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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die christliche Mission in <Lhina

UM die Hauptbeschuldigungeu, nämlich daß die Missionare Kinder stohlen und
ähnliche Schandthaten ausübten. Dergleichen hat dann natürlich schon eine
bedenklichere Wirkung auf die ungebildete Menge. Der Vorwurf des Kinder-
stehlens ist sehr alt nud leicht erklärlich, weil dies Verbrechen in manchen
Gegenden wirklich so oft vorkommt, daß man in einsam liegenden Dörfern in
beständiger Angst davor lebt. Da nun die katholische Mission überall Findel-
nnd Waisenhäuser errichtet, liegt der Verdacht, die vermißten Kinder wären
hinter den Mauern dieser Häuser verschwunden, so nahe, daß er von bös¬
williger Seite nicht schwer zu erregen ist. Weit sonderbarer aber ist es, daß
bei einem sonst so nüchternen und praktischen Volke wie den Chinesen der
finsterste Aberglaube Platz findet, und daß selbst sehr hochstehende Männer
nicht frei davon sind! Es ist das einer der merkwürdigen Gegensätze, die im
Charakter der Chinesen unvermittelt neben einander liegen. Als kürzlich im
Westen wieder einige Missionsstativnen beunruhigt wurden, stellte sich heraus,
daß das Volk der felsenfesten Überzeugung war, die Missionare hätten, aus
Unwillen über das langsame Wachstum ihrer Gemeinde, mit einem großen
Znuberbesen die Wolken vom Himmel gefegt und dadurch die anhaltende Dürre
verursacht.

Wie ist nun dem jetzigen unsichern Zustande ein Ende zu bereiten? Die
Frage ist sehr schwer zu beantworten. Freilich, wenn die Gesandten der in
Peking vertretnen Mächte nur sest zusammenhielten, dann konnten sie alles
durchsetzen. Ja -- wenn! Im Sommer vorigen Jahres haben wir ja ge¬
sehen, wie bald die mühsam hergestellte Einigkeit wieder in die Brüche ging.
Der einzige Weg, der sicher Erfolg verspräche, wäre ein längerer Druck aller
Gesandte" auf die höchsten chinesischen Beamten. Dadurch würden diese ge¬
zwungen werden, nicht allein Erlasse zum Schutze der Missionen zu veröffent¬
lichen, sondern auch strengstens, nötigenfalls mit ausländischer Hilfe, auf die
Befolgung ihrer Befehle zu halten. In frühern Zeiten, als bei nusgebrochnen
Unruhen die Kanonen der hier anwesenden fremden Kriegsschiffe nicht nur
zum Bangemachen, sondern zuweilen auch zum Schießen gebraucht wurden,
hat eine solche Lektion immer den heilsamsten Einfluß gehabt.

Da aber mir selten auf diese Einigkeit und Energie gerechnet werden
kann, so bleibt nichts andres übrig, als daß die fremde" Konsuln immer und
immer wieder alle Mandarinen und andern gebildeten Chinesen, mit denen sie
in Berührung kommen, auffordern, sich recht oft selbst über das Wirken der
Missionare zu unterrichten und sich mit eignen Angen von dem Wohlbefinden
der Missionszöglinge zu überzeugen. Auf diese Weise ist vielleicht mit der
Zeit etwas zu ereichen. Viele werden es allerdings einfach für eine Sisyphus¬
arbeit erklären, die Chinesen von ihrem Aberglauben abbringen zu wollen, und
manchmal möchte allerdings selbst der größte Optimist daran verzweifeln, so
g- B. wenn er lesen muß, der in Tientsin wohnende Bizekönig Li Hung-tschang


Die christliche Mission in <Lhina

UM die Hauptbeschuldigungeu, nämlich daß die Missionare Kinder stohlen und
ähnliche Schandthaten ausübten. Dergleichen hat dann natürlich schon eine
bedenklichere Wirkung auf die ungebildete Menge. Der Vorwurf des Kinder-
stehlens ist sehr alt nud leicht erklärlich, weil dies Verbrechen in manchen
Gegenden wirklich so oft vorkommt, daß man in einsam liegenden Dörfern in
beständiger Angst davor lebt. Da nun die katholische Mission überall Findel-
nnd Waisenhäuser errichtet, liegt der Verdacht, die vermißten Kinder wären
hinter den Mauern dieser Häuser verschwunden, so nahe, daß er von bös¬
williger Seite nicht schwer zu erregen ist. Weit sonderbarer aber ist es, daß
bei einem sonst so nüchternen und praktischen Volke wie den Chinesen der
finsterste Aberglaube Platz findet, und daß selbst sehr hochstehende Männer
nicht frei davon sind! Es ist das einer der merkwürdigen Gegensätze, die im
Charakter der Chinesen unvermittelt neben einander liegen. Als kürzlich im
Westen wieder einige Missionsstativnen beunruhigt wurden, stellte sich heraus,
daß das Volk der felsenfesten Überzeugung war, die Missionare hätten, aus
Unwillen über das langsame Wachstum ihrer Gemeinde, mit einem großen
Znuberbesen die Wolken vom Himmel gefegt und dadurch die anhaltende Dürre
verursacht.

Wie ist nun dem jetzigen unsichern Zustande ein Ende zu bereiten? Die
Frage ist sehr schwer zu beantworten. Freilich, wenn die Gesandten der in
Peking vertretnen Mächte nur sest zusammenhielten, dann konnten sie alles
durchsetzen. Ja — wenn! Im Sommer vorigen Jahres haben wir ja ge¬
sehen, wie bald die mühsam hergestellte Einigkeit wieder in die Brüche ging.
Der einzige Weg, der sicher Erfolg verspräche, wäre ein längerer Druck aller
Gesandte» auf die höchsten chinesischen Beamten. Dadurch würden diese ge¬
zwungen werden, nicht allein Erlasse zum Schutze der Missionen zu veröffent¬
lichen, sondern auch strengstens, nötigenfalls mit ausländischer Hilfe, auf die
Befolgung ihrer Befehle zu halten. In frühern Zeiten, als bei nusgebrochnen
Unruhen die Kanonen der hier anwesenden fremden Kriegsschiffe nicht nur
zum Bangemachen, sondern zuweilen auch zum Schießen gebraucht wurden,
hat eine solche Lektion immer den heilsamsten Einfluß gehabt.

Da aber mir selten auf diese Einigkeit und Energie gerechnet werden
kann, so bleibt nichts andres übrig, als daß die fremde« Konsuln immer und
immer wieder alle Mandarinen und andern gebildeten Chinesen, mit denen sie
in Berührung kommen, auffordern, sich recht oft selbst über das Wirken der
Missionare zu unterrichten und sich mit eignen Angen von dem Wohlbefinden
der Missionszöglinge zu überzeugen. Auf diese Weise ist vielleicht mit der
Zeit etwas zu ereichen. Viele werden es allerdings einfach für eine Sisyphus¬
arbeit erklären, die Chinesen von ihrem Aberglauben abbringen zu wollen, und
manchmal möchte allerdings selbst der größte Optimist daran verzweifeln, so
g- B. wenn er lesen muß, der in Tientsin wohnende Bizekönig Li Hung-tschang


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[0579] Die christliche Mission in <Lhina UM die Hauptbeschuldigungeu, nämlich daß die Missionare Kinder stohlen und ähnliche Schandthaten ausübten. Dergleichen hat dann natürlich schon eine bedenklichere Wirkung auf die ungebildete Menge. Der Vorwurf des Kinder- stehlens ist sehr alt nud leicht erklärlich, weil dies Verbrechen in manchen Gegenden wirklich so oft vorkommt, daß man in einsam liegenden Dörfern in beständiger Angst davor lebt. Da nun die katholische Mission überall Findel- nnd Waisenhäuser errichtet, liegt der Verdacht, die vermißten Kinder wären hinter den Mauern dieser Häuser verschwunden, so nahe, daß er von bös¬ williger Seite nicht schwer zu erregen ist. Weit sonderbarer aber ist es, daß bei einem sonst so nüchternen und praktischen Volke wie den Chinesen der finsterste Aberglaube Platz findet, und daß selbst sehr hochstehende Männer nicht frei davon sind! Es ist das einer der merkwürdigen Gegensätze, die im Charakter der Chinesen unvermittelt neben einander liegen. Als kürzlich im Westen wieder einige Missionsstativnen beunruhigt wurden, stellte sich heraus, daß das Volk der felsenfesten Überzeugung war, die Missionare hätten, aus Unwillen über das langsame Wachstum ihrer Gemeinde, mit einem großen Znuberbesen die Wolken vom Himmel gefegt und dadurch die anhaltende Dürre verursacht. Wie ist nun dem jetzigen unsichern Zustande ein Ende zu bereiten? Die Frage ist sehr schwer zu beantworten. Freilich, wenn die Gesandten der in Peking vertretnen Mächte nur sest zusammenhielten, dann konnten sie alles durchsetzen. Ja — wenn! Im Sommer vorigen Jahres haben wir ja ge¬ sehen, wie bald die mühsam hergestellte Einigkeit wieder in die Brüche ging. Der einzige Weg, der sicher Erfolg verspräche, wäre ein längerer Druck aller Gesandte» auf die höchsten chinesischen Beamten. Dadurch würden diese ge¬ zwungen werden, nicht allein Erlasse zum Schutze der Missionen zu veröffent¬ lichen, sondern auch strengstens, nötigenfalls mit ausländischer Hilfe, auf die Befolgung ihrer Befehle zu halten. In frühern Zeiten, als bei nusgebrochnen Unruhen die Kanonen der hier anwesenden fremden Kriegsschiffe nicht nur zum Bangemachen, sondern zuweilen auch zum Schießen gebraucht wurden, hat eine solche Lektion immer den heilsamsten Einfluß gehabt. Da aber mir selten auf diese Einigkeit und Energie gerechnet werden kann, so bleibt nichts andres übrig, als daß die fremde« Konsuln immer und immer wieder alle Mandarinen und andern gebildeten Chinesen, mit denen sie in Berührung kommen, auffordern, sich recht oft selbst über das Wirken der Missionare zu unterrichten und sich mit eignen Angen von dem Wohlbefinden der Missionszöglinge zu überzeugen. Auf diese Weise ist vielleicht mit der Zeit etwas zu ereichen. Viele werden es allerdings einfach für eine Sisyphus¬ arbeit erklären, die Chinesen von ihrem Aberglauben abbringen zu wollen, und manchmal möchte allerdings selbst der größte Optimist daran verzweifeln, so g- B. wenn er lesen muß, der in Tientsin wohnende Bizekönig Li Hung-tschang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/579>, abgerufen am 23.07.2024.