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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Sozialismus, weil sich unter ihm die Lage der Arbeiter trotz aller
"Reformen" nur verschlechtere. Die Schlußworte der Liebknechtschen Rede auf
dem Parteitage sind bezeichnend: "Je mehr der Kapitalismus einsieht, daß er
nicht bestehen kann, daß ihn die Entfaltung seiner Produktionskräfte zersprengt,
desto näher ist auch der Augenblick gekommen, wo der Staatssozialismus in
volle Erscheinung tritt, sodaß ich glaube, der letzte Kampf, den die Sozial¬
demokratie zu bestehen hat, er wird ausgefochten werden unter dem Schlachtruf:
Hie Sozialdemokratie, hie Staatssozialismus!" Nun kann die Entscheidung
zwischen den beiden Arten des Sozialismus, sagen wir kurz: des konservativen
und des demokratischen, auch sehr wohl auf dem Gebiete des Militärwesens
zum Austrag kommen. Die "soziale Revolution" kann "durch Konzessionen
von oben" hervorgerufen werden, auch durch militärische. Die Volksmiliz
allein wäre schon gleich bedeutend mit der Vernichtung der sogenannten "Re¬
aktion," die der "innere Feind" der Sozialdemokratie ist. Wie nach der sozial-
demokratischen Theorie der Kapitalismus auf dem Höhepunkt seiner Entwick¬
lung in sein Gegenteil umschlagen wird, so daß die "Expropriation der Ex¬
propriateure" vor sich geht und das Privateigentum in Gemeineigentum ver¬
wandelt wird, wodurch alle gleichberechtigt und gleich reich werden, so kann
sich in ähnlicher Weise der Militarismus weiter entwickeln, bis das ganze
Volk aus lauter bewaffnete" Männern mit gleichem Recht und Anspruch be¬
steht (wenn auch, wie wir unsrerseits annehmen würden, nur vorübergehend,
etwa während des Verlaufs einer Revolutionszeit). Will der Staat dieser
Entwicklung Einhalt thun, so muß er sich selbst, als Herr über das
Militär, der er heutzutage ist, und über das Kapital, der er nach sozial-
demokratischer Meinung sein sollte, Halt gebieten, er muß sich selbst, um
sich nicht zu überschlage,,, ein entschiednes: Bis hierher und nicht weiter!
zurufen. Hat nun der Staat die Kraft, sich einem konservativen Sozialismus
zuzuwenden, der allen Unterthanen ihre gebührenden Rechte sichert, den höher"
Ständen sowohl als den niedern und dem Mittelstande, dem Kapital sowohl
als der Arbeit, dem Soldaten sowohl als dem Bürger? Hat er die Kraft,
sich nach außen zu schützen, ohne die bisherige militärische Grundlage seiner
Existenz gänzlich aufzugeben? und hat er auch den Willen dazu, kann er ihn
überhaupt haben? Die Sozialdemokraten antworten mit nein. Was sie selbst
versprechen, ist im Grunde nichts andres, als daß sie billiger haushalten,
billiger regieren würden, sodaß sie auch tausend andern Ansprüchen, als den
militärischen, gerecht zu werdeu vermöchten; aber wenn sie je in die Lage
kommen, zu versuchen, ihre Versprechungen zu halten, wie werden sie das fertig
bringen? Die gewöhnlichen politischen Mittel und Wege würden dazu uicht
ausreichen.

Wenn wir, statt auf die Einzelheiten der Militärvorlage selbst einzugehn,
die Stellung der Sozialdemokratie zur allgemeinen Wehrpflicht und zur Dienst-


Sozialismus, weil sich unter ihm die Lage der Arbeiter trotz aller
„Reformen" nur verschlechtere. Die Schlußworte der Liebknechtschen Rede auf
dem Parteitage sind bezeichnend: „Je mehr der Kapitalismus einsieht, daß er
nicht bestehen kann, daß ihn die Entfaltung seiner Produktionskräfte zersprengt,
desto näher ist auch der Augenblick gekommen, wo der Staatssozialismus in
volle Erscheinung tritt, sodaß ich glaube, der letzte Kampf, den die Sozial¬
demokratie zu bestehen hat, er wird ausgefochten werden unter dem Schlachtruf:
Hie Sozialdemokratie, hie Staatssozialismus!" Nun kann die Entscheidung
zwischen den beiden Arten des Sozialismus, sagen wir kurz: des konservativen
und des demokratischen, auch sehr wohl auf dem Gebiete des Militärwesens
zum Austrag kommen. Die „soziale Revolution" kann „durch Konzessionen
von oben" hervorgerufen werden, auch durch militärische. Die Volksmiliz
allein wäre schon gleich bedeutend mit der Vernichtung der sogenannten „Re¬
aktion," die der „innere Feind" der Sozialdemokratie ist. Wie nach der sozial-
demokratischen Theorie der Kapitalismus auf dem Höhepunkt seiner Entwick¬
lung in sein Gegenteil umschlagen wird, so daß die „Expropriation der Ex¬
propriateure" vor sich geht und das Privateigentum in Gemeineigentum ver¬
wandelt wird, wodurch alle gleichberechtigt und gleich reich werden, so kann
sich in ähnlicher Weise der Militarismus weiter entwickeln, bis das ganze
Volk aus lauter bewaffnete» Männern mit gleichem Recht und Anspruch be¬
steht (wenn auch, wie wir unsrerseits annehmen würden, nur vorübergehend,
etwa während des Verlaufs einer Revolutionszeit). Will der Staat dieser
Entwicklung Einhalt thun, so muß er sich selbst, als Herr über das
Militär, der er heutzutage ist, und über das Kapital, der er nach sozial-
demokratischer Meinung sein sollte, Halt gebieten, er muß sich selbst, um
sich nicht zu überschlage,,, ein entschiednes: Bis hierher und nicht weiter!
zurufen. Hat nun der Staat die Kraft, sich einem konservativen Sozialismus
zuzuwenden, der allen Unterthanen ihre gebührenden Rechte sichert, den höher»
Ständen sowohl als den niedern und dem Mittelstande, dem Kapital sowohl
als der Arbeit, dem Soldaten sowohl als dem Bürger? Hat er die Kraft,
sich nach außen zu schützen, ohne die bisherige militärische Grundlage seiner
Existenz gänzlich aufzugeben? und hat er auch den Willen dazu, kann er ihn
überhaupt haben? Die Sozialdemokraten antworten mit nein. Was sie selbst
versprechen, ist im Grunde nichts andres, als daß sie billiger haushalten,
billiger regieren würden, sodaß sie auch tausend andern Ansprüchen, als den
militärischen, gerecht zu werdeu vermöchten; aber wenn sie je in die Lage
kommen, zu versuchen, ihre Versprechungen zu halten, wie werden sie das fertig
bringen? Die gewöhnlichen politischen Mittel und Wege würden dazu uicht
ausreichen.

Wenn wir, statt auf die Einzelheiten der Militärvorlage selbst einzugehn,
die Stellung der Sozialdemokratie zur allgemeinen Wehrpflicht und zur Dienst-


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[0170] Sozialismus, weil sich unter ihm die Lage der Arbeiter trotz aller „Reformen" nur verschlechtere. Die Schlußworte der Liebknechtschen Rede auf dem Parteitage sind bezeichnend: „Je mehr der Kapitalismus einsieht, daß er nicht bestehen kann, daß ihn die Entfaltung seiner Produktionskräfte zersprengt, desto näher ist auch der Augenblick gekommen, wo der Staatssozialismus in volle Erscheinung tritt, sodaß ich glaube, der letzte Kampf, den die Sozial¬ demokratie zu bestehen hat, er wird ausgefochten werden unter dem Schlachtruf: Hie Sozialdemokratie, hie Staatssozialismus!" Nun kann die Entscheidung zwischen den beiden Arten des Sozialismus, sagen wir kurz: des konservativen und des demokratischen, auch sehr wohl auf dem Gebiete des Militärwesens zum Austrag kommen. Die „soziale Revolution" kann „durch Konzessionen von oben" hervorgerufen werden, auch durch militärische. Die Volksmiliz allein wäre schon gleich bedeutend mit der Vernichtung der sogenannten „Re¬ aktion," die der „innere Feind" der Sozialdemokratie ist. Wie nach der sozial- demokratischen Theorie der Kapitalismus auf dem Höhepunkt seiner Entwick¬ lung in sein Gegenteil umschlagen wird, so daß die „Expropriation der Ex¬ propriateure" vor sich geht und das Privateigentum in Gemeineigentum ver¬ wandelt wird, wodurch alle gleichberechtigt und gleich reich werden, so kann sich in ähnlicher Weise der Militarismus weiter entwickeln, bis das ganze Volk aus lauter bewaffnete» Männern mit gleichem Recht und Anspruch be¬ steht (wenn auch, wie wir unsrerseits annehmen würden, nur vorübergehend, etwa während des Verlaufs einer Revolutionszeit). Will der Staat dieser Entwicklung Einhalt thun, so muß er sich selbst, als Herr über das Militär, der er heutzutage ist, und über das Kapital, der er nach sozial- demokratischer Meinung sein sollte, Halt gebieten, er muß sich selbst, um sich nicht zu überschlage,,, ein entschiednes: Bis hierher und nicht weiter! zurufen. Hat nun der Staat die Kraft, sich einem konservativen Sozialismus zuzuwenden, der allen Unterthanen ihre gebührenden Rechte sichert, den höher» Ständen sowohl als den niedern und dem Mittelstande, dem Kapital sowohl als der Arbeit, dem Soldaten sowohl als dem Bürger? Hat er die Kraft, sich nach außen zu schützen, ohne die bisherige militärische Grundlage seiner Existenz gänzlich aufzugeben? und hat er auch den Willen dazu, kann er ihn überhaupt haben? Die Sozialdemokraten antworten mit nein. Was sie selbst versprechen, ist im Grunde nichts andres, als daß sie billiger haushalten, billiger regieren würden, sodaß sie auch tausend andern Ansprüchen, als den militärischen, gerecht zu werdeu vermöchten; aber wenn sie je in die Lage kommen, zu versuchen, ihre Versprechungen zu halten, wie werden sie das fertig bringen? Die gewöhnlichen politischen Mittel und Wege würden dazu uicht ausreichen. Wenn wir, statt auf die Einzelheiten der Militärvorlage selbst einzugehn, die Stellung der Sozialdemokratie zur allgemeinen Wehrpflicht und zur Dienst-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/170>, abgerufen am 25.06.2024.