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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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weder Kommunismus noch Kapitalismus

lauge Fristen, teilweise auf dreißig bis vierzig Jahre verpachtet hatten. Die Pächter,
deren Pachtzeit abgelaufen war, wurden vou den neuen Herren entlassen, und
diese verpachteten an Schafmeister; ein Gut, das vorher hundert Bauernfamilieu
ernährt hatte, nährte fortan nnr die eine Schafmeisterfamilie, etliche Knechte
und zehn- oder zwanzigtausend Schafe.

Was die Landlords und Großpächter zweihundert Jahre lang erstrebt
und durch das Arbeiterstatut vergebens zu erreichen versucht hatten, war nun
ohne ein solches Statut mit einem Schlage erreicht. Die Waren, namentlich
Lebensmittel, waren durch die Geldeutwertuug um das fünffache verteuert
worden. Der Arbeitslohn ist, wie Rogers meint, unter allen Einlommens-
arten die, die fallenden Preisen am schnellsten, steigenden um langsamsten folgt.
In diesem Falle aber war an eine entsprechende Steigerung gnr nicht zu denken,
weil durch die Ausdehnung der Weidewirtschaft die Nachfrage nach ländlichen
Arbeitern sank, und gleichzeitig durch die Vertreibung der Klosterpüchter das
Angebot von Händen gewaltig stieg. Ein Drittel der ländlichen Familien
Englands lag besitzlos und beschäftigungslos auf der Landstraße und war ge¬
zwungen, um jeden Preis Arbeit anzunehmen, wenn welche zu bekommen war.
Rogers hat fast für jedes Jahrzehnt bis in unsre Zeit hinein die Löhne der
ländlichen und gewerblichen Arbeiter nach ihrem wirklichen Werte berechnet.
Wir heben aus seinen Angaben nur einige wenige hervor, um die Verschlechte¬
rung deutlich zu machen. Er berechnet u. a., wie viel Wochen ein Arbeiter
zu verschiednen Zeiten zu arbeiten hatte, um deu sür seinen Haushalt hin¬
reichenden Vorrat von Weizen, Hafer und Malz (jedermann bereitete sich sein
Vier selbst) zu verdienen. Und er findet, daß im Jahre 14!>5 der ländliche
Arbeiter fünfzehn, der Handwerker vierzehn bis fünfzehn Wochen dazu brauchte.
Im Jnhre 1564 brauchte der ländliche Arbeiter vierzig, der gewerbliche Ar¬
beiter zweiunddreißig Wochen dazu. Im Jahre 15W hätte die ländliche Ar¬
beit eines ganzen Jahres nicht hingereicht, jene Menge zu verdienen, während
der Handwerker sie sich noch mit einer vierzig Wochen langen Arbeit verschaffen
konnte. Die Löhne werden durchs siebzehnte Jahrhundert hindurch immer
elender, 1682 ist auch die Arbeitszeit schon auf vierzehn Stunden gestiegen,
wobei allerdings Pausen von zusammen zweieinhalb Standen gewährt werden.
In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts steigen die Löhne noch ein¬
mal, wenn auch bei weitem uicht so hoch wie im fünfzehnten Jahrhundert;
dann fallen sie wieder, und in der Zeit von 1800 bis 1820 erreicht das Ar¬
beiterelend seinen höchsten Stand.

Natürlich wimmelte das Land von Vagabunden und Bettlern, die schlechthin
hilflos waren, da die Klosteralmosen aufgehört hatten und sämtliche Versuche
einer anderweitigen Organisation der Armenpflege scheiterten. Die Räte Eduards
des Zweiten erließen das berüchtigte Gesetz, wonach jeder arbeitslos betroffne
dem Denunzianten als Sklave zugesprochen werden solle; der Herr durfte ihn


weder Kommunismus noch Kapitalismus

lauge Fristen, teilweise auf dreißig bis vierzig Jahre verpachtet hatten. Die Pächter,
deren Pachtzeit abgelaufen war, wurden vou den neuen Herren entlassen, und
diese verpachteten an Schafmeister; ein Gut, das vorher hundert Bauernfamilieu
ernährt hatte, nährte fortan nnr die eine Schafmeisterfamilie, etliche Knechte
und zehn- oder zwanzigtausend Schafe.

Was die Landlords und Großpächter zweihundert Jahre lang erstrebt
und durch das Arbeiterstatut vergebens zu erreichen versucht hatten, war nun
ohne ein solches Statut mit einem Schlage erreicht. Die Waren, namentlich
Lebensmittel, waren durch die Geldeutwertuug um das fünffache verteuert
worden. Der Arbeitslohn ist, wie Rogers meint, unter allen Einlommens-
arten die, die fallenden Preisen am schnellsten, steigenden um langsamsten folgt.
In diesem Falle aber war an eine entsprechende Steigerung gnr nicht zu denken,
weil durch die Ausdehnung der Weidewirtschaft die Nachfrage nach ländlichen
Arbeitern sank, und gleichzeitig durch die Vertreibung der Klosterpüchter das
Angebot von Händen gewaltig stieg. Ein Drittel der ländlichen Familien
Englands lag besitzlos und beschäftigungslos auf der Landstraße und war ge¬
zwungen, um jeden Preis Arbeit anzunehmen, wenn welche zu bekommen war.
Rogers hat fast für jedes Jahrzehnt bis in unsre Zeit hinein die Löhne der
ländlichen und gewerblichen Arbeiter nach ihrem wirklichen Werte berechnet.
Wir heben aus seinen Angaben nur einige wenige hervor, um die Verschlechte¬
rung deutlich zu machen. Er berechnet u. a., wie viel Wochen ein Arbeiter
zu verschiednen Zeiten zu arbeiten hatte, um deu sür seinen Haushalt hin¬
reichenden Vorrat von Weizen, Hafer und Malz (jedermann bereitete sich sein
Vier selbst) zu verdienen. Und er findet, daß im Jahre 14!>5 der ländliche
Arbeiter fünfzehn, der Handwerker vierzehn bis fünfzehn Wochen dazu brauchte.
Im Jnhre 1564 brauchte der ländliche Arbeiter vierzig, der gewerbliche Ar¬
beiter zweiunddreißig Wochen dazu. Im Jahre 15W hätte die ländliche Ar¬
beit eines ganzen Jahres nicht hingereicht, jene Menge zu verdienen, während
der Handwerker sie sich noch mit einer vierzig Wochen langen Arbeit verschaffen
konnte. Die Löhne werden durchs siebzehnte Jahrhundert hindurch immer
elender, 1682 ist auch die Arbeitszeit schon auf vierzehn Stunden gestiegen,
wobei allerdings Pausen von zusammen zweieinhalb Standen gewährt werden.
In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts steigen die Löhne noch ein¬
mal, wenn auch bei weitem uicht so hoch wie im fünfzehnten Jahrhundert;
dann fallen sie wieder, und in der Zeit von 1800 bis 1820 erreicht das Ar¬
beiterelend seinen höchsten Stand.

Natürlich wimmelte das Land von Vagabunden und Bettlern, die schlechthin
hilflos waren, da die Klosteralmosen aufgehört hatten und sämtliche Versuche
einer anderweitigen Organisation der Armenpflege scheiterten. Die Räte Eduards
des Zweiten erließen das berüchtigte Gesetz, wonach jeder arbeitslos betroffne
dem Denunzianten als Sklave zugesprochen werden solle; der Herr durfte ihn


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[0631] weder Kommunismus noch Kapitalismus lauge Fristen, teilweise auf dreißig bis vierzig Jahre verpachtet hatten. Die Pächter, deren Pachtzeit abgelaufen war, wurden vou den neuen Herren entlassen, und diese verpachteten an Schafmeister; ein Gut, das vorher hundert Bauernfamilieu ernährt hatte, nährte fortan nnr die eine Schafmeisterfamilie, etliche Knechte und zehn- oder zwanzigtausend Schafe. Was die Landlords und Großpächter zweihundert Jahre lang erstrebt und durch das Arbeiterstatut vergebens zu erreichen versucht hatten, war nun ohne ein solches Statut mit einem Schlage erreicht. Die Waren, namentlich Lebensmittel, waren durch die Geldeutwertuug um das fünffache verteuert worden. Der Arbeitslohn ist, wie Rogers meint, unter allen Einlommens- arten die, die fallenden Preisen am schnellsten, steigenden um langsamsten folgt. In diesem Falle aber war an eine entsprechende Steigerung gnr nicht zu denken, weil durch die Ausdehnung der Weidewirtschaft die Nachfrage nach ländlichen Arbeitern sank, und gleichzeitig durch die Vertreibung der Klosterpüchter das Angebot von Händen gewaltig stieg. Ein Drittel der ländlichen Familien Englands lag besitzlos und beschäftigungslos auf der Landstraße und war ge¬ zwungen, um jeden Preis Arbeit anzunehmen, wenn welche zu bekommen war. Rogers hat fast für jedes Jahrzehnt bis in unsre Zeit hinein die Löhne der ländlichen und gewerblichen Arbeiter nach ihrem wirklichen Werte berechnet. Wir heben aus seinen Angaben nur einige wenige hervor, um die Verschlechte¬ rung deutlich zu machen. Er berechnet u. a., wie viel Wochen ein Arbeiter zu verschiednen Zeiten zu arbeiten hatte, um deu sür seinen Haushalt hin¬ reichenden Vorrat von Weizen, Hafer und Malz (jedermann bereitete sich sein Vier selbst) zu verdienen. Und er findet, daß im Jahre 14!>5 der ländliche Arbeiter fünfzehn, der Handwerker vierzehn bis fünfzehn Wochen dazu brauchte. Im Jnhre 1564 brauchte der ländliche Arbeiter vierzig, der gewerbliche Ar¬ beiter zweiunddreißig Wochen dazu. Im Jahre 15W hätte die ländliche Ar¬ beit eines ganzen Jahres nicht hingereicht, jene Menge zu verdienen, während der Handwerker sie sich noch mit einer vierzig Wochen langen Arbeit verschaffen konnte. Die Löhne werden durchs siebzehnte Jahrhundert hindurch immer elender, 1682 ist auch die Arbeitszeit schon auf vierzehn Stunden gestiegen, wobei allerdings Pausen von zusammen zweieinhalb Standen gewährt werden. In der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts steigen die Löhne noch ein¬ mal, wenn auch bei weitem uicht so hoch wie im fünfzehnten Jahrhundert; dann fallen sie wieder, und in der Zeit von 1800 bis 1820 erreicht das Ar¬ beiterelend seinen höchsten Stand. Natürlich wimmelte das Land von Vagabunden und Bettlern, die schlechthin hilflos waren, da die Klosteralmosen aufgehört hatten und sämtliche Versuche einer anderweitigen Organisation der Armenpflege scheiterten. Die Räte Eduards des Zweiten erließen das berüchtigte Gesetz, wonach jeder arbeitslos betroffne dem Denunzianten als Sklave zugesprochen werden solle; der Herr durfte ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/631>, abgerufen am 23.12.2024.