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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Mozarts Bild nach hundert Jahre"

eine unzulängliche Darstellung an bedeutenden stosset? heranreifen; jetzt paßt
eine vollkommen ausgebildete Technik jeden Gegenstand dem Bedürfnisse der
vorteilhafteste" Entfaltung ihrer Mittel an. Die souveräne Beherrschung dieser
Mittel erzeugt die Neigung, mit ihnen zu spielen lind ihre Elastizität an Auf¬
gabelt zu erproben, die uur oder doch vorzugsweise mich ihrer Tauglichkeit
für diesen Zweck ausgewählt werden. Das Verlangen, die Leistungsfähigkeit
einer Mache auszunutzen, die den Erfahrungsschatz von Jahrhunderten ver¬
arbeitet, gewinnt die Oberhand über die zarte Rücksicht auf die Grenzen des
betreffenden Kunstgebietes, die einst, als nie versagende Fühlung mit diesen
Grenzen, das kostbarste Besitztum der Vlüteperivdc bildete. So regelmäßig,
daß auch hier jede Annahme eines Zufalls ausgeschlossen ist, sehen wir jene
Mache sich mit Vorliebe in der Farbengebung bethätigen und die Linienfüh-
rung vernachlässigen. Die Malerei übertönt die Zeichnung, die Harmonik die
Melodie; im Roman erdrückt das "Milieu" die Erzählung, lind das Drama
fällt in eine Reihe von Bildern ans einander, die im Gewände von "geschicht¬
lich treuen" Kostümen und "naturwahren" Kulissen an uns vorüberziehen,
eine Bahn, in deren Verfolgung das Schauspiel uach und nach auf die Stufe
des Wandelpanoramas hinuntersinkt.

Mit diesem zunehmenden Hervortrete" der Technik steht in solchen Zeiten
einer sinkenden Kunst das gleichzeitige Erlahmen des Erfindnngsvermögens in
deutlicher Wechselwirkung. Behauptete dieses Vermögen seine frühere Hohe,
so würde es zu der aufstrebenden Technik immer noch ein entsprechendes Gegen¬
gewicht bilden und sie dadurch vor Ausschreitungen bewahren, die nicht zuletzt
dem Bedürfnis entstammen, die Lücken der versiegenden Erfindung weniger
fühlbar zu machen. Und umgekehrt. Die Gabe der Erfindung, der innern
Anschauung läßt sich, wenn sie nicht angeboren ist, mit keinen Mitteln, mich
durch das ernsteste Streben uicht, erwerben. Anders das Darstellungsvermögen.
Bis zu einem recht ansehnlichen Grade ist es der Dnrchschnittsbegabnng und
dem Fleiße zugänglich, kaun es ohne die Voraussetzung einer schöpferischen
Anlage erlernt werden. In demselben Maße also, wie dieser Bestandteil der
künstlerischen Thätigkeit in der künstlerischen Produktion eines Zeitalters das
Übergewicht erlaugt, erweitert sich nnmittelbnr der Kreis derer, die zur Aus-
übung der betreffenden Kunst imstande sind; und in demselben Verhältnis senkt
sich notwendigermaßen das Nivean der künstlerische" Erzeugnisse. I^"" äimix
s'su vont, das Zeitalter der Epigonen bricht herein. Wohl treten anfangs
noch vereinzelte hervorragende Erscheinungen ans, um Haupteslänge über die
Mitstrebenden hinauswachsend und an die entschwundnen Götterbilder gemahnend.
Dann geht aber auch ihre Zeit vorüber. Die Talente schießen wie Pilze aus
dem Boden, und sie bestätigen alsbald die alte Erfahrung: so blind das Genie
für seineu Vorteil war, so gilt versteht sich das Talent auf den seinigen. Deal
seht nur wie mag es doch zugehn? --: ein Hause von Schaulustigen um-


Mozarts Bild nach hundert Jahre»

eine unzulängliche Darstellung an bedeutenden stosset? heranreifen; jetzt paßt
eine vollkommen ausgebildete Technik jeden Gegenstand dem Bedürfnisse der
vorteilhafteste» Entfaltung ihrer Mittel an. Die souveräne Beherrschung dieser
Mittel erzeugt die Neigung, mit ihnen zu spielen lind ihre Elastizität an Auf¬
gabelt zu erproben, die uur oder doch vorzugsweise mich ihrer Tauglichkeit
für diesen Zweck ausgewählt werden. Das Verlangen, die Leistungsfähigkeit
einer Mache auszunutzen, die den Erfahrungsschatz von Jahrhunderten ver¬
arbeitet, gewinnt die Oberhand über die zarte Rücksicht auf die Grenzen des
betreffenden Kunstgebietes, die einst, als nie versagende Fühlung mit diesen
Grenzen, das kostbarste Besitztum der Vlüteperivdc bildete. So regelmäßig,
daß auch hier jede Annahme eines Zufalls ausgeschlossen ist, sehen wir jene
Mache sich mit Vorliebe in der Farbengebung bethätigen und die Linienfüh-
rung vernachlässigen. Die Malerei übertönt die Zeichnung, die Harmonik die
Melodie; im Roman erdrückt das „Milieu" die Erzählung, lind das Drama
fällt in eine Reihe von Bildern ans einander, die im Gewände von „geschicht¬
lich treuen" Kostümen und „naturwahren" Kulissen an uns vorüberziehen,
eine Bahn, in deren Verfolgung das Schauspiel uach und nach auf die Stufe
des Wandelpanoramas hinuntersinkt.

Mit diesem zunehmenden Hervortrete» der Technik steht in solchen Zeiten
einer sinkenden Kunst das gleichzeitige Erlahmen des Erfindnngsvermögens in
deutlicher Wechselwirkung. Behauptete dieses Vermögen seine frühere Hohe,
so würde es zu der aufstrebenden Technik immer noch ein entsprechendes Gegen¬
gewicht bilden und sie dadurch vor Ausschreitungen bewahren, die nicht zuletzt
dem Bedürfnis entstammen, die Lücken der versiegenden Erfindung weniger
fühlbar zu machen. Und umgekehrt. Die Gabe der Erfindung, der innern
Anschauung läßt sich, wenn sie nicht angeboren ist, mit keinen Mitteln, mich
durch das ernsteste Streben uicht, erwerben. Anders das Darstellungsvermögen.
Bis zu einem recht ansehnlichen Grade ist es der Dnrchschnittsbegabnng und
dem Fleiße zugänglich, kaun es ohne die Voraussetzung einer schöpferischen
Anlage erlernt werden. In demselben Maße also, wie dieser Bestandteil der
künstlerischen Thätigkeit in der künstlerischen Produktion eines Zeitalters das
Übergewicht erlaugt, erweitert sich nnmittelbnr der Kreis derer, die zur Aus-
übung der betreffenden Kunst imstande sind; und in demselben Verhältnis senkt
sich notwendigermaßen das Nivean der künstlerische» Erzeugnisse. I^«» äimix
s'su vont, das Zeitalter der Epigonen bricht herein. Wohl treten anfangs
noch vereinzelte hervorragende Erscheinungen ans, um Haupteslänge über die
Mitstrebenden hinauswachsend und an die entschwundnen Götterbilder gemahnend.
Dann geht aber auch ihre Zeit vorüber. Die Talente schießen wie Pilze aus
dem Boden, und sie bestätigen alsbald die alte Erfahrung: so blind das Genie
für seineu Vorteil war, so gilt versteht sich das Talent auf den seinigen. Deal
seht nur wie mag es doch zugehn? —: ein Hause von Schaulustigen um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/301>, abgerufen am 25.06.2024.