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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der langweilige Kammerherr

langsamer von Vergessen und muß an schöne Zeiten denken, die nich wieder¬
kommen. ,

Detlev hatte sich wieder gesetzt und sah einem roten Sonnenstrahl nach,
der an der Wand entlang glitt. Das schlechtgemalte Bild eines Herrn in
Kammerherrenuniform, das da hing, erschien wie in Gold getaucht. Der Alte
nickte mit dem Kopf und sagte leise vor sich hin: Ümmer, wenn die Sonne
scheint, dann scheint sie auch auf ihm, und dann sieht er ordentlich freundlich
ans. Und er is doch sein Lebtag nich wieder vergnügt geworden. Nach Eutin
hat er in Oktobermvuat wieder hinfahren können, und ich freute mir, unser
klein Stadt und unsern Herzog wieder zu sehn. Meinen Junker abers war
allens egal. Er war gesund und konnte Dienst thun bei Hof, und er machte
Dieners und verzog den Mund, wenn er lachen sollt, weiter garnix. Er war
wie ein Puppe geworden, und so is er geblieben.

Große Menschen mögen abers nich viel mit Puppens zu thun haben,
die langweilen ihnen, und so dauerte es nich lange, so hieß mein Junker der
langweilige Kammerjunker. Die kleine Komteß möcht ihm garnich mehr leiden,
und er ihr auch nich. Die beiden sind ganz scmgfcissong auseinandergegangen,
und auch als die Komteß sich mit ein andern Herrn verlobt hat, sagte mein
Herr garnix. Er konnt sich über nix mehr freuen und über nix mehr ärgern.
Bloß als in eine Gesellschaft mal von Napolium gesprochen ward und von
seine Spione und einer sagte, in Eutin und Plön sollt auch ein Mann ge¬
wesen sein, der spionirt hatt, und das wär um die Zeit gewesen, als der Fran¬
zosenkaiser Jagd machte auf deu französchen Herzog, da is mein Herr kreideweiß
geworden. Und viele Nächtens hinterher is er nich zu Bett gegangen und hat
ümmer vor sich hingesagt: Fluch dem Verräter! Später is er ümmer stiller
geworden und ümmer langweiliger. Als unser Herzog ihm zum Kammerherrn
machte, da haben die Leute gesagt, aus den langweiligen Kammerjunker wär
ein langweiligen Kammerherrn geworden, und ein Orden hätt ihm auch nich
amesanter gemacht. Und weil ihm die Menschen langweilig nannten, hat er
ihnen auch langweilig gefunden und keinen mehr leiden mögen. Bald is er
auch in Pangschou gegangen und hat hier gelebt, hier in diesen kleinen Bauern¬
haus. Hier, wo er keinen Menschen langweilte, mochte er am liebsten sein,
und ich bin natürlicheweise mit ihn gegangen. Da sind wir denn mitsammen
alt geworden, und wenn mein Herr mal in die Stadt gegangen is, dann haben
die Klübers sich angestoßen und gesagt: Kuck, da geht der langweilige Kammer¬
herr! Und eines Morgens hat er tot in sein Bett gelegen, worüber ich mir
ordentlich freute. Denn gerade, weil ich ihm so lieb hatte, deswegen wußte
ich ja, daß er in Himmel besser aufgehoben is, als auf diese Erde, wo es
alle Tage langweiliger wird. Und wenn ich dahin komm, denn soll mir bloß
Wundern, ob das allens nich all lang aufgeklärt is, ich mein die Geschichte
mit Herrn Rosenstein, und daß mein Junker doch kein Schuld hatt an den


Der langweilige Kammerherr

langsamer von Vergessen und muß an schöne Zeiten denken, die nich wieder¬
kommen. ,

Detlev hatte sich wieder gesetzt und sah einem roten Sonnenstrahl nach,
der an der Wand entlang glitt. Das schlechtgemalte Bild eines Herrn in
Kammerherrenuniform, das da hing, erschien wie in Gold getaucht. Der Alte
nickte mit dem Kopf und sagte leise vor sich hin: Ümmer, wenn die Sonne
scheint, dann scheint sie auch auf ihm, und dann sieht er ordentlich freundlich
ans. Und er is doch sein Lebtag nich wieder vergnügt geworden. Nach Eutin
hat er in Oktobermvuat wieder hinfahren können, und ich freute mir, unser
klein Stadt und unsern Herzog wieder zu sehn. Meinen Junker abers war
allens egal. Er war gesund und konnte Dienst thun bei Hof, und er machte
Dieners und verzog den Mund, wenn er lachen sollt, weiter garnix. Er war
wie ein Puppe geworden, und so is er geblieben.

Große Menschen mögen abers nich viel mit Puppens zu thun haben,
die langweilen ihnen, und so dauerte es nich lange, so hieß mein Junker der
langweilige Kammerjunker. Die kleine Komteß möcht ihm garnich mehr leiden,
und er ihr auch nich. Die beiden sind ganz scmgfcissong auseinandergegangen,
und auch als die Komteß sich mit ein andern Herrn verlobt hat, sagte mein
Herr garnix. Er konnt sich über nix mehr freuen und über nix mehr ärgern.
Bloß als in eine Gesellschaft mal von Napolium gesprochen ward und von
seine Spione und einer sagte, in Eutin und Plön sollt auch ein Mann ge¬
wesen sein, der spionirt hatt, und das wär um die Zeit gewesen, als der Fran¬
zosenkaiser Jagd machte auf deu französchen Herzog, da is mein Herr kreideweiß
geworden. Und viele Nächtens hinterher is er nich zu Bett gegangen und hat
ümmer vor sich hingesagt: Fluch dem Verräter! Später is er ümmer stiller
geworden und ümmer langweiliger. Als unser Herzog ihm zum Kammerherrn
machte, da haben die Leute gesagt, aus den langweiligen Kammerjunker wär
ein langweiligen Kammerherrn geworden, und ein Orden hätt ihm auch nich
amesanter gemacht. Und weil ihm die Menschen langweilig nannten, hat er
ihnen auch langweilig gefunden und keinen mehr leiden mögen. Bald is er
auch in Pangschou gegangen und hat hier gelebt, hier in diesen kleinen Bauern¬
haus. Hier, wo er keinen Menschen langweilte, mochte er am liebsten sein,
und ich bin natürlicheweise mit ihn gegangen. Da sind wir denn mitsammen
alt geworden, und wenn mein Herr mal in die Stadt gegangen is, dann haben
die Klübers sich angestoßen und gesagt: Kuck, da geht der langweilige Kammer¬
herr! Und eines Morgens hat er tot in sein Bett gelegen, worüber ich mir
ordentlich freute. Denn gerade, weil ich ihm so lieb hatte, deswegen wußte
ich ja, daß er in Himmel besser aufgehoben is, als auf diese Erde, wo es
alle Tage langweiliger wird. Und wenn ich dahin komm, denn soll mir bloß
Wundern, ob das allens nich all lang aufgeklärt is, ich mein die Geschichte
mit Herrn Rosenstein, und daß mein Junker doch kein Schuld hatt an den


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[0605] Der langweilige Kammerherr langsamer von Vergessen und muß an schöne Zeiten denken, die nich wieder¬ kommen. , Detlev hatte sich wieder gesetzt und sah einem roten Sonnenstrahl nach, der an der Wand entlang glitt. Das schlechtgemalte Bild eines Herrn in Kammerherrenuniform, das da hing, erschien wie in Gold getaucht. Der Alte nickte mit dem Kopf und sagte leise vor sich hin: Ümmer, wenn die Sonne scheint, dann scheint sie auch auf ihm, und dann sieht er ordentlich freundlich ans. Und er is doch sein Lebtag nich wieder vergnügt geworden. Nach Eutin hat er in Oktobermvuat wieder hinfahren können, und ich freute mir, unser klein Stadt und unsern Herzog wieder zu sehn. Meinen Junker abers war allens egal. Er war gesund und konnte Dienst thun bei Hof, und er machte Dieners und verzog den Mund, wenn er lachen sollt, weiter garnix. Er war wie ein Puppe geworden, und so is er geblieben. Große Menschen mögen abers nich viel mit Puppens zu thun haben, die langweilen ihnen, und so dauerte es nich lange, so hieß mein Junker der langweilige Kammerjunker. Die kleine Komteß möcht ihm garnich mehr leiden, und er ihr auch nich. Die beiden sind ganz scmgfcissong auseinandergegangen, und auch als die Komteß sich mit ein andern Herrn verlobt hat, sagte mein Herr garnix. Er konnt sich über nix mehr freuen und über nix mehr ärgern. Bloß als in eine Gesellschaft mal von Napolium gesprochen ward und von seine Spione und einer sagte, in Eutin und Plön sollt auch ein Mann ge¬ wesen sein, der spionirt hatt, und das wär um die Zeit gewesen, als der Fran¬ zosenkaiser Jagd machte auf deu französchen Herzog, da is mein Herr kreideweiß geworden. Und viele Nächtens hinterher is er nich zu Bett gegangen und hat ümmer vor sich hingesagt: Fluch dem Verräter! Später is er ümmer stiller geworden und ümmer langweiliger. Als unser Herzog ihm zum Kammerherrn machte, da haben die Leute gesagt, aus den langweiligen Kammerjunker wär ein langweiligen Kammerherrn geworden, und ein Orden hätt ihm auch nich amesanter gemacht. Und weil ihm die Menschen langweilig nannten, hat er ihnen auch langweilig gefunden und keinen mehr leiden mögen. Bald is er auch in Pangschou gegangen und hat hier gelebt, hier in diesen kleinen Bauern¬ haus. Hier, wo er keinen Menschen langweilte, mochte er am liebsten sein, und ich bin natürlicheweise mit ihn gegangen. Da sind wir denn mitsammen alt geworden, und wenn mein Herr mal in die Stadt gegangen is, dann haben die Klübers sich angestoßen und gesagt: Kuck, da geht der langweilige Kammer¬ herr! Und eines Morgens hat er tot in sein Bett gelegen, worüber ich mir ordentlich freute. Denn gerade, weil ich ihm so lieb hatte, deswegen wußte ich ja, daß er in Himmel besser aufgehoben is, als auf diese Erde, wo es alle Tage langweiliger wird. Und wenn ich dahin komm, denn soll mir bloß Wundern, ob das allens nich all lang aufgeklärt is, ich mein die Geschichte mit Herrn Rosenstein, und daß mein Junker doch kein Schuld hatt an den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/605>, abgerufen am 03.07.2024.