bis zu einem bestimmten Zeitpunkte nachholt. Das kann er aber nur


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[0423] Soldat und Schulmeister um diesen Ausdruck zu gebrauchen, nicht für „voll" angesehen wird. Leider kann hier der Offizier nicht von Schuld freigesprochen werden. In welchem Ton bei jüngern Leuten vom „Pauker" gesprochen wird, weiß jeder, der auch einmal zu diesen „jüngern Leuten" gehört hat, aus eigner Erfahrung. Das studentische Wesen ragt in dieser Beziehung hinein in das Leben des jungen Juristen, Arztes u. s. w., aber es dürfte nicht hineinragen in das Leben von Offizieren, die es schon bis zum Hauptmann und Major gebracht haben; denn haben sie es da noch nicht abgelegt, so werden sie es nie los. Wie jener vorhin erwähnte Unteroffizier den Dvrfschullehrern gegenüber dachte, so jener Major — ich denke auch hier an einen bestimmten selbst er¬ lebten Fall —, der, als er seinen Platz an der Festtafel zu Kaisers Geburtstag suchte, sich neben den Gymnasialdirektor gesetzt fand und sagte: „Neben dem A.... Pauker kann ich doch nicht sitzen!" Er sagte es freilich nur scherzweise zu einem Kameraden, mit dem er eben beim Frühschoppen ans reinem Patrio¬ tismus einen guten Schluck genommen hatte; aber — in vino vcniiW! — das Wort bezeichnete doch deutlich, was das Herz dachte. Hier liegt das Unrecht ausheilen des Offiziers. Und ebenso wenn von ihm der Gymnasiallehrer für Verhältnisse verantwortlich gemacht wird, die er nicht verschuldet, und die zu andern ihm gar nicht möglich ist, ja unter denen auch er empfindlich zu leiden hat. Es handelt sich hier um gewisse Übel- stände im höhern Schulwesen, die sich am unangenehmsten gerade dem Offizier bemerkbar macheu. Die höhern Lehranstalten sind sehr verschieden in ihren Einrichtungen. Man denke nur z. B., daß ein Offizier mit vier oder fünf das Gymnasium besuchenden Söhnen aus dem Norden des Vaterlandes nach dem Süden versetzt wird. Bisher hatte für die Junge« das Schuljahr zu Ostern angefangen, jetzt liegt der Anfang Mitte September. Vier Jungen verlieren je ein halbes Jahr. Nach einer Reihe von Jahren — sagen wir nach vier Jahren — wird derselbe Offizier wieder nach einer Garnison im Norden ver¬ setzt. Derselbe Übelstand! Außerdem mußten beidemale vielleicht für 100 bis 150 Mark neue Lehrbücher angeschafft werden. Ein nicht besonders befähigter Junge kam in den neuen Verhältnissen überhaupt nicht mit fort. Da giebt es Ärger über Ärger in der Familie. Und wer trägt die Schuld? In Wirk¬ lichkeit die freilich sehr der Verbesserung bedürftigen Einrichtungen; aber der erbitterte Vater schiebt sie der Lehrerschaft in die Schuhe. Im Kasino wird das mit den Kameraden besprochen; die haben zum Teil dieselben Erfahrungen gemacht. Die Sache wird vielleicht noch etwas schwarzer dargestellt, als sie ist. Der arme Lehrer ist an allem Unheil schuld! Und nun gar wenn die leidige Privatstnndenangelcgenheit mit hinein¬ gezogen wird! Ein Junge kann vielleicht noch das Ziel erreichen, wenn er die Stoffe, die bereits durchgenommen worden sind, als er noch nicht anwesend war, bis zu einem bestimmten Zeitpunkte nachholt. Das kann er aber nur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/423>, abgerufen am 21.11.2024.