Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

brachte, gesammelt und nach den Materien geordnet. Das wußte,? schon seine
Londoner Freunde, die sich fortwährend bei ihm Rats erholten.

Seitdem er im Sommer 1882 zum erstenmal um seinen Abschied gebeten
hatte, und als er ihn vier Jahre später erhielt, ist über die Motive seines
Rücktritts viel vermutet worden. Inwieweit er Ursache hatte, mit seiner
Stellung unzufrieden zu sein, kann ich nicht sagen. Andre haben mir von
jungen Vorgesetzten und von dem Auftauchen und Emporkommen strebsamer
Herren erzählt, die denn auch im richtigen Augenblicke die alte Ratten-
Weisheit beherzigt haben: "Was kann die Anwesenheit meiner bescheidnen
Person dem Schiffe nützen?" Von ihm selbst weiß ich nnr, daß er für den
Staatssekretär v. Bülow keine freundschaftlichen Gefühle hegte, und die Gründe
dafür sind neuestens offen dargelegt worden.

"Aktenmäßig" war der Verlauf der Sache dieser. Ein harter Winter in
einem neuen Anbau des Herrenhauses zu Varzin hatte meinem Bruder ein
rheumatisches Leiden zugezogen, das sich allen Kuren zum Trotz endlich zur
Gicht in beiden Händen ausbildete. Mit Beziehung hierauf und auf eine
stets wachsende Nervosität, die ihn befürchten lassen mußte, "nicht ferner an
dem Geschäftsbetrieb im Auswärtigen Amte in der dem allerhöchsten Dienste
schuldigen und ihn selbst befriedigenden Weise teilnehmen zu können," bat er
bei Antritt seines Urlaubs am 1. August 1882 um seine Versetzung in deu
Ruhestand. Gleich am nächsten Tage antwortete der Fürst in einem Schreiben,
das ich mitzuteilen mir nicht versagen kann.

Narzin 2 August 1382

Ich habe Ihren Brief von gestern mit Leidwesen erhalten, da es danach
mit Ihrem Gesundheitszustand wirklich nicht gut zu stehen scheint. Ich hoffe und
wünsche aber von Herzen, daß der Urlaub, den Sie gestern angetreten haben,
Ihnen neue Kräftigung bringen wird, denn ich würde mich nnr schwer und un-
gern von Ihnen trennen. Jedenfalls mochte ich Ihr Gesuch nicht amtlich be¬
handeln, ehe ich mich nicht mündlich mit Ihnen besprochen habe und ich bitte Sie
deshalb, falls es Ihnen jetzt nicht passen sollte, mich nach Ablauf Ihres Urlaubes
hier zu besuchen. Ich deute, daß es Ihnen vielleicht auch Freude machen wird,
Varzin nach so langer Zeit einmal wiederzusehen


Der Ihrige
vBismarck

Der Brief kam erst nach drei Wochen in meines Bruders Hciude, da dieser
auf einem längern Umwege zum Kurgebrauche nach Vvrmio gegangen war.
Als er im Herbst nach Varzin kam, sah er sich, wie er mir bald darauf sagte,
von vornherein in eine schwierige Lage versetzt, da ihn der Fürst mit der Er¬
klärung empfing, unter Alter, Krankheit und Ärger, die mein Bruder anführen
könne, habe er selbst in noch höherm Grade zu leiden, und doch halte er aus.
So blieb das Gesuch unerledigt. Aber bekannt geworden war es doch, und
noch ehe er die Einladung nach Varziu erhalten hatte, konnte Bücher seinen
förmlichen Nekrolog, verschieden gefärbt und mit den mannichfaltigsten Ent-


Greuzbotcn IV 1892 60

brachte, gesammelt und nach den Materien geordnet. Das wußte,? schon seine
Londoner Freunde, die sich fortwährend bei ihm Rats erholten.

Seitdem er im Sommer 1882 zum erstenmal um seinen Abschied gebeten
hatte, und als er ihn vier Jahre später erhielt, ist über die Motive seines
Rücktritts viel vermutet worden. Inwieweit er Ursache hatte, mit seiner
Stellung unzufrieden zu sein, kann ich nicht sagen. Andre haben mir von
jungen Vorgesetzten und von dem Auftauchen und Emporkommen strebsamer
Herren erzählt, die denn auch im richtigen Augenblicke die alte Ratten-
Weisheit beherzigt haben: „Was kann die Anwesenheit meiner bescheidnen
Person dem Schiffe nützen?" Von ihm selbst weiß ich nnr, daß er für den
Staatssekretär v. Bülow keine freundschaftlichen Gefühle hegte, und die Gründe
dafür sind neuestens offen dargelegt worden.

„Aktenmäßig" war der Verlauf der Sache dieser. Ein harter Winter in
einem neuen Anbau des Herrenhauses zu Varzin hatte meinem Bruder ein
rheumatisches Leiden zugezogen, das sich allen Kuren zum Trotz endlich zur
Gicht in beiden Händen ausbildete. Mit Beziehung hierauf und auf eine
stets wachsende Nervosität, die ihn befürchten lassen mußte, „nicht ferner an
dem Geschäftsbetrieb im Auswärtigen Amte in der dem allerhöchsten Dienste
schuldigen und ihn selbst befriedigenden Weise teilnehmen zu können," bat er
bei Antritt seines Urlaubs am 1. August 1882 um seine Versetzung in deu
Ruhestand. Gleich am nächsten Tage antwortete der Fürst in einem Schreiben,
das ich mitzuteilen mir nicht versagen kann.

Narzin 2 August 1382

Ich habe Ihren Brief von gestern mit Leidwesen erhalten, da es danach
mit Ihrem Gesundheitszustand wirklich nicht gut zu stehen scheint. Ich hoffe und
wünsche aber von Herzen, daß der Urlaub, den Sie gestern angetreten haben,
Ihnen neue Kräftigung bringen wird, denn ich würde mich nnr schwer und un-
gern von Ihnen trennen. Jedenfalls mochte ich Ihr Gesuch nicht amtlich be¬
handeln, ehe ich mich nicht mündlich mit Ihnen besprochen habe und ich bitte Sie
deshalb, falls es Ihnen jetzt nicht passen sollte, mich nach Ablauf Ihres Urlaubes
hier zu besuchen. Ich deute, daß es Ihnen vielleicht auch Freude machen wird,
Varzin nach so langer Zeit einmal wiederzusehen


Der Ihrige
vBismarck

Der Brief kam erst nach drei Wochen in meines Bruders Hciude, da dieser
auf einem längern Umwege zum Kurgebrauche nach Vvrmio gegangen war.
Als er im Herbst nach Varzin kam, sah er sich, wie er mir bald darauf sagte,
von vornherein in eine schwierige Lage versetzt, da ihn der Fürst mit der Er¬
klärung empfing, unter Alter, Krankheit und Ärger, die mein Bruder anführen
könne, habe er selbst in noch höherm Grade zu leiden, und doch halte er aus.
So blieb das Gesuch unerledigt. Aber bekannt geworden war es doch, und
noch ehe er die Einladung nach Varziu erhalten hatte, konnte Bücher seinen
förmlichen Nekrolog, verschieden gefärbt und mit den mannichfaltigsten Ent-


Greuzbotcn IV 1892 60
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0481" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213595"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1435" prev="#ID_1434"> brachte, gesammelt und nach den Materien geordnet. Das wußte,? schon seine<lb/>
Londoner Freunde, die sich fortwährend bei ihm Rats erholten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1436"> Seitdem er im Sommer 1882 zum erstenmal um seinen Abschied gebeten<lb/>
hatte, und als er ihn vier Jahre später erhielt, ist über die Motive seines<lb/>
Rücktritts viel vermutet worden. Inwieweit er Ursache hatte, mit seiner<lb/>
Stellung unzufrieden zu sein, kann ich nicht sagen. Andre haben mir von<lb/>
jungen Vorgesetzten und von dem Auftauchen und Emporkommen strebsamer<lb/>
Herren erzählt, die denn auch im richtigen Augenblicke die alte Ratten-<lb/>
Weisheit beherzigt haben: &#x201E;Was kann die Anwesenheit meiner bescheidnen<lb/>
Person dem Schiffe nützen?" Von ihm selbst weiß ich nnr, daß er für den<lb/>
Staatssekretär v. Bülow keine freundschaftlichen Gefühle hegte, und die Gründe<lb/>
dafür sind neuestens offen dargelegt worden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1437"> &#x201E;Aktenmäßig" war der Verlauf der Sache dieser. Ein harter Winter in<lb/>
einem neuen Anbau des Herrenhauses zu Varzin hatte meinem Bruder ein<lb/>
rheumatisches Leiden zugezogen, das sich allen Kuren zum Trotz endlich zur<lb/>
Gicht in beiden Händen ausbildete. Mit Beziehung hierauf und auf eine<lb/>
stets wachsende Nervosität, die ihn befürchten lassen mußte, &#x201E;nicht ferner an<lb/>
dem Geschäftsbetrieb im Auswärtigen Amte in der dem allerhöchsten Dienste<lb/>
schuldigen und ihn selbst befriedigenden Weise teilnehmen zu können," bat er<lb/>
bei Antritt seines Urlaubs am 1. August 1882 um seine Versetzung in deu<lb/>
Ruhestand. Gleich am nächsten Tage antwortete der Fürst in einem Schreiben,<lb/>
das ich mitzuteilen mir nicht versagen kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1438"> Narzin 2 August 1382</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1439"> Ich habe Ihren Brief von gestern mit Leidwesen erhalten, da es danach<lb/>
mit Ihrem Gesundheitszustand wirklich nicht gut zu stehen scheint. Ich hoffe und<lb/>
wünsche aber von Herzen, daß der Urlaub, den Sie gestern angetreten haben,<lb/>
Ihnen neue Kräftigung bringen wird, denn ich würde mich nnr schwer und un-<lb/>
gern von Ihnen trennen. Jedenfalls mochte ich Ihr Gesuch nicht amtlich be¬<lb/>
handeln, ehe ich mich nicht mündlich mit Ihnen besprochen habe und ich bitte Sie<lb/>
deshalb, falls es Ihnen jetzt nicht passen sollte, mich nach Ablauf Ihres Urlaubes<lb/>
hier zu besuchen. Ich deute, daß es Ihnen vielleicht auch Freude machen wird,<lb/>
Varzin nach so langer Zeit einmal wiederzusehen</p><lb/>
          <note type="closer"> Der Ihrige</note><lb/>
          <note type="bibl"> vBismarck</note><lb/>
          <p xml:id="ID_1440" next="#ID_1441"> Der Brief kam erst nach drei Wochen in meines Bruders Hciude, da dieser<lb/>
auf einem längern Umwege zum Kurgebrauche nach Vvrmio gegangen war.<lb/>
Als er im Herbst nach Varzin kam, sah er sich, wie er mir bald darauf sagte,<lb/>
von vornherein in eine schwierige Lage versetzt, da ihn der Fürst mit der Er¬<lb/>
klärung empfing, unter Alter, Krankheit und Ärger, die mein Bruder anführen<lb/>
könne, habe er selbst in noch höherm Grade zu leiden, und doch halte er aus.<lb/>
So blieb das Gesuch unerledigt. Aber bekannt geworden war es doch, und<lb/>
noch ehe er die Einladung nach Varziu erhalten hatte, konnte Bücher seinen<lb/>
förmlichen Nekrolog, verschieden gefärbt und mit den mannichfaltigsten Ent-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Greuzbotcn IV 1892 60</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0481] brachte, gesammelt und nach den Materien geordnet. Das wußte,? schon seine Londoner Freunde, die sich fortwährend bei ihm Rats erholten. Seitdem er im Sommer 1882 zum erstenmal um seinen Abschied gebeten hatte, und als er ihn vier Jahre später erhielt, ist über die Motive seines Rücktritts viel vermutet worden. Inwieweit er Ursache hatte, mit seiner Stellung unzufrieden zu sein, kann ich nicht sagen. Andre haben mir von jungen Vorgesetzten und von dem Auftauchen und Emporkommen strebsamer Herren erzählt, die denn auch im richtigen Augenblicke die alte Ratten- Weisheit beherzigt haben: „Was kann die Anwesenheit meiner bescheidnen Person dem Schiffe nützen?" Von ihm selbst weiß ich nnr, daß er für den Staatssekretär v. Bülow keine freundschaftlichen Gefühle hegte, und die Gründe dafür sind neuestens offen dargelegt worden. „Aktenmäßig" war der Verlauf der Sache dieser. Ein harter Winter in einem neuen Anbau des Herrenhauses zu Varzin hatte meinem Bruder ein rheumatisches Leiden zugezogen, das sich allen Kuren zum Trotz endlich zur Gicht in beiden Händen ausbildete. Mit Beziehung hierauf und auf eine stets wachsende Nervosität, die ihn befürchten lassen mußte, „nicht ferner an dem Geschäftsbetrieb im Auswärtigen Amte in der dem allerhöchsten Dienste schuldigen und ihn selbst befriedigenden Weise teilnehmen zu können," bat er bei Antritt seines Urlaubs am 1. August 1882 um seine Versetzung in deu Ruhestand. Gleich am nächsten Tage antwortete der Fürst in einem Schreiben, das ich mitzuteilen mir nicht versagen kann. Narzin 2 August 1382 Ich habe Ihren Brief von gestern mit Leidwesen erhalten, da es danach mit Ihrem Gesundheitszustand wirklich nicht gut zu stehen scheint. Ich hoffe und wünsche aber von Herzen, daß der Urlaub, den Sie gestern angetreten haben, Ihnen neue Kräftigung bringen wird, denn ich würde mich nnr schwer und un- gern von Ihnen trennen. Jedenfalls mochte ich Ihr Gesuch nicht amtlich be¬ handeln, ehe ich mich nicht mündlich mit Ihnen besprochen habe und ich bitte Sie deshalb, falls es Ihnen jetzt nicht passen sollte, mich nach Ablauf Ihres Urlaubes hier zu besuchen. Ich deute, daß es Ihnen vielleicht auch Freude machen wird, Varzin nach so langer Zeit einmal wiederzusehen Der Ihrige vBismarck Der Brief kam erst nach drei Wochen in meines Bruders Hciude, da dieser auf einem längern Umwege zum Kurgebrauche nach Vvrmio gegangen war. Als er im Herbst nach Varzin kam, sah er sich, wie er mir bald darauf sagte, von vornherein in eine schwierige Lage versetzt, da ihn der Fürst mit der Er¬ klärung empfing, unter Alter, Krankheit und Ärger, die mein Bruder anführen könne, habe er selbst in noch höherm Grade zu leiden, und doch halte er aus. So blieb das Gesuch unerledigt. Aber bekannt geworden war es doch, und noch ehe er die Einladung nach Varziu erhalten hatte, konnte Bücher seinen förmlichen Nekrolog, verschieden gefärbt und mit den mannichfaltigsten Ent- Greuzbotcn IV 1892 60

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/481
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/481>, abgerufen am 23.07.2024.