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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder 'Kommunismus noch Kapitalismus

.Männer der Bauern und die Orgnuisatoreu des Aufstandes. Dies veranlaßt
uns, nach seiner Darstellung noch die kirchlichen Verhältnisse des mittelalter¬
lichen Englands flüchtig zu skizziren.

Die Engländer sind immer ein sehr frommes Volk gewesen, aber sie haben
Rom gegenüber ihre nationale Selbständigkeit gewahrt, und seit den Tagen,
wo der elende Johann ohne Land seine Krone dem päpstlichen Legaten Pan-
dvlf übergeben hatte, um des Papstes Beistand wider sein eignes Volk zu er¬
kaufen, war die höhere Geistlichkeit von Haß gegen Rom erfüllt; denn Eng¬
land ist das einzige Land, wo -- abgerechnet die letzten Jahrhunderte, müssen
wir ergänzend hinzufügen -- stets alle Stände einig gewesen sind im Wider¬
stande gegen schlechte Könige, während andrerseits die guten und weisen unter
seine" Königen das niedere Volk gegen Bedrückungen sowohl durch die eignen
Großen wie durch das Ausland beschützt haben. In der ersten Hälfte des
Mittelnlters erfüllte der Klerus vollauf die ihm obliegenden Aufgaben; seine
Leistungen entsprachen seinen Rechten und Einkünften. Außer dem Klerus gab
es niemand, der geistige Arbeit geliefert Hütte. Die höhern Beamten des
Königs und der Lords, die gelehrten Richter, die Lehrer, die Ärzte, die Bau¬
meister waren Kleriker. Die ungenannten Schöpfer der herrlichen Kirchen und
Abteien, an denen England so reich ist, dieser "steinernen Gedichte," sind
sämtlich Kleriker gewesen; auch der Architekt des Tower war einer. Die große
Pest verschlechterte den Bolkscharakter im allgemeinen und den des Klerus
ganz besonders; dieser wurde faul, übermütig und lasterhaft. Dazu kamen die
Anmaßungen Roms und seine Geldcrpressungen. Die diesen Umstünden ent¬
sprechende romfeindliche Stimmung des Volks bot den Reformbestrebungen
Wiklifs den günstigsten Boden. Er konnte sich ihnen bis zum Aufstande von
138t, der die Großen gegen ihn aufbrachte, in ganz gesicherter Stellung hin¬
gebe", denn die Universität Oxford, an der er lehrte, erfreute sich einer durch
Päpstliche und königliche Freibriefe verbürgten Unabhängigkeit und unbeschränkten
Lehrfreiheit; "kein Bischof oder Erzbischof, erklärte ihr Kanzler zu Wiklifs Zeit,
hat in Glaubenssachen irgend welche Autorität über sie." Die Forschung war
an ihr also frei, freier vielleicht als beispielsweise heutzutage an der Berliner
Universität. Willis gründete nun einen Orden "armer Priester," die, zusammen
mit den Lvllarden, einer weitverbreiteten Brüderschaft, deren Geschichte noch
unklar ist, dem Volke eine" christliche" Sozialismus predigten, der sich, wie
später das Puritcmertum, vorzugsweise aufs Alte Testament stützte. Diese
Männer waren fanatisch, schlau und kühn. Sie hatten um so leichtere Arbeit,,
als die Künste des Lesens und Schreibens im Volke ziemlich verbreitet waren,
wie die Wirtschaftsbücher und die Handwcrkerrechnnngen beweisen. Denn auch
darin hatte der Klerus seiue Schuldigkeit gethan. Die Schulgrüuduugeu von
1547, meint Rogers, waren nicht etwa die Frucht eines neuen durch die Re¬
formation entzündete" Vvlksbilduugseifers, sondern nur ein Ersatz für die un-


Weder 'Kommunismus noch Kapitalismus

.Männer der Bauern und die Orgnuisatoreu des Aufstandes. Dies veranlaßt
uns, nach seiner Darstellung noch die kirchlichen Verhältnisse des mittelalter¬
lichen Englands flüchtig zu skizziren.

Die Engländer sind immer ein sehr frommes Volk gewesen, aber sie haben
Rom gegenüber ihre nationale Selbständigkeit gewahrt, und seit den Tagen,
wo der elende Johann ohne Land seine Krone dem päpstlichen Legaten Pan-
dvlf übergeben hatte, um des Papstes Beistand wider sein eignes Volk zu er¬
kaufen, war die höhere Geistlichkeit von Haß gegen Rom erfüllt; denn Eng¬
land ist das einzige Land, wo — abgerechnet die letzten Jahrhunderte, müssen
wir ergänzend hinzufügen — stets alle Stände einig gewesen sind im Wider¬
stande gegen schlechte Könige, während andrerseits die guten und weisen unter
seine» Königen das niedere Volk gegen Bedrückungen sowohl durch die eignen
Großen wie durch das Ausland beschützt haben. In der ersten Hälfte des
Mittelnlters erfüllte der Klerus vollauf die ihm obliegenden Aufgaben; seine
Leistungen entsprachen seinen Rechten und Einkünften. Außer dem Klerus gab
es niemand, der geistige Arbeit geliefert Hütte. Die höhern Beamten des
Königs und der Lords, die gelehrten Richter, die Lehrer, die Ärzte, die Bau¬
meister waren Kleriker. Die ungenannten Schöpfer der herrlichen Kirchen und
Abteien, an denen England so reich ist, dieser „steinernen Gedichte," sind
sämtlich Kleriker gewesen; auch der Architekt des Tower war einer. Die große
Pest verschlechterte den Bolkscharakter im allgemeinen und den des Klerus
ganz besonders; dieser wurde faul, übermütig und lasterhaft. Dazu kamen die
Anmaßungen Roms und seine Geldcrpressungen. Die diesen Umstünden ent¬
sprechende romfeindliche Stimmung des Volks bot den Reformbestrebungen
Wiklifs den günstigsten Boden. Er konnte sich ihnen bis zum Aufstande von
138t, der die Großen gegen ihn aufbrachte, in ganz gesicherter Stellung hin¬
gebe», denn die Universität Oxford, an der er lehrte, erfreute sich einer durch
Päpstliche und königliche Freibriefe verbürgten Unabhängigkeit und unbeschränkten
Lehrfreiheit; „kein Bischof oder Erzbischof, erklärte ihr Kanzler zu Wiklifs Zeit,
hat in Glaubenssachen irgend welche Autorität über sie." Die Forschung war
an ihr also frei, freier vielleicht als beispielsweise heutzutage an der Berliner
Universität. Willis gründete nun einen Orden „armer Priester," die, zusammen
mit den Lvllarden, einer weitverbreiteten Brüderschaft, deren Geschichte noch
unklar ist, dem Volke eine» christliche» Sozialismus predigten, der sich, wie
später das Puritcmertum, vorzugsweise aufs Alte Testament stützte. Diese
Männer waren fanatisch, schlau und kühn. Sie hatten um so leichtere Arbeit,,
als die Künste des Lesens und Schreibens im Volke ziemlich verbreitet waren,
wie die Wirtschaftsbücher und die Handwcrkerrechnnngen beweisen. Denn auch
darin hatte der Klerus seiue Schuldigkeit gethan. Die Schulgrüuduugeu von
1547, meint Rogers, waren nicht etwa die Frucht eines neuen durch die Re¬
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[0533] Weder 'Kommunismus noch Kapitalismus .Männer der Bauern und die Orgnuisatoreu des Aufstandes. Dies veranlaßt uns, nach seiner Darstellung noch die kirchlichen Verhältnisse des mittelalter¬ lichen Englands flüchtig zu skizziren. Die Engländer sind immer ein sehr frommes Volk gewesen, aber sie haben Rom gegenüber ihre nationale Selbständigkeit gewahrt, und seit den Tagen, wo der elende Johann ohne Land seine Krone dem päpstlichen Legaten Pan- dvlf übergeben hatte, um des Papstes Beistand wider sein eignes Volk zu er¬ kaufen, war die höhere Geistlichkeit von Haß gegen Rom erfüllt; denn Eng¬ land ist das einzige Land, wo — abgerechnet die letzten Jahrhunderte, müssen wir ergänzend hinzufügen — stets alle Stände einig gewesen sind im Wider¬ stande gegen schlechte Könige, während andrerseits die guten und weisen unter seine» Königen das niedere Volk gegen Bedrückungen sowohl durch die eignen Großen wie durch das Ausland beschützt haben. In der ersten Hälfte des Mittelnlters erfüllte der Klerus vollauf die ihm obliegenden Aufgaben; seine Leistungen entsprachen seinen Rechten und Einkünften. Außer dem Klerus gab es niemand, der geistige Arbeit geliefert Hütte. Die höhern Beamten des Königs und der Lords, die gelehrten Richter, die Lehrer, die Ärzte, die Bau¬ meister waren Kleriker. Die ungenannten Schöpfer der herrlichen Kirchen und Abteien, an denen England so reich ist, dieser „steinernen Gedichte," sind sämtlich Kleriker gewesen; auch der Architekt des Tower war einer. Die große Pest verschlechterte den Bolkscharakter im allgemeinen und den des Klerus ganz besonders; dieser wurde faul, übermütig und lasterhaft. Dazu kamen die Anmaßungen Roms und seine Geldcrpressungen. Die diesen Umstünden ent¬ sprechende romfeindliche Stimmung des Volks bot den Reformbestrebungen Wiklifs den günstigsten Boden. Er konnte sich ihnen bis zum Aufstande von 138t, der die Großen gegen ihn aufbrachte, in ganz gesicherter Stellung hin¬ gebe», denn die Universität Oxford, an der er lehrte, erfreute sich einer durch Päpstliche und königliche Freibriefe verbürgten Unabhängigkeit und unbeschränkten Lehrfreiheit; „kein Bischof oder Erzbischof, erklärte ihr Kanzler zu Wiklifs Zeit, hat in Glaubenssachen irgend welche Autorität über sie." Die Forschung war an ihr also frei, freier vielleicht als beispielsweise heutzutage an der Berliner Universität. Willis gründete nun einen Orden „armer Priester," die, zusammen mit den Lvllarden, einer weitverbreiteten Brüderschaft, deren Geschichte noch unklar ist, dem Volke eine» christliche» Sozialismus predigten, der sich, wie später das Puritcmertum, vorzugsweise aufs Alte Testament stützte. Diese Männer waren fanatisch, schlau und kühn. Sie hatten um so leichtere Arbeit,, als die Künste des Lesens und Schreibens im Volke ziemlich verbreitet waren, wie die Wirtschaftsbücher und die Handwcrkerrechnnngen beweisen. Denn auch darin hatte der Klerus seiue Schuldigkeit gethan. Die Schulgrüuduugeu von 1547, meint Rogers, waren nicht etwa die Frucht eines neuen durch die Re¬ formation entzündete» Vvlksbilduugseifers, sondern nur ein Ersatz für die un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/533>, abgerufen am 23.07.2024.