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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Schulkalender

kommt es, daß er auch in die Hände von Schülern, und zwar von Schülern
des verschiedensten Alters, gerät, zu deren religiösen und sonstigen Anschauungen,
wie sie der Charakter des Elternhauses mit sich bringt, er in keiner Weise paßt;
daß "die Kinder den Eltern gehören," wollen eben gewisse Leute nur dann
anerkennen, wenn die Eltern ihnen "gehören." Daß dann Ärgernis entsteht,
das sich durch Ausreißen von Blättern, polemische Randbemerkungen von jugend¬
licher Einseitigkeit und Derbheit zeigt, und so das Übel sortzeugend Böses ge¬
bärt, liegt auf der Hand, und so muß schou hier die Frage aufgeworfen werden,
ob diese Art, dem berühmten "konfessionellen Frieden" zu dienen, mehr der
Naivität oder mehr der Berechnung entspringt. Befördert wird die Verbrei¬
tung auch in diesen Kreisen durch den Umstand, daß die Schreibmaterialien-
Händler in den kleinen Städten -- ob sie dazu vom Verleger in den Stand
gesetzt werden, bleibe dahingestellt -- den Kalender ihren jugendlichen Kunden,
um sie anzulocken, als "Prämie" verehren und so nach dem Satze, daß man
dem geschenkten Gaul nicht ins Maul sieht, ihm eine willigere Aufnahme be¬
reiten. Am wirksamsten aber wird diese Aufnahme gesichert durch die warme
Empfehlung der katholischen Religionslehrer, die nicht bloß ihr persönliches
Ansehn, sondern auch ihr Amt, für das sie, wie sie beanspruchen, in diesem
Falle von jeder "staatlichen Bevormundung" frei sind, zu dieser segenbringenden
Propaganda benutzen.

Der Kenner freilich merkt den Butzen leicht. Der Kalender nennt als
Verlagsort Donauwörth, einen Namen, der in der deutschen Geschichte auch
sonst schwarz angestrichen ist. Ausgeschmückt ist er im Jahrgange 1892 vor
dem Titelblatt mit dem Bildnis des Thomas von Aquino, der durch seine nahen
Beziehungen zum Gymnasialunterricht des ausgehenden neunzehnten Jahrhun¬
derts diesen Ehrenplatz gewiß verdient. Der Jahrgang 1893 weist eine Reihe
von Bildnissen mehr "aktueller" Persönlichkeiten auf; voran Johannes Janssen
und Ouro Klopp, die aber als besondre Förderer der deutschen Gymnasial¬
bildung doch auch nicht bekannt sind, wenn sie auch auf andern Gebieten ihre
mehr oder weniger bestrittnen Verdienste als Gelehrte und Parteischriftsteller
haben mögen. Fügen wir noch hinzu, daß die innern Seiten des Einhards
eine empfehlende Aufzählung "vorzüglicher Unterrichtsbücher und Schriften"
enthält, die von Baumgartner 8.^. über Brunner zu Janssen, von da über
Pestel?)r zu Pater Koch 8. ^. mit seinen "Grundirrtümern unsrer Zeit" führt,
dazwischen zur Maskirung etliche harmlose lateinische und griechische Übungs¬
bücher anführt, in allem aber, worin eine scharf ausgesprochne Tendenz und
Polemik liegt, ausschließlich die bekannten Firmen von Freiburg, Augsburg,
Paderborn und Köln berücksichtigt, so wollen wir damit dem Wert und der
Bedeutung mancher der aufgeführten Schriften in keiner Weise zu nahe treten;
ob sie aber gerade geeignet sind, mehr oder weniger grünen Jungen empfohlen
und vor andern ans Herz gelegt zu werden, möchten wir doch^sehr bezweifeln.


Katholische Schulkalender

kommt es, daß er auch in die Hände von Schülern, und zwar von Schülern
des verschiedensten Alters, gerät, zu deren religiösen und sonstigen Anschauungen,
wie sie der Charakter des Elternhauses mit sich bringt, er in keiner Weise paßt;
daß „die Kinder den Eltern gehören," wollen eben gewisse Leute nur dann
anerkennen, wenn die Eltern ihnen „gehören." Daß dann Ärgernis entsteht,
das sich durch Ausreißen von Blättern, polemische Randbemerkungen von jugend¬
licher Einseitigkeit und Derbheit zeigt, und so das Übel sortzeugend Böses ge¬
bärt, liegt auf der Hand, und so muß schou hier die Frage aufgeworfen werden,
ob diese Art, dem berühmten „konfessionellen Frieden" zu dienen, mehr der
Naivität oder mehr der Berechnung entspringt. Befördert wird die Verbrei¬
tung auch in diesen Kreisen durch den Umstand, daß die Schreibmaterialien-
Händler in den kleinen Städten — ob sie dazu vom Verleger in den Stand
gesetzt werden, bleibe dahingestellt — den Kalender ihren jugendlichen Kunden,
um sie anzulocken, als „Prämie" verehren und so nach dem Satze, daß man
dem geschenkten Gaul nicht ins Maul sieht, ihm eine willigere Aufnahme be¬
reiten. Am wirksamsten aber wird diese Aufnahme gesichert durch die warme
Empfehlung der katholischen Religionslehrer, die nicht bloß ihr persönliches
Ansehn, sondern auch ihr Amt, für das sie, wie sie beanspruchen, in diesem
Falle von jeder „staatlichen Bevormundung" frei sind, zu dieser segenbringenden
Propaganda benutzen.

Der Kenner freilich merkt den Butzen leicht. Der Kalender nennt als
Verlagsort Donauwörth, einen Namen, der in der deutschen Geschichte auch
sonst schwarz angestrichen ist. Ausgeschmückt ist er im Jahrgange 1892 vor
dem Titelblatt mit dem Bildnis des Thomas von Aquino, der durch seine nahen
Beziehungen zum Gymnasialunterricht des ausgehenden neunzehnten Jahrhun¬
derts diesen Ehrenplatz gewiß verdient. Der Jahrgang 1893 weist eine Reihe
von Bildnissen mehr „aktueller" Persönlichkeiten auf; voran Johannes Janssen
und Ouro Klopp, die aber als besondre Förderer der deutschen Gymnasial¬
bildung doch auch nicht bekannt sind, wenn sie auch auf andern Gebieten ihre
mehr oder weniger bestrittnen Verdienste als Gelehrte und Parteischriftsteller
haben mögen. Fügen wir noch hinzu, daß die innern Seiten des Einhards
eine empfehlende Aufzählung „vorzüglicher Unterrichtsbücher und Schriften"
enthält, die von Baumgartner 8.^. über Brunner zu Janssen, von da über
Pestel?)r zu Pater Koch 8. ^. mit seinen „Grundirrtümern unsrer Zeit" führt,
dazwischen zur Maskirung etliche harmlose lateinische und griechische Übungs¬
bücher anführt, in allem aber, worin eine scharf ausgesprochne Tendenz und
Polemik liegt, ausschließlich die bekannten Firmen von Freiburg, Augsburg,
Paderborn und Köln berücksichtigt, so wollen wir damit dem Wert und der
Bedeutung mancher der aufgeführten Schriften in keiner Weise zu nahe treten;
ob sie aber gerade geeignet sind, mehr oder weniger grünen Jungen empfohlen
und vor andern ans Herz gelegt zu werden, möchten wir doch^sehr bezweifeln.


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[0142] Katholische Schulkalender kommt es, daß er auch in die Hände von Schülern, und zwar von Schülern des verschiedensten Alters, gerät, zu deren religiösen und sonstigen Anschauungen, wie sie der Charakter des Elternhauses mit sich bringt, er in keiner Weise paßt; daß „die Kinder den Eltern gehören," wollen eben gewisse Leute nur dann anerkennen, wenn die Eltern ihnen „gehören." Daß dann Ärgernis entsteht, das sich durch Ausreißen von Blättern, polemische Randbemerkungen von jugend¬ licher Einseitigkeit und Derbheit zeigt, und so das Übel sortzeugend Böses ge¬ bärt, liegt auf der Hand, und so muß schou hier die Frage aufgeworfen werden, ob diese Art, dem berühmten „konfessionellen Frieden" zu dienen, mehr der Naivität oder mehr der Berechnung entspringt. Befördert wird die Verbrei¬ tung auch in diesen Kreisen durch den Umstand, daß die Schreibmaterialien- Händler in den kleinen Städten — ob sie dazu vom Verleger in den Stand gesetzt werden, bleibe dahingestellt — den Kalender ihren jugendlichen Kunden, um sie anzulocken, als „Prämie" verehren und so nach dem Satze, daß man dem geschenkten Gaul nicht ins Maul sieht, ihm eine willigere Aufnahme be¬ reiten. Am wirksamsten aber wird diese Aufnahme gesichert durch die warme Empfehlung der katholischen Religionslehrer, die nicht bloß ihr persönliches Ansehn, sondern auch ihr Amt, für das sie, wie sie beanspruchen, in diesem Falle von jeder „staatlichen Bevormundung" frei sind, zu dieser segenbringenden Propaganda benutzen. Der Kenner freilich merkt den Butzen leicht. Der Kalender nennt als Verlagsort Donauwörth, einen Namen, der in der deutschen Geschichte auch sonst schwarz angestrichen ist. Ausgeschmückt ist er im Jahrgange 1892 vor dem Titelblatt mit dem Bildnis des Thomas von Aquino, der durch seine nahen Beziehungen zum Gymnasialunterricht des ausgehenden neunzehnten Jahrhun¬ derts diesen Ehrenplatz gewiß verdient. Der Jahrgang 1893 weist eine Reihe von Bildnissen mehr „aktueller" Persönlichkeiten auf; voran Johannes Janssen und Ouro Klopp, die aber als besondre Förderer der deutschen Gymnasial¬ bildung doch auch nicht bekannt sind, wenn sie auch auf andern Gebieten ihre mehr oder weniger bestrittnen Verdienste als Gelehrte und Parteischriftsteller haben mögen. Fügen wir noch hinzu, daß die innern Seiten des Einhards eine empfehlende Aufzählung „vorzüglicher Unterrichtsbücher und Schriften" enthält, die von Baumgartner 8.^. über Brunner zu Janssen, von da über Pestel?)r zu Pater Koch 8. ^. mit seinen „Grundirrtümern unsrer Zeit" führt, dazwischen zur Maskirung etliche harmlose lateinische und griechische Übungs¬ bücher anführt, in allem aber, worin eine scharf ausgesprochne Tendenz und Polemik liegt, ausschließlich die bekannten Firmen von Freiburg, Augsburg, Paderborn und Köln berücksichtigt, so wollen wir damit dem Wert und der Bedeutung mancher der aufgeführten Schriften in keiner Weise zu nahe treten; ob sie aber gerade geeignet sind, mehr oder weniger grünen Jungen empfohlen und vor andern ans Herz gelegt zu werden, möchten wir doch^sehr bezweifeln.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/142>, abgerufen am 01.09.2024.