Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Journal von Tiefurt

des Buches ist das Bild der Fürstin, die Tiefurt zu einer klassischen Stätte
erhoben hat. Weitere Beigaben bringen die Örtlichkeit, das "Schloß" und den
Park von Tiefurt zur Anschauung. Dem Texte selbst, der gegen 350 Seiten
umfaßt, geht eine Einleitung B. Suphans voran, die die Begründung des
Tiefurter Journals und die Mitwirkung der Beitragenden schildert. Kritische
und erläuternde Anmerkungen des Herausgebers Eduard von der Hellen be¬
schließen den Band und weisen, soweit dies möglich ist, sür die einzelnen
Beiträge die Verfnsfer nach.

"Die Verfasser find Hütschelhanz, Wieland, Herder, Knebel, Kammerherr
Seckendorff und Einsiedel -- schreibt Anna Amalia in einem Briefe vom 23. No¬
vember 1781 an Goethes Mutter --, der Frau Räthin weltberühmte Kenner¬
schaft wird ihr leicht die Stücke von jedem Autor errathen lassen." Außer
den hier genannten hatten schon damals Herzog Karl August und Merck zum
Tiefurter Journal beigesteuert. Die spätern Stücke brachten noch Beiträge
des Prinzen August von Gotha, des Grafen Friedrich Leopold von Stolberg
und des Statthalters von Erfurt Karl Theodor von Dalberg. Durch Goethes
Vermittlung wurden einige Gedichte von Lenz und wohl auch ein Beitrag des
Schweizers Georg Christoph Tobler aufgenommen. Unter den Mitarbeiterinnen
ist an erster Stelle die Herzogin Anna Amalia zu nennen, die fleißigste Feder
führte die Göchhausen, einzelne Beiträge gaben Frau von Scharbe und Frau
von Werthern.

In der Reihe dieser Namen stehen Goethe, Wieland und Herder obenan.
Ihre Beitrüge haben auch zuerst wieder die Aufmerksamkeit auf das Journal
gelenkt, sie sind zum größten Teile schon seit Jahren in die gesammelten Werke
dieser Dichter aufgenommen worden. Den ersten Beitrag Goethes bringt das
fünfte Stück, es ist der schou 1780 gedichtete Hymnus an die Phantasie
(Meine Göttin): "Welcher Unsterblichen soll der höchste Preis sein?" Im
nächsten Stücke folgen die "Nachtgedanken": "Euch bedaur' ich, unglückselge
Sterne," im Tiefurter Journal "Nach dein Griechischen" überschrieben, eine
Maske, unter der Goethe auch den "Becher" -- "Einen wohlgeschnitzten vollen
Becher hielt ich drückend in den beiden Händen" -- ins Journal gegeben hat.
Dagegen ist das Gedicht "An die Heuschrecke, aus dem Griechischen" eine
wirkliche Übersetzung des reizenden kleinen Anakreontischen Liedes. Perlen
Goethischer Dichtung sind ferner das Gedicht "Auf Miedings Tod" und die
ohne Überschrift ins vierzigste Stück aufgeuvmmne Ode: "Edel sei der Mensch,
hilfreich und gut." Außerdem lernen wir Goethe hier auch als Sammler
von Volksliedern kennen. Das achtundzwanzigste Stück enthält unter der
Überschrift: "Ein christlicher Roman" das Lied von der schönen Jungfrau
"Im Ungarland zu Großwardeiu," die am Tag ihrer Hochzeit mit einem un¬
geliebten Mann in den Himmel entrückt wird und erst nach hundert Jahren,
die ihr wie ein Augenblick vergangen sind, zu einem sanften Tod auf die Erde


Das Journal von Tiefurt

des Buches ist das Bild der Fürstin, die Tiefurt zu einer klassischen Stätte
erhoben hat. Weitere Beigaben bringen die Örtlichkeit, das „Schloß" und den
Park von Tiefurt zur Anschauung. Dem Texte selbst, der gegen 350 Seiten
umfaßt, geht eine Einleitung B. Suphans voran, die die Begründung des
Tiefurter Journals und die Mitwirkung der Beitragenden schildert. Kritische
und erläuternde Anmerkungen des Herausgebers Eduard von der Hellen be¬
schließen den Band und weisen, soweit dies möglich ist, sür die einzelnen
Beiträge die Verfnsfer nach.

„Die Verfasser find Hütschelhanz, Wieland, Herder, Knebel, Kammerherr
Seckendorff und Einsiedel — schreibt Anna Amalia in einem Briefe vom 23. No¬
vember 1781 an Goethes Mutter —, der Frau Räthin weltberühmte Kenner¬
schaft wird ihr leicht die Stücke von jedem Autor errathen lassen." Außer
den hier genannten hatten schon damals Herzog Karl August und Merck zum
Tiefurter Journal beigesteuert. Die spätern Stücke brachten noch Beiträge
des Prinzen August von Gotha, des Grafen Friedrich Leopold von Stolberg
und des Statthalters von Erfurt Karl Theodor von Dalberg. Durch Goethes
Vermittlung wurden einige Gedichte von Lenz und wohl auch ein Beitrag des
Schweizers Georg Christoph Tobler aufgenommen. Unter den Mitarbeiterinnen
ist an erster Stelle die Herzogin Anna Amalia zu nennen, die fleißigste Feder
führte die Göchhausen, einzelne Beiträge gaben Frau von Scharbe und Frau
von Werthern.

In der Reihe dieser Namen stehen Goethe, Wieland und Herder obenan.
Ihre Beitrüge haben auch zuerst wieder die Aufmerksamkeit auf das Journal
gelenkt, sie sind zum größten Teile schon seit Jahren in die gesammelten Werke
dieser Dichter aufgenommen worden. Den ersten Beitrag Goethes bringt das
fünfte Stück, es ist der schou 1780 gedichtete Hymnus an die Phantasie
(Meine Göttin): „Welcher Unsterblichen soll der höchste Preis sein?" Im
nächsten Stücke folgen die „Nachtgedanken": „Euch bedaur' ich, unglückselge
Sterne," im Tiefurter Journal „Nach dein Griechischen" überschrieben, eine
Maske, unter der Goethe auch den „Becher" — „Einen wohlgeschnitzten vollen
Becher hielt ich drückend in den beiden Händen" — ins Journal gegeben hat.
Dagegen ist das Gedicht „An die Heuschrecke, aus dem Griechischen" eine
wirkliche Übersetzung des reizenden kleinen Anakreontischen Liedes. Perlen
Goethischer Dichtung sind ferner das Gedicht „Auf Miedings Tod" und die
ohne Überschrift ins vierzigste Stück aufgeuvmmne Ode: „Edel sei der Mensch,
hilfreich und gut." Außerdem lernen wir Goethe hier auch als Sammler
von Volksliedern kennen. Das achtundzwanzigste Stück enthält unter der
Überschrift: „Ein christlicher Roman" das Lied von der schönen Jungfrau
„Im Ungarland zu Großwardeiu," die am Tag ihrer Hochzeit mit einem un¬
geliebten Mann in den Himmel entrückt wird und erst nach hundert Jahren,
die ihr wie ein Augenblick vergangen sind, zu einem sanften Tod auf die Erde


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0332" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214124"/>
          <fw type="header" place="top"> Das Journal von Tiefurt</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1135" prev="#ID_1134"> des Buches ist das Bild der Fürstin, die Tiefurt zu einer klassischen Stätte<lb/>
erhoben hat. Weitere Beigaben bringen die Örtlichkeit, das &#x201E;Schloß" und den<lb/>
Park von Tiefurt zur Anschauung. Dem Texte selbst, der gegen 350 Seiten<lb/>
umfaßt, geht eine Einleitung B. Suphans voran, die die Begründung des<lb/>
Tiefurter Journals und die Mitwirkung der Beitragenden schildert. Kritische<lb/>
und erläuternde Anmerkungen des Herausgebers Eduard von der Hellen be¬<lb/>
schließen den Band und weisen, soweit dies möglich ist, sür die einzelnen<lb/>
Beiträge die Verfnsfer nach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1136"> &#x201E;Die Verfasser find Hütschelhanz, Wieland, Herder, Knebel, Kammerherr<lb/>
Seckendorff und Einsiedel &#x2014; schreibt Anna Amalia in einem Briefe vom 23. No¬<lb/>
vember 1781 an Goethes Mutter &#x2014;, der Frau Räthin weltberühmte Kenner¬<lb/>
schaft wird ihr leicht die Stücke von jedem Autor errathen lassen." Außer<lb/>
den hier genannten hatten schon damals Herzog Karl August und Merck zum<lb/>
Tiefurter Journal beigesteuert. Die spätern Stücke brachten noch Beiträge<lb/>
des Prinzen August von Gotha, des Grafen Friedrich Leopold von Stolberg<lb/>
und des Statthalters von Erfurt Karl Theodor von Dalberg. Durch Goethes<lb/>
Vermittlung wurden einige Gedichte von Lenz und wohl auch ein Beitrag des<lb/>
Schweizers Georg Christoph Tobler aufgenommen. Unter den Mitarbeiterinnen<lb/>
ist an erster Stelle die Herzogin Anna Amalia zu nennen, die fleißigste Feder<lb/>
führte die Göchhausen, einzelne Beiträge gaben Frau von Scharbe und Frau<lb/>
von Werthern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1137" next="#ID_1138"> In der Reihe dieser Namen stehen Goethe, Wieland und Herder obenan.<lb/>
Ihre Beitrüge haben auch zuerst wieder die Aufmerksamkeit auf das Journal<lb/>
gelenkt, sie sind zum größten Teile schon seit Jahren in die gesammelten Werke<lb/>
dieser Dichter aufgenommen worden. Den ersten Beitrag Goethes bringt das<lb/>
fünfte Stück, es ist der schou 1780 gedichtete Hymnus an die Phantasie<lb/>
(Meine Göttin): &#x201E;Welcher Unsterblichen soll der höchste Preis sein?" Im<lb/>
nächsten Stücke folgen die &#x201E;Nachtgedanken": &#x201E;Euch bedaur' ich, unglückselge<lb/>
Sterne," im Tiefurter Journal &#x201E;Nach dein Griechischen" überschrieben, eine<lb/>
Maske, unter der Goethe auch den &#x201E;Becher" &#x2014; &#x201E;Einen wohlgeschnitzten vollen<lb/>
Becher hielt ich drückend in den beiden Händen" &#x2014; ins Journal gegeben hat.<lb/>
Dagegen ist das Gedicht &#x201E;An die Heuschrecke, aus dem Griechischen" eine<lb/>
wirkliche Übersetzung des reizenden kleinen Anakreontischen Liedes. Perlen<lb/>
Goethischer Dichtung sind ferner das Gedicht &#x201E;Auf Miedings Tod" und die<lb/>
ohne Überschrift ins vierzigste Stück aufgeuvmmne Ode: &#x201E;Edel sei der Mensch,<lb/>
hilfreich und gut." Außerdem lernen wir Goethe hier auch als Sammler<lb/>
von Volksliedern kennen. Das achtundzwanzigste Stück enthält unter der<lb/>
Überschrift: &#x201E;Ein christlicher Roman" das Lied von der schönen Jungfrau<lb/>
&#x201E;Im Ungarland zu Großwardeiu," die am Tag ihrer Hochzeit mit einem un¬<lb/>
geliebten Mann in den Himmel entrückt wird und erst nach hundert Jahren,<lb/>
die ihr wie ein Augenblick vergangen sind, zu einem sanften Tod auf die Erde</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0332] Das Journal von Tiefurt des Buches ist das Bild der Fürstin, die Tiefurt zu einer klassischen Stätte erhoben hat. Weitere Beigaben bringen die Örtlichkeit, das „Schloß" und den Park von Tiefurt zur Anschauung. Dem Texte selbst, der gegen 350 Seiten umfaßt, geht eine Einleitung B. Suphans voran, die die Begründung des Tiefurter Journals und die Mitwirkung der Beitragenden schildert. Kritische und erläuternde Anmerkungen des Herausgebers Eduard von der Hellen be¬ schließen den Band und weisen, soweit dies möglich ist, sür die einzelnen Beiträge die Verfnsfer nach. „Die Verfasser find Hütschelhanz, Wieland, Herder, Knebel, Kammerherr Seckendorff und Einsiedel — schreibt Anna Amalia in einem Briefe vom 23. No¬ vember 1781 an Goethes Mutter —, der Frau Räthin weltberühmte Kenner¬ schaft wird ihr leicht die Stücke von jedem Autor errathen lassen." Außer den hier genannten hatten schon damals Herzog Karl August und Merck zum Tiefurter Journal beigesteuert. Die spätern Stücke brachten noch Beiträge des Prinzen August von Gotha, des Grafen Friedrich Leopold von Stolberg und des Statthalters von Erfurt Karl Theodor von Dalberg. Durch Goethes Vermittlung wurden einige Gedichte von Lenz und wohl auch ein Beitrag des Schweizers Georg Christoph Tobler aufgenommen. Unter den Mitarbeiterinnen ist an erster Stelle die Herzogin Anna Amalia zu nennen, die fleißigste Feder führte die Göchhausen, einzelne Beiträge gaben Frau von Scharbe und Frau von Werthern. In der Reihe dieser Namen stehen Goethe, Wieland und Herder obenan. Ihre Beitrüge haben auch zuerst wieder die Aufmerksamkeit auf das Journal gelenkt, sie sind zum größten Teile schon seit Jahren in die gesammelten Werke dieser Dichter aufgenommen worden. Den ersten Beitrag Goethes bringt das fünfte Stück, es ist der schou 1780 gedichtete Hymnus an die Phantasie (Meine Göttin): „Welcher Unsterblichen soll der höchste Preis sein?" Im nächsten Stücke folgen die „Nachtgedanken": „Euch bedaur' ich, unglückselge Sterne," im Tiefurter Journal „Nach dein Griechischen" überschrieben, eine Maske, unter der Goethe auch den „Becher" — „Einen wohlgeschnitzten vollen Becher hielt ich drückend in den beiden Händen" — ins Journal gegeben hat. Dagegen ist das Gedicht „An die Heuschrecke, aus dem Griechischen" eine wirkliche Übersetzung des reizenden kleinen Anakreontischen Liedes. Perlen Goethischer Dichtung sind ferner das Gedicht „Auf Miedings Tod" und die ohne Überschrift ins vierzigste Stück aufgeuvmmne Ode: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut." Außerdem lernen wir Goethe hier auch als Sammler von Volksliedern kennen. Das achtundzwanzigste Stück enthält unter der Überschrift: „Ein christlicher Roman" das Lied von der schönen Jungfrau „Im Ungarland zu Großwardeiu," die am Tag ihrer Hochzeit mit einem un¬ geliebten Mann in den Himmel entrückt wird und erst nach hundert Jahren, die ihr wie ein Augenblick vergangen sind, zu einem sanften Tod auf die Erde

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/332
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/332>, abgerufen am 28.06.2024.