dankbarer Freude zuhören. Aber wir ahnen dabei, daß jenseits ihres Ge¬ sichtskreises uoch eine andre Welt liegt, die sie nicht entdecken, die aber darum der Kunst, dieser umfassendsten Bethätigung des Menschengeistes, ganz sicher nicht verschlossen bleiben wird.
Kein einzelner Künstler vermag die Fülle der Gestalten des Lebens in seine Werke zu bannen. Auch Mozart hat es nicht gethan. Zwar spiegelt sich die Welt, die hinter dem Horizont eines Bach und eines Händel begann, die Welt der menschlichen Leidenschaft, bereits in Mozarts Werken. Allein er verliert sich noch nicht in der Ausmalung ihrer einzelnen Erscheinungen, und niemals läßt er sie so nahe auf sich eindringen, daß sie seinen Blick vollständig ausfüllte. Das Bild, das er von ihr auffängt und verarbeitet vor uns hin¬ stellt, bewahrt von ihr nnr die der Musik erreichbaren Grundlinien; und seinerseits ist es ausnahmslos einem größern Bilde eingeordnet. Das sind ja die beiden Wege, auf denen wir Land erblicken können, das hinter den Grenzen unsers Gesichtsfeldes liegt. Wem es um Einzelheiten zu thun ist, der macht sich auf und betritt den gesuchten Boden. Wer dagegen einen Über¬ blick und ein Gesamtbild erhalten will, wird versuchen, eine Hohe zu gewinnen und von dort aus die erweiterte Fläche in sich aufzunehmen. Dies ist bildlich beschrieben der Weg des Künstlers, den die wachsende Kraft der Anschauung zu immer freiern Höhen emportrügt.
Auch Mozart durchläuft, wie es von seinem künstlerischen Ebenbilde Rafael bekannt ist, im ersten Zeitraum seines Schaffens die Bahnen seiner Vorgänger. Er durchläuft sie spielend; das heißt, er übt und steigert an ihren Formen seine Gestaltungskraft. Allein sein innerstes, ihm selbst verborgnes Wesen erschließt sich hier noch nicht, wiewohl es sich an vereinzelten Stellen ankündigt. Auf dieser Stufe übertrifft oder vielmehr erreicht er darum auch nicht die ältern Meister. Er kann uoch uicht oder er mag noch nicht sein Bestes geben. Er bewegt sich in einer Umgebung, in der er sich nicht heimisch fühlt. Es ist der Instinkt des Genius, der ihn das Feld seiner Herrschaft höher suchen läßt; von diesem Instinkt getrieben, eilt er vorwärts.
In Figaros Hochzeit ist das Gebiet der zünftigen Musik verlasse". Die Kunst wie der Künstler haben in diesem Werke die Fesseln der Schule ab¬ gestreift; jedes Stück des Tonsatzes sagt uns: mich schuf ein Meister. Gleich einem Feuerstrom von Lebenskraft und Lebensfreude rauscht die Musik an uns vorüber, im freiesten, übermütigsten Spiel der Töne noch das klare Ebenmaß bewahrend und so nur neue bis dahin ungekannte Erscheinungen der ewig einen musikalischen Schönheit herausführend.
Im Sommer des Jahres 1879 veranstalteten zur Freude des musik¬ liebenden Leipzigs ehemalige Mitglieder der Gesangsbühne des Neuen Theaters ein mehrtägiges Gastspiel im Carola-Theater. Eines Abends führten sie nach einander Händels Almira und Mozarts Figaro ans. Der heldenhafte Schritt
dankbarer Freude zuhören. Aber wir ahnen dabei, daß jenseits ihres Ge¬ sichtskreises uoch eine andre Welt liegt, die sie nicht entdecken, die aber darum der Kunst, dieser umfassendsten Bethätigung des Menschengeistes, ganz sicher nicht verschlossen bleiben wird.
Kein einzelner Künstler vermag die Fülle der Gestalten des Lebens in seine Werke zu bannen. Auch Mozart hat es nicht gethan. Zwar spiegelt sich die Welt, die hinter dem Horizont eines Bach und eines Händel begann, die Welt der menschlichen Leidenschaft, bereits in Mozarts Werken. Allein er verliert sich noch nicht in der Ausmalung ihrer einzelnen Erscheinungen, und niemals läßt er sie so nahe auf sich eindringen, daß sie seinen Blick vollständig ausfüllte. Das Bild, das er von ihr auffängt und verarbeitet vor uns hin¬ stellt, bewahrt von ihr nnr die der Musik erreichbaren Grundlinien; und seinerseits ist es ausnahmslos einem größern Bilde eingeordnet. Das sind ja die beiden Wege, auf denen wir Land erblicken können, das hinter den Grenzen unsers Gesichtsfeldes liegt. Wem es um Einzelheiten zu thun ist, der macht sich auf und betritt den gesuchten Boden. Wer dagegen einen Über¬ blick und ein Gesamtbild erhalten will, wird versuchen, eine Hohe zu gewinnen und von dort aus die erweiterte Fläche in sich aufzunehmen. Dies ist bildlich beschrieben der Weg des Künstlers, den die wachsende Kraft der Anschauung zu immer freiern Höhen emportrügt.
Auch Mozart durchläuft, wie es von seinem künstlerischen Ebenbilde Rafael bekannt ist, im ersten Zeitraum seines Schaffens die Bahnen seiner Vorgänger. Er durchläuft sie spielend; das heißt, er übt und steigert an ihren Formen seine Gestaltungskraft. Allein sein innerstes, ihm selbst verborgnes Wesen erschließt sich hier noch nicht, wiewohl es sich an vereinzelten Stellen ankündigt. Auf dieser Stufe übertrifft oder vielmehr erreicht er darum auch nicht die ältern Meister. Er kann uoch uicht oder er mag noch nicht sein Bestes geben. Er bewegt sich in einer Umgebung, in der er sich nicht heimisch fühlt. Es ist der Instinkt des Genius, der ihn das Feld seiner Herrschaft höher suchen läßt; von diesem Instinkt getrieben, eilt er vorwärts.
In Figaros Hochzeit ist das Gebiet der zünftigen Musik verlasse». Die Kunst wie der Künstler haben in diesem Werke die Fesseln der Schule ab¬ gestreift; jedes Stück des Tonsatzes sagt uns: mich schuf ein Meister. Gleich einem Feuerstrom von Lebenskraft und Lebensfreude rauscht die Musik an uns vorüber, im freiesten, übermütigsten Spiel der Töne noch das klare Ebenmaß bewahrend und so nur neue bis dahin ungekannte Erscheinungen der ewig einen musikalischen Schönheit herausführend.
Im Sommer des Jahres 1879 veranstalteten zur Freude des musik¬ liebenden Leipzigs ehemalige Mitglieder der Gesangsbühne des Neuen Theaters ein mehrtägiges Gastspiel im Carola-Theater. Eines Abends führten sie nach einander Händels Almira und Mozarts Figaro ans. Der heldenhafte Schritt
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dankbarer Freude zuhören. Aber wir ahnen dabei, daß jenseits ihres Ge¬
sichtskreises uoch eine andre Welt liegt, die sie nicht entdecken, die aber darum
der Kunst, dieser umfassendsten Bethätigung des Menschengeistes, ganz sicher
nicht verschlossen bleiben wird.
Kein einzelner Künstler vermag die Fülle der Gestalten des Lebens in
seine Werke zu bannen. Auch Mozart hat es nicht gethan. Zwar spiegelt
sich die Welt, die hinter dem Horizont eines Bach und eines Händel begann,
die Welt der menschlichen Leidenschaft, bereits in Mozarts Werken. Allein er
verliert sich noch nicht in der Ausmalung ihrer einzelnen Erscheinungen, und
niemals läßt er sie so nahe auf sich eindringen, daß sie seinen Blick vollständig
ausfüllte. Das Bild, das er von ihr auffängt und verarbeitet vor uns hin¬
stellt, bewahrt von ihr nnr die der Musik erreichbaren Grundlinien; und
seinerseits ist es ausnahmslos einem größern Bilde eingeordnet. Das sind
ja die beiden Wege, auf denen wir Land erblicken können, das hinter den
Grenzen unsers Gesichtsfeldes liegt. Wem es um Einzelheiten zu thun ist,
der macht sich auf und betritt den gesuchten Boden. Wer dagegen einen Über¬
blick und ein Gesamtbild erhalten will, wird versuchen, eine Hohe zu gewinnen
und von dort aus die erweiterte Fläche in sich aufzunehmen. Dies ist bildlich
beschrieben der Weg des Künstlers, den die wachsende Kraft der Anschauung
zu immer freiern Höhen emportrügt.
Auch Mozart durchläuft, wie es von seinem künstlerischen Ebenbilde
Rafael bekannt ist, im ersten Zeitraum seines Schaffens die Bahnen seiner
Vorgänger. Er durchläuft sie spielend; das heißt, er übt und steigert an
ihren Formen seine Gestaltungskraft. Allein sein innerstes, ihm selbst verborgnes
Wesen erschließt sich hier noch nicht, wiewohl es sich an vereinzelten Stellen
ankündigt. Auf dieser Stufe übertrifft oder vielmehr erreicht er darum auch
nicht die ältern Meister. Er kann uoch uicht oder er mag noch nicht sein
Bestes geben. Er bewegt sich in einer Umgebung, in der er sich nicht heimisch
fühlt. Es ist der Instinkt des Genius, der ihn das Feld seiner Herrschaft
höher suchen läßt; von diesem Instinkt getrieben, eilt er vorwärts.
In Figaros Hochzeit ist das Gebiet der zünftigen Musik verlasse». Die
Kunst wie der Künstler haben in diesem Werke die Fesseln der Schule ab¬
gestreift; jedes Stück des Tonsatzes sagt uns: mich schuf ein Meister. Gleich
einem Feuerstrom von Lebenskraft und Lebensfreude rauscht die Musik an uns
vorüber, im freiesten, übermütigsten Spiel der Töne noch das klare Ebenmaß
bewahrend und so nur neue bis dahin ungekannte Erscheinungen der ewig
einen musikalischen Schönheit herausführend.
Im Sommer des Jahres 1879 veranstalteten zur Freude des musik¬
liebenden Leipzigs ehemalige Mitglieder der Gesangsbühne des Neuen Theaters
ein mehrtägiges Gastspiel im Carola-Theater. Eines Abends führten sie nach
einander Händels Almira und Mozarts Figaro ans. Der heldenhafte Schritt
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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/305>, abgerufen am 25.02.2025.
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