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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Das Journal von Tiefurt

Aber es war der Grabgesang des Tiefurter Journals. Die Beiträge wurden
immer geringer. Die beiden letzten Stücke sind ganz von Einsiedels Hand,
und endlich durchschnitt die Parze den drei Jahre lang hindurch fort-
gesponnenen Faden.

"Es ist ein kleiner Scherz, den ich mir diesen Sommer gemacht habe
und der so gut rLusLirst hat, daß es uoch bis jetzt oontinuirst wird; viel¬
leicht wird es Ihnen auch einige gute Stunden machen," hatte die Herzogin
Anna Amalia Ende November 1781 an Goethes Mutter geschrieben, als sie
ihr durch Wieland "ein ganz planst von Tiefurther ,7onin"l8" schicken ließ.
In diesen Worten der Fürstin ist zugleich eine gerechte Beurteilung und Würdigung
des Unternehmens enthalten. Es war ursprünglich nur ein Scherz, dies zeigt
auch ein Blick auf das erste Stück, das unter den Aufschriften "Schöne Wissen¬
schaften, Künste, Schauspiele, Musik, Außerordentliche Begebenheiten, Politik,
Kräuterkunde" über die kleinen Vorkommnisse in Tiefurt berichtete: über das
Erntefest, über ein Perlhuhn, das neulich zwanzig Eier legte, und über den
allhiesigeu Hof- und Lustgärtner Eisenhut, der eine sehr interessante Schrift
unter der Feder habe, worinnen er deutlich zu beweisen und auseinander¬
zusetzen gedenke, daß die zeitherige Meinung der Botaniker, als ob es bei
Bäumen und Pflanzen ebenfalls so wie bei den belebten Creaturen zweierlei
Geschlechter gäbe, nicht allein höchst unnatürlich und gotteslästerlich, sondern
auch vorzüglich grundfalsch und ein bloßes Hirngespinst der Gelehrten sei.
Fast ebenso harmlos ist das zweite Stück. Erst durch die Beiträge Goethes,
Wielands und Herders wurde das Journal gehoben. Bon ihnen ging dann
gleichsam eine geheime Kraft aus, die sich auch auf die andern übertrug; an
Wielands Seite trat die Herzogin Anna Amnlia, während Fran von Scharbe
Goethes Spuren und Karoline Herder ihrem Gatten folgte. So wurde Mercks
Wunsch erfüllt, die Leserinnen möchten den Grazien öfter ein Opfer bringen
und ihren Mund den Gesängen und Liedern der Musen öffnen. Wenn auch
manche geringere Gabe neben die Schöpfungen der Meister gestellt wurde,
so schloß doch der Reiz der gemeinsamen Arbeit den frohen und ungezwungner
Kreis der Ticsurter Gesellschaft uoch fester und wirkte auch über die Grenzen
des Journals hinaus. Der bleibende Wert dieser Blätter liegt darin, daß
sie uns in die von den Frauen veredelte Geselligkeit Weimars einführen, und
sie bieten soviel treffliches, daß sie dem Leser auch jetzt noch "einige gute
Stunden machen" können.




Grenzbote" 1 18W42
Das Journal von Tiefurt

Aber es war der Grabgesang des Tiefurter Journals. Die Beiträge wurden
immer geringer. Die beiden letzten Stücke sind ganz von Einsiedels Hand,
und endlich durchschnitt die Parze den drei Jahre lang hindurch fort-
gesponnenen Faden.

„Es ist ein kleiner Scherz, den ich mir diesen Sommer gemacht habe
und der so gut rLusLirst hat, daß es uoch bis jetzt oontinuirst wird; viel¬
leicht wird es Ihnen auch einige gute Stunden machen," hatte die Herzogin
Anna Amalia Ende November 1781 an Goethes Mutter geschrieben, als sie
ihr durch Wieland „ein ganz planst von Tiefurther ,7onin»l8" schicken ließ.
In diesen Worten der Fürstin ist zugleich eine gerechte Beurteilung und Würdigung
des Unternehmens enthalten. Es war ursprünglich nur ein Scherz, dies zeigt
auch ein Blick auf das erste Stück, das unter den Aufschriften „Schöne Wissen¬
schaften, Künste, Schauspiele, Musik, Außerordentliche Begebenheiten, Politik,
Kräuterkunde" über die kleinen Vorkommnisse in Tiefurt berichtete: über das
Erntefest, über ein Perlhuhn, das neulich zwanzig Eier legte, und über den
allhiesigeu Hof- und Lustgärtner Eisenhut, der eine sehr interessante Schrift
unter der Feder habe, worinnen er deutlich zu beweisen und auseinander¬
zusetzen gedenke, daß die zeitherige Meinung der Botaniker, als ob es bei
Bäumen und Pflanzen ebenfalls so wie bei den belebten Creaturen zweierlei
Geschlechter gäbe, nicht allein höchst unnatürlich und gotteslästerlich, sondern
auch vorzüglich grundfalsch und ein bloßes Hirngespinst der Gelehrten sei.
Fast ebenso harmlos ist das zweite Stück. Erst durch die Beiträge Goethes,
Wielands und Herders wurde das Journal gehoben. Bon ihnen ging dann
gleichsam eine geheime Kraft aus, die sich auch auf die andern übertrug; an
Wielands Seite trat die Herzogin Anna Amnlia, während Fran von Scharbe
Goethes Spuren und Karoline Herder ihrem Gatten folgte. So wurde Mercks
Wunsch erfüllt, die Leserinnen möchten den Grazien öfter ein Opfer bringen
und ihren Mund den Gesängen und Liedern der Musen öffnen. Wenn auch
manche geringere Gabe neben die Schöpfungen der Meister gestellt wurde,
so schloß doch der Reiz der gemeinsamen Arbeit den frohen und ungezwungner
Kreis der Ticsurter Gesellschaft uoch fester und wirkte auch über die Grenzen
des Journals hinaus. Der bleibende Wert dieser Blätter liegt darin, daß
sie uns in die von den Frauen veredelte Geselligkeit Weimars einführen, und
sie bieten soviel treffliches, daß sie dem Leser auch jetzt noch „einige gute
Stunden machen" können.




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[0339] Das Journal von Tiefurt Aber es war der Grabgesang des Tiefurter Journals. Die Beiträge wurden immer geringer. Die beiden letzten Stücke sind ganz von Einsiedels Hand, und endlich durchschnitt die Parze den drei Jahre lang hindurch fort- gesponnenen Faden. „Es ist ein kleiner Scherz, den ich mir diesen Sommer gemacht habe und der so gut rLusLirst hat, daß es uoch bis jetzt oontinuirst wird; viel¬ leicht wird es Ihnen auch einige gute Stunden machen," hatte die Herzogin Anna Amalia Ende November 1781 an Goethes Mutter geschrieben, als sie ihr durch Wieland „ein ganz planst von Tiefurther ,7onin»l8" schicken ließ. In diesen Worten der Fürstin ist zugleich eine gerechte Beurteilung und Würdigung des Unternehmens enthalten. Es war ursprünglich nur ein Scherz, dies zeigt auch ein Blick auf das erste Stück, das unter den Aufschriften „Schöne Wissen¬ schaften, Künste, Schauspiele, Musik, Außerordentliche Begebenheiten, Politik, Kräuterkunde" über die kleinen Vorkommnisse in Tiefurt berichtete: über das Erntefest, über ein Perlhuhn, das neulich zwanzig Eier legte, und über den allhiesigeu Hof- und Lustgärtner Eisenhut, der eine sehr interessante Schrift unter der Feder habe, worinnen er deutlich zu beweisen und auseinander¬ zusetzen gedenke, daß die zeitherige Meinung der Botaniker, als ob es bei Bäumen und Pflanzen ebenfalls so wie bei den belebten Creaturen zweierlei Geschlechter gäbe, nicht allein höchst unnatürlich und gotteslästerlich, sondern auch vorzüglich grundfalsch und ein bloßes Hirngespinst der Gelehrten sei. Fast ebenso harmlos ist das zweite Stück. Erst durch die Beiträge Goethes, Wielands und Herders wurde das Journal gehoben. Bon ihnen ging dann gleichsam eine geheime Kraft aus, die sich auch auf die andern übertrug; an Wielands Seite trat die Herzogin Anna Amnlia, während Fran von Scharbe Goethes Spuren und Karoline Herder ihrem Gatten folgte. So wurde Mercks Wunsch erfüllt, die Leserinnen möchten den Grazien öfter ein Opfer bringen und ihren Mund den Gesängen und Liedern der Musen öffnen. Wenn auch manche geringere Gabe neben die Schöpfungen der Meister gestellt wurde, so schloß doch der Reiz der gemeinsamen Arbeit den frohen und ungezwungner Kreis der Ticsurter Gesellschaft uoch fester und wirkte auch über die Grenzen des Journals hinaus. Der bleibende Wert dieser Blätter liegt darin, daß sie uns in die von den Frauen veredelte Geselligkeit Weimars einführen, und sie bieten soviel treffliches, daß sie dem Leser auch jetzt noch „einige gute Stunden machen" können. Grenzbote» 1 18W42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/339>, abgerufen am 20.09.2024.