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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Schnlkalender

weniger Eifer und Geschick -- im Eifer möchten wir den Klerikalen, im Geschick
den Sozialisten die Palme zuerkennen --, und sie alle hoffen ihre blaue oder
rote, schwarze oder weiße Saat daraus ersprießen zu sehen.

Dagegen läßt sich in dem Zeitalter der Presse und des allgemeinen Stimm¬
rechts um so weniger sagen/als diese Art der Schriftstellerei seit dem Wands¬
becker Boten und dem Rheinischen Hausfreund schon manche schöne und auch
für ein unbefangnes Gemüt erfreuliche Frucht am Baume der deutschen Litte¬
ratur gezeitigt hat. Bedenklicher schon ist es, wenn sich diese stille Agitation,
wie es teilweise bei den sogenannten Schul- oder, wie man in Süddentschland
sagt, Studienkalendern der Fall ist, den empfänglichen Boden der unreifen
und unselbständigen Jugend ausersieht, um ihren oft in Wahrheit giftigen
Samen hineinzustrenen. Es ist keineswegs bloß gewissenlose Buchmacherei
oder Vuchhändlerspeknlation, die oft nicht weiß, was sie thut, obwohl sich
diese meist damit verbindet, sondern im Bunde damit gar häufig eine ihrer
Ziele wohl bewußte, wenn auch mit ihren Mitteln oft sehr plump drein-
fahrende parteipolitische Tendenz, die man in dieser Beziehung anklagen
muß. Am schlimmsten aber ist es, wenn sich die in unsern Tagen so üppig
in die Halme schießende psendoreligiöse Plusmacherei dieses Mittels bedient
und so eine an sich gute und edle Sache, wie es echte Religiosität ist, zu sich
herunter in den eignen Staub zieht und ihr Wunden beibringt, die sich in
der weitern Entwicklung beinahe als tötlich erweisen könnten.

Das letztere glauben wir mit Fug sagen zu dürfen von einem sogenannten
Studienkalender, der uns in mehreren Jahrgängen vorliegt, seit einer langen
Reihe von Jahren erscheint -- der neueste Jahrgang nenut sich deu fünf¬
zehnten -- und ohne Zweifel nicht der einzige seiner Art ist. Doch be¬
schränken wir uns auf den aktenmäßig vorliegende!, Bestand. Seine Heimat
ist das katholische Baiern, von wo ans er auch in das benachbarte Württem¬
berg eindringt und einem verdienstvollen andern Unternehmen dieser Art, dem
von dem Gymnasiallehrer Dr. Krapff in Ulm herausgegebnen Studienkalender,
eine teilweise erfolgreiche .Konkurrenz macht. Freilich hat dieser den schweren
Fehler, daß er rein gymnasial-technischer Art ist, nur die Bedürfnisse des Gym-
nasialuuterrichts berücksichtigt, keinerlei politischen oder kirchenpolitischen Neben-
intercssen dient und so natürlich um "kalter Farblosigkeit" und "schwäch¬
licher Indifferenz" leidet; auch mag der Umstand, daß sich der Verfasser darauf
versteift, den Kalender nicht bloß selber zu verlegen, sondern auch selber zu
drucken und zu vertreiben, seiner Verbreitung ein äußeres Hindernis in den
Weg legen. Der andre läßt seine ausgesprochne kirchliche Richtung klüglich
auf dein Titelblatt uicht erkennen, er nennt sich einfach "Taschenkalender für
die studirende Jugend," und da man in den katholischen Gegenden Süddeutsch¬
lands die Schiller der Gymnasien "Studenten" zu nennen Pflegt, so giebt er
sich damit einfach als ein Hilfsmittel für Gymnasiasten zu erkennen. So


Katholische Schnlkalender

weniger Eifer und Geschick — im Eifer möchten wir den Klerikalen, im Geschick
den Sozialisten die Palme zuerkennen —, und sie alle hoffen ihre blaue oder
rote, schwarze oder weiße Saat daraus ersprießen zu sehen.

Dagegen läßt sich in dem Zeitalter der Presse und des allgemeinen Stimm¬
rechts um so weniger sagen/als diese Art der Schriftstellerei seit dem Wands¬
becker Boten und dem Rheinischen Hausfreund schon manche schöne und auch
für ein unbefangnes Gemüt erfreuliche Frucht am Baume der deutschen Litte¬
ratur gezeitigt hat. Bedenklicher schon ist es, wenn sich diese stille Agitation,
wie es teilweise bei den sogenannten Schul- oder, wie man in Süddentschland
sagt, Studienkalendern der Fall ist, den empfänglichen Boden der unreifen
und unselbständigen Jugend ausersieht, um ihren oft in Wahrheit giftigen
Samen hineinzustrenen. Es ist keineswegs bloß gewissenlose Buchmacherei
oder Vuchhändlerspeknlation, die oft nicht weiß, was sie thut, obwohl sich
diese meist damit verbindet, sondern im Bunde damit gar häufig eine ihrer
Ziele wohl bewußte, wenn auch mit ihren Mitteln oft sehr plump drein-
fahrende parteipolitische Tendenz, die man in dieser Beziehung anklagen
muß. Am schlimmsten aber ist es, wenn sich die in unsern Tagen so üppig
in die Halme schießende psendoreligiöse Plusmacherei dieses Mittels bedient
und so eine an sich gute und edle Sache, wie es echte Religiosität ist, zu sich
herunter in den eignen Staub zieht und ihr Wunden beibringt, die sich in
der weitern Entwicklung beinahe als tötlich erweisen könnten.

Das letztere glauben wir mit Fug sagen zu dürfen von einem sogenannten
Studienkalender, der uns in mehreren Jahrgängen vorliegt, seit einer langen
Reihe von Jahren erscheint — der neueste Jahrgang nenut sich deu fünf¬
zehnten — und ohne Zweifel nicht der einzige seiner Art ist. Doch be¬
schränken wir uns auf den aktenmäßig vorliegende!, Bestand. Seine Heimat
ist das katholische Baiern, von wo ans er auch in das benachbarte Württem¬
berg eindringt und einem verdienstvollen andern Unternehmen dieser Art, dem
von dem Gymnasiallehrer Dr. Krapff in Ulm herausgegebnen Studienkalender,
eine teilweise erfolgreiche .Konkurrenz macht. Freilich hat dieser den schweren
Fehler, daß er rein gymnasial-technischer Art ist, nur die Bedürfnisse des Gym-
nasialuuterrichts berücksichtigt, keinerlei politischen oder kirchenpolitischen Neben-
intercssen dient und so natürlich um „kalter Farblosigkeit" und „schwäch¬
licher Indifferenz" leidet; auch mag der Umstand, daß sich der Verfasser darauf
versteift, den Kalender nicht bloß selber zu verlegen, sondern auch selber zu
drucken und zu vertreiben, seiner Verbreitung ein äußeres Hindernis in den
Weg legen. Der andre läßt seine ausgesprochne kirchliche Richtung klüglich
auf dein Titelblatt uicht erkennen, er nennt sich einfach „Taschenkalender für
die studirende Jugend," und da man in den katholischen Gegenden Süddeutsch¬
lands die Schiller der Gymnasien „Studenten" zu nennen Pflegt, so giebt er
sich damit einfach als ein Hilfsmittel für Gymnasiasten zu erkennen. So


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[0141] Katholische Schnlkalender weniger Eifer und Geschick — im Eifer möchten wir den Klerikalen, im Geschick den Sozialisten die Palme zuerkennen —, und sie alle hoffen ihre blaue oder rote, schwarze oder weiße Saat daraus ersprießen zu sehen. Dagegen läßt sich in dem Zeitalter der Presse und des allgemeinen Stimm¬ rechts um so weniger sagen/als diese Art der Schriftstellerei seit dem Wands¬ becker Boten und dem Rheinischen Hausfreund schon manche schöne und auch für ein unbefangnes Gemüt erfreuliche Frucht am Baume der deutschen Litte¬ ratur gezeitigt hat. Bedenklicher schon ist es, wenn sich diese stille Agitation, wie es teilweise bei den sogenannten Schul- oder, wie man in Süddentschland sagt, Studienkalendern der Fall ist, den empfänglichen Boden der unreifen und unselbständigen Jugend ausersieht, um ihren oft in Wahrheit giftigen Samen hineinzustrenen. Es ist keineswegs bloß gewissenlose Buchmacherei oder Vuchhändlerspeknlation, die oft nicht weiß, was sie thut, obwohl sich diese meist damit verbindet, sondern im Bunde damit gar häufig eine ihrer Ziele wohl bewußte, wenn auch mit ihren Mitteln oft sehr plump drein- fahrende parteipolitische Tendenz, die man in dieser Beziehung anklagen muß. Am schlimmsten aber ist es, wenn sich die in unsern Tagen so üppig in die Halme schießende psendoreligiöse Plusmacherei dieses Mittels bedient und so eine an sich gute und edle Sache, wie es echte Religiosität ist, zu sich herunter in den eignen Staub zieht und ihr Wunden beibringt, die sich in der weitern Entwicklung beinahe als tötlich erweisen könnten. Das letztere glauben wir mit Fug sagen zu dürfen von einem sogenannten Studienkalender, der uns in mehreren Jahrgängen vorliegt, seit einer langen Reihe von Jahren erscheint — der neueste Jahrgang nenut sich deu fünf¬ zehnten — und ohne Zweifel nicht der einzige seiner Art ist. Doch be¬ schränken wir uns auf den aktenmäßig vorliegende!, Bestand. Seine Heimat ist das katholische Baiern, von wo ans er auch in das benachbarte Württem¬ berg eindringt und einem verdienstvollen andern Unternehmen dieser Art, dem von dem Gymnasiallehrer Dr. Krapff in Ulm herausgegebnen Studienkalender, eine teilweise erfolgreiche .Konkurrenz macht. Freilich hat dieser den schweren Fehler, daß er rein gymnasial-technischer Art ist, nur die Bedürfnisse des Gym- nasialuuterrichts berücksichtigt, keinerlei politischen oder kirchenpolitischen Neben- intercssen dient und so natürlich um „kalter Farblosigkeit" und „schwäch¬ licher Indifferenz" leidet; auch mag der Umstand, daß sich der Verfasser darauf versteift, den Kalender nicht bloß selber zu verlegen, sondern auch selber zu drucken und zu vertreiben, seiner Verbreitung ein äußeres Hindernis in den Weg legen. Der andre läßt seine ausgesprochne kirchliche Richtung klüglich auf dein Titelblatt uicht erkennen, er nennt sich einfach „Taschenkalender für die studirende Jugend," und da man in den katholischen Gegenden Süddeutsch¬ lands die Schiller der Gymnasien „Studenten" zu nennen Pflegt, so giebt er sich damit einfach als ein Hilfsmittel für Gymnasiasten zu erkennen. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/141>, abgerufen am 01.09.2024.