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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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qegm zweitausendfünfhundcrt Mark ausgezahlt. Der Baumeister speiste am
Tische der Ritter, der Gehilfe an dem der Ievmen. Die Kost wurde jetzt
mir noch zu einem Viertel oder Fünftel des Lohnes, in Klöstern häusig für
nichts gerechnet und einfach zugegeben. Gewebe und Kleider wurden auf dem
Lande noch vielfach im Hause von den Frauen angefertigt; gesponnen wurde
selbstverständlich in jedem Hanse. Und die Männer des Hauses wußten so¬
weit mit Zimmer- und Schmiedewerkzeug anzugehn, daß sie nicht zu jeder
Kleinigkeit einen Handwerker brauchten. Andrerseits war der Handwerker nicht
ausschließlich auf sein Gewerbe angewiesen; er hatte sein bischen Acker und
Vieh und wußte etwaige arbeitsfreie Tage und Wochen nützlich auszufüllen.

Dieser Zustand, bei dessen Schilderung wir nur an wenigen Stellen über
das Vierzehnte Jahrhundert hiimusgegriffeu haben, erlitt in der Mitte des
vierzehnten Jahrhunderts eine starke Erschütterung, die nach einigen Schwan¬
kungen endgiltig zu Gunsten der untern Klassen ausschlug. Zu einer Lockerung
des sozialen Baues wirkten mehrere Ursachen zusammen. Eine Hungersnot,*)
verursacht durch die nassen Sommer von 1315 und 1316, trieb viele von
ihrer Scholle, wo sie keine Nahrung mehr fanden, und so entstand das vor¬
dem unbekannte Übel eines Vagabundentums. Zu diesen Banden gesellte"
sich andre Banden entlassener Soldaten, denn die beständigen Kriege in Frank¬
reich hatten ein Heer von Berufssoldaten geschaffen, übrigens die besten im
damaligen Europa; namentlich den französischen Ritterheeren waren sie weit
überlegen. Dann kam im Jahre 1348 der Schwarze Tod. Aus den merk¬
würdigen Einzelheiten, die Rogers über diese furchtbare Seuche mitteilt, heben
wir nur die eine hervor, daß das Christ Church Kloster in Canterbury beinahe
verschont blieb, weil es mit einer Quellwasserleitung versehn war. Bei der schon
erwähnten allgemein herrschenden Unreinlichkeit bot jede menschliche Wohnung
allen Seuchen den vortrefflichsten Nährboden dar; vor jedem Bauerhause
turnte und flutete eine höllische Mischung, für die der Name Düngerhaufe
eine viel zu schmeichelhafte Bezeichnung sein würde, und verpestete Stuben,
Viehstall und Wasser, ohne den Ackern und Wiesen viel zu nützen. Die von
der Seuche angerichteten Verheerungen sind zwar von den Chronisten über¬
trieben worden, England hat nur etwa ein Drittel seiner Bevölkerung ver¬
loren. Aber dieser Verlust reichte doch schon hin, die Bestellung der Äcker
in dem bisherigen Umfange unmöglich zu machen oder wenigstens sehr zu
erschweren. Es fehlte nicht allein an Knechten, sondern auch nu Pächtern;
in manchen Dörfern blieb die Mühle längere Zeit leer stehn. Eine allgemeine
Lvhnsteigeruug bei gleichbleibendem Preise der landwirtschaftlichen Produkte



Allgemeine Hungersnöte waren selten und immer mir die Folgen nasser Sommer,
Örtlichem Maugel wurde, wie Rogers bemerkt, leicht und rasch abgeholfen, weil die Kommuni¬
kation besser war als im achtzehnte" Jahrhundert. Es fehlte weder nu guten Straßen noch
an billigem Zugvieh; gereist wurde viel und schnell.
Grenzboten IV 1892 W

qegm zweitausendfünfhundcrt Mark ausgezahlt. Der Baumeister speiste am
Tische der Ritter, der Gehilfe an dem der Ievmen. Die Kost wurde jetzt
mir noch zu einem Viertel oder Fünftel des Lohnes, in Klöstern häusig für
nichts gerechnet und einfach zugegeben. Gewebe und Kleider wurden auf dem
Lande noch vielfach im Hause von den Frauen angefertigt; gesponnen wurde
selbstverständlich in jedem Hanse. Und die Männer des Hauses wußten so¬
weit mit Zimmer- und Schmiedewerkzeug anzugehn, daß sie nicht zu jeder
Kleinigkeit einen Handwerker brauchten. Andrerseits war der Handwerker nicht
ausschließlich auf sein Gewerbe angewiesen; er hatte sein bischen Acker und
Vieh und wußte etwaige arbeitsfreie Tage und Wochen nützlich auszufüllen.

Dieser Zustand, bei dessen Schilderung wir nur an wenigen Stellen über
das Vierzehnte Jahrhundert hiimusgegriffeu haben, erlitt in der Mitte des
vierzehnten Jahrhunderts eine starke Erschütterung, die nach einigen Schwan¬
kungen endgiltig zu Gunsten der untern Klassen ausschlug. Zu einer Lockerung
des sozialen Baues wirkten mehrere Ursachen zusammen. Eine Hungersnot,*)
verursacht durch die nassen Sommer von 1315 und 1316, trieb viele von
ihrer Scholle, wo sie keine Nahrung mehr fanden, und so entstand das vor¬
dem unbekannte Übel eines Vagabundentums. Zu diesen Banden gesellte»
sich andre Banden entlassener Soldaten, denn die beständigen Kriege in Frank¬
reich hatten ein Heer von Berufssoldaten geschaffen, übrigens die besten im
damaligen Europa; namentlich den französischen Ritterheeren waren sie weit
überlegen. Dann kam im Jahre 1348 der Schwarze Tod. Aus den merk¬
würdigen Einzelheiten, die Rogers über diese furchtbare Seuche mitteilt, heben
wir nur die eine hervor, daß das Christ Church Kloster in Canterbury beinahe
verschont blieb, weil es mit einer Quellwasserleitung versehn war. Bei der schon
erwähnten allgemein herrschenden Unreinlichkeit bot jede menschliche Wohnung
allen Seuchen den vortrefflichsten Nährboden dar; vor jedem Bauerhause
turnte und flutete eine höllische Mischung, für die der Name Düngerhaufe
eine viel zu schmeichelhafte Bezeichnung sein würde, und verpestete Stuben,
Viehstall und Wasser, ohne den Ackern und Wiesen viel zu nützen. Die von
der Seuche angerichteten Verheerungen sind zwar von den Chronisten über¬
trieben worden, England hat nur etwa ein Drittel seiner Bevölkerung ver¬
loren. Aber dieser Verlust reichte doch schon hin, die Bestellung der Äcker
in dem bisherigen Umfange unmöglich zu machen oder wenigstens sehr zu
erschweren. Es fehlte nicht allein an Knechten, sondern auch nu Pächtern;
in manchen Dörfern blieb die Mühle längere Zeit leer stehn. Eine allgemeine
Lvhnsteigeruug bei gleichbleibendem Preise der landwirtschaftlichen Produkte



Allgemeine Hungersnöte waren selten und immer mir die Folgen nasser Sommer,
Örtlichem Maugel wurde, wie Rogers bemerkt, leicht und rasch abgeholfen, weil die Kommuni¬
kation besser war als im achtzehnte» Jahrhundert. Es fehlte weder nu guten Straßen noch
an billigem Zugvieh; gereist wurde viel und schnell.
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[0529] qegm zweitausendfünfhundcrt Mark ausgezahlt. Der Baumeister speiste am Tische der Ritter, der Gehilfe an dem der Ievmen. Die Kost wurde jetzt mir noch zu einem Viertel oder Fünftel des Lohnes, in Klöstern häusig für nichts gerechnet und einfach zugegeben. Gewebe und Kleider wurden auf dem Lande noch vielfach im Hause von den Frauen angefertigt; gesponnen wurde selbstverständlich in jedem Hanse. Und die Männer des Hauses wußten so¬ weit mit Zimmer- und Schmiedewerkzeug anzugehn, daß sie nicht zu jeder Kleinigkeit einen Handwerker brauchten. Andrerseits war der Handwerker nicht ausschließlich auf sein Gewerbe angewiesen; er hatte sein bischen Acker und Vieh und wußte etwaige arbeitsfreie Tage und Wochen nützlich auszufüllen. Dieser Zustand, bei dessen Schilderung wir nur an wenigen Stellen über das Vierzehnte Jahrhundert hiimusgegriffeu haben, erlitt in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts eine starke Erschütterung, die nach einigen Schwan¬ kungen endgiltig zu Gunsten der untern Klassen ausschlug. Zu einer Lockerung des sozialen Baues wirkten mehrere Ursachen zusammen. Eine Hungersnot,*) verursacht durch die nassen Sommer von 1315 und 1316, trieb viele von ihrer Scholle, wo sie keine Nahrung mehr fanden, und so entstand das vor¬ dem unbekannte Übel eines Vagabundentums. Zu diesen Banden gesellte» sich andre Banden entlassener Soldaten, denn die beständigen Kriege in Frank¬ reich hatten ein Heer von Berufssoldaten geschaffen, übrigens die besten im damaligen Europa; namentlich den französischen Ritterheeren waren sie weit überlegen. Dann kam im Jahre 1348 der Schwarze Tod. Aus den merk¬ würdigen Einzelheiten, die Rogers über diese furchtbare Seuche mitteilt, heben wir nur die eine hervor, daß das Christ Church Kloster in Canterbury beinahe verschont blieb, weil es mit einer Quellwasserleitung versehn war. Bei der schon erwähnten allgemein herrschenden Unreinlichkeit bot jede menschliche Wohnung allen Seuchen den vortrefflichsten Nährboden dar; vor jedem Bauerhause turnte und flutete eine höllische Mischung, für die der Name Düngerhaufe eine viel zu schmeichelhafte Bezeichnung sein würde, und verpestete Stuben, Viehstall und Wasser, ohne den Ackern und Wiesen viel zu nützen. Die von der Seuche angerichteten Verheerungen sind zwar von den Chronisten über¬ trieben worden, England hat nur etwa ein Drittel seiner Bevölkerung ver¬ loren. Aber dieser Verlust reichte doch schon hin, die Bestellung der Äcker in dem bisherigen Umfange unmöglich zu machen oder wenigstens sehr zu erschweren. Es fehlte nicht allein an Knechten, sondern auch nu Pächtern; in manchen Dörfern blieb die Mühle längere Zeit leer stehn. Eine allgemeine Lvhnsteigeruug bei gleichbleibendem Preise der landwirtschaftlichen Produkte Allgemeine Hungersnöte waren selten und immer mir die Folgen nasser Sommer, Örtlichem Maugel wurde, wie Rogers bemerkt, leicht und rasch abgeholfen, weil die Kommuni¬ kation besser war als im achtzehnte» Jahrhundert. Es fehlte weder nu guten Straßen noch an billigem Zugvieh; gereist wurde viel und schnell. Grenzboten IV 1892 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/529>, abgerufen am 23.07.2024.