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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

an die Kette legen und peitschen; desertirte er, so wurde er gebrnudmarkt und
zu lebenslänglicher Sklaverei verurteilt, lief er nochmals fort, zum Tode ver¬
urteilt. Zwar behielt dieses Gesetz, wie Rogers mitteilt, nur zwei Jahre Gel¬
tung, aber der Geist, der ans ihm spricht, behielt die Herrschaft, und die harte
Behandlung der Armen in England entspricht ihm bis heute. Übrigens haben
Elisabeth und Jakob der Erste eine Reihe ähnlicher Gesetze erlassen. Was das
ganze Altertum und Mittelalter hindurch als ein schweres Unglück gegolten
hatte, das den Menschen zu einem Gegenstände des Mitleids und der Ehrfurcht
machte -- ganz abgesehen von dem Heiligenscheine, mit dem der katholische
Glaube den Bettler umgab --, galt fortan als Schande und Verbrechen.
?0or und t,Kv VVrvtolr wurden stehende Bezeichnung für die neue Klasse der
besitzlosen Lohnarbeiter -- der durch Raub besitzlos gemachten, wie man sich
immer gegenwärtig halten muß --, und diese Klasse wurde eingeteilt in t-Irs
lülwuring' ?0or und tus i<lis l^vor. Und wenn auch der "müssige" Arme in¬
sofern noch übler dran war, als er mit Schandpfahl, Peitsche und Kerker als
Verbrecher behandelt und jedermann die Vollmacht gegeben wurde, einen solchem
einzufangen und als seineu Sklnveu an die Kette zu legen, so war doch der
arbeitende Anne nicht minder ein Gegenstand der Verachtung für den "respek-
tnbeln" Besitzenden geworden. Die Einheit des Volkes war zerrissen; die Schei¬
dung in zwei Klassen, deren untere' der obern viel ferner stand, als dein
alten Römer oder dein heutigen Araber seine Sklaven stehn, in zwei Welten,
die nichts von einander wisse", war vollzogen. Von Bedeutung war es dabei,
das; die Laudlvrds schou vom fünfzehnten Jahrhundert an aufgehört hatten,
wenigstens einen Teil ihres Besitzes durch Amtleute selbst zu bewirtschafte",
wie das bei uns in Deutschland die Großgrundbesitzer bis auf den heutigen
Tag noch thun, und zwar mit dem größten Teil ihres Besitzes, jn meistens
mit den: ganzen. Der letzte Fall von Selbstbewirtschaftung, den Rogers ge-
funden hat, ist 14ZZ--Z4 vorgekommen. Der Landlord löst sich seit jener
Zeit völlig ab von seinem Grundbesitz. Seine Beziehung zu diesem beschränkt
sich darauf, daß er einige Monate des Jahres hindurch ein dort gelegnes Schloß
bewohnt, und daß er einen Beamten anstellt, der die Pachtzinsen eintreibt.

Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts faßte die Königin Elisabeth das
Ergebnis dessen, was sie auf einer Rundfahrt durch ihr Land wahrgenommen
hatte, in den Worten zusammen: pauper udiaue Mook; der Pauperismus,
dieses Scheusal der modernen Welt, war dn. Das Lehrliugsgesetz und die
Armengesetze sollten Abhilfe schaffen. Das Lehrlingsgesetz verordnet eine sieben¬
jährige Lehrzeit, d. h. es macht den Lehrling, der doch die leichtern Hand¬
werke in einem, die schwierigern in drei bis vier Jahren zu erlernen pflegt,
drei bis sechs Jahre zu einem Sklaven, der dem Lehrherrn gegen notdürftigen
Unterhalt umsonst arbeiten muß, sodaß es den unternehmenden Meistern leicht
wurde, sich durch Halten mehrerer Lehrlinge zu Fabrikanten emporzuschwingen.


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

an die Kette legen und peitschen; desertirte er, so wurde er gebrnudmarkt und
zu lebenslänglicher Sklaverei verurteilt, lief er nochmals fort, zum Tode ver¬
urteilt. Zwar behielt dieses Gesetz, wie Rogers mitteilt, nur zwei Jahre Gel¬
tung, aber der Geist, der ans ihm spricht, behielt die Herrschaft, und die harte
Behandlung der Armen in England entspricht ihm bis heute. Übrigens haben
Elisabeth und Jakob der Erste eine Reihe ähnlicher Gesetze erlassen. Was das
ganze Altertum und Mittelalter hindurch als ein schweres Unglück gegolten
hatte, das den Menschen zu einem Gegenstände des Mitleids und der Ehrfurcht
machte — ganz abgesehen von dem Heiligenscheine, mit dem der katholische
Glaube den Bettler umgab —, galt fortan als Schande und Verbrechen.
?0or und t,Kv VVrvtolr wurden stehende Bezeichnung für die neue Klasse der
besitzlosen Lohnarbeiter — der durch Raub besitzlos gemachten, wie man sich
immer gegenwärtig halten muß —, und diese Klasse wurde eingeteilt in t-Irs
lülwuring' ?0or und tus i<lis l^vor. Und wenn auch der „müssige" Arme in¬
sofern noch übler dran war, als er mit Schandpfahl, Peitsche und Kerker als
Verbrecher behandelt und jedermann die Vollmacht gegeben wurde, einen solchem
einzufangen und als seineu Sklnveu an die Kette zu legen, so war doch der
arbeitende Anne nicht minder ein Gegenstand der Verachtung für den „respek-
tnbeln" Besitzenden geworden. Die Einheit des Volkes war zerrissen; die Schei¬
dung in zwei Klassen, deren untere' der obern viel ferner stand, als dein
alten Römer oder dein heutigen Araber seine Sklaven stehn, in zwei Welten,
die nichts von einander wisse», war vollzogen. Von Bedeutung war es dabei,
das; die Laudlvrds schou vom fünfzehnten Jahrhundert an aufgehört hatten,
wenigstens einen Teil ihres Besitzes durch Amtleute selbst zu bewirtschafte»,
wie das bei uns in Deutschland die Großgrundbesitzer bis auf den heutigen
Tag noch thun, und zwar mit dem größten Teil ihres Besitzes, jn meistens
mit den: ganzen. Der letzte Fall von Selbstbewirtschaftung, den Rogers ge-
funden hat, ist 14ZZ—Z4 vorgekommen. Der Landlord löst sich seit jener
Zeit völlig ab von seinem Grundbesitz. Seine Beziehung zu diesem beschränkt
sich darauf, daß er einige Monate des Jahres hindurch ein dort gelegnes Schloß
bewohnt, und daß er einen Beamten anstellt, der die Pachtzinsen eintreibt.

Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts faßte die Königin Elisabeth das
Ergebnis dessen, was sie auf einer Rundfahrt durch ihr Land wahrgenommen
hatte, in den Worten zusammen: pauper udiaue Mook; der Pauperismus,
dieses Scheusal der modernen Welt, war dn. Das Lehrliugsgesetz und die
Armengesetze sollten Abhilfe schaffen. Das Lehrlingsgesetz verordnet eine sieben¬
jährige Lehrzeit, d. h. es macht den Lehrling, der doch die leichtern Hand¬
werke in einem, die schwierigern in drei bis vier Jahren zu erlernen pflegt,
drei bis sechs Jahre zu einem Sklaven, der dem Lehrherrn gegen notdürftigen
Unterhalt umsonst arbeiten muß, sodaß es den unternehmenden Meistern leicht
wurde, sich durch Halten mehrerer Lehrlinge zu Fabrikanten emporzuschwingen.


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[0632] Weder Kommunismus noch Kapitalismus an die Kette legen und peitschen; desertirte er, so wurde er gebrnudmarkt und zu lebenslänglicher Sklaverei verurteilt, lief er nochmals fort, zum Tode ver¬ urteilt. Zwar behielt dieses Gesetz, wie Rogers mitteilt, nur zwei Jahre Gel¬ tung, aber der Geist, der ans ihm spricht, behielt die Herrschaft, und die harte Behandlung der Armen in England entspricht ihm bis heute. Übrigens haben Elisabeth und Jakob der Erste eine Reihe ähnlicher Gesetze erlassen. Was das ganze Altertum und Mittelalter hindurch als ein schweres Unglück gegolten hatte, das den Menschen zu einem Gegenstände des Mitleids und der Ehrfurcht machte — ganz abgesehen von dem Heiligenscheine, mit dem der katholische Glaube den Bettler umgab —, galt fortan als Schande und Verbrechen. ?0or und t,Kv VVrvtolr wurden stehende Bezeichnung für die neue Klasse der besitzlosen Lohnarbeiter — der durch Raub besitzlos gemachten, wie man sich immer gegenwärtig halten muß —, und diese Klasse wurde eingeteilt in t-Irs lülwuring' ?0or und tus i<lis l^vor. Und wenn auch der „müssige" Arme in¬ sofern noch übler dran war, als er mit Schandpfahl, Peitsche und Kerker als Verbrecher behandelt und jedermann die Vollmacht gegeben wurde, einen solchem einzufangen und als seineu Sklnveu an die Kette zu legen, so war doch der arbeitende Anne nicht minder ein Gegenstand der Verachtung für den „respek- tnbeln" Besitzenden geworden. Die Einheit des Volkes war zerrissen; die Schei¬ dung in zwei Klassen, deren untere' der obern viel ferner stand, als dein alten Römer oder dein heutigen Araber seine Sklaven stehn, in zwei Welten, die nichts von einander wisse», war vollzogen. Von Bedeutung war es dabei, das; die Laudlvrds schou vom fünfzehnten Jahrhundert an aufgehört hatten, wenigstens einen Teil ihres Besitzes durch Amtleute selbst zu bewirtschafte», wie das bei uns in Deutschland die Großgrundbesitzer bis auf den heutigen Tag noch thun, und zwar mit dem größten Teil ihres Besitzes, jn meistens mit den: ganzen. Der letzte Fall von Selbstbewirtschaftung, den Rogers ge- funden hat, ist 14ZZ—Z4 vorgekommen. Der Landlord löst sich seit jener Zeit völlig ab von seinem Grundbesitz. Seine Beziehung zu diesem beschränkt sich darauf, daß er einige Monate des Jahres hindurch ein dort gelegnes Schloß bewohnt, und daß er einen Beamten anstellt, der die Pachtzinsen eintreibt. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts faßte die Königin Elisabeth das Ergebnis dessen, was sie auf einer Rundfahrt durch ihr Land wahrgenommen hatte, in den Worten zusammen: pauper udiaue Mook; der Pauperismus, dieses Scheusal der modernen Welt, war dn. Das Lehrliugsgesetz und die Armengesetze sollten Abhilfe schaffen. Das Lehrlingsgesetz verordnet eine sieben¬ jährige Lehrzeit, d. h. es macht den Lehrling, der doch die leichtern Hand¬ werke in einem, die schwierigern in drei bis vier Jahren zu erlernen pflegt, drei bis sechs Jahre zu einem Sklaven, der dem Lehrherrn gegen notdürftigen Unterhalt umsonst arbeiten muß, sodaß es den unternehmenden Meistern leicht wurde, sich durch Halten mehrerer Lehrlinge zu Fabrikanten emporzuschwingen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/632>, abgerufen am 22.12.2024.