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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Gegenwart und Zukunft der Siebenlmrger Sachsen

Ansicht zu widerlegen, würde es einer historischen Abhandlung bedürfen. Wir
haben den Führern, die wir beide in der Blüte ihrer Kämpfe kannten, nicht
ins Herz gesehn, die Motive waren aber teils tiefere, teils ganz oberflächliche,
höchst menschliche. Recht hat der Verfasser mir darin, daß die Unzufrieden¬
heit mit den wirtschaftlichen Zuständen jener Sezession manchen Anhänger zu¬
führte. Wieviel sich seitdem auf dem alten Sachsenboden verändert hat, be¬
weist das Programm des allgemeinen Sachsentagcs, der im Juni 18ö0 in
Hermannstadt tagte. So wie es als Nationalprogramm die Zustimmung der
großen Mehrheit der Sachsen gefunden hat, umschließt es in seinem fünften
Absatz, der die wirtschaftlichen Ziele aufzählt, alles, was der Verfasser und
überhaupt jeder nur wünschen kann, der die wirtschaftliche Hebung als eine
der ersten Aufgaben des siebenbürgischen Sachsenvolks betrachtet. Die Haupt¬
aufgabe wird aber immer die Erhaltung des innern Zusammenhalts sein müssen,
für den noch lange unter der alten Organisation am besten gesorgt ist. Die
bisherigen Führer des Volks haben sich bei Freund und Feind hauptsächlich
durch ihren festen Mut und ihre unbestechliche Überzenguugstreue in Respekt
gesetzt; möchten diese Eigenschaften den Sachseuführcru auch dann noch in
gleichem Maße eigen sein, wenn es gelungen sein wird, den wirtschaftlichen
Interessen größere Beachtung zu schaffen. Der Verfasser wird phantastisch, wo
er zu glauben scheint, daß gesteigerte Thätigkeit und Bereicherung nur glück¬
bringend wirken werde. Es spricht daraus die blinde Liebe zu einem schwer
zu erringenden Gute, nicht die klare Erwägung des Möglichen. Die sieben-
bürger Sachsen werden hoffentlich auch künftig die idealen Güter stets über
die materielle" stellen, denn nur in jenen lebt die Seele ihres Volkskörpers.

Schon haben die Anfänge eines kräftigern wirtschaftlichen Lebens altdeutsche
Landsleute in nähere Berührung mit den Sachsen gebracht, und in Zukunft
wird die Einwanderung von Technikern und Kaufleuten ans Deutschland
häufiger werde". Hoffentlich werden sie sich auch enger aneinanderschließen
als bisher. Es ist vo" sächsischer Seite viel geklagt worden über die Sonder¬
stellung eingewanderter Landsleute aus dem Reich; nicht selten suchten sie sich
-- ähnlich wie in den Ostseeprovinzen -- mit dem herrschenden Volke besser
zu stellen, wobei es ihnen uns nationale Opfer nicht ankam. Man fragt sich
aus jeuer Seite, ob die Znwandcrnng unter diesen Umständen noch als ein
Vorteil für die Sachsen zu betrachten sei. In der zweifelnden Beantwortung
der Frage möge" Neid und Mißtraue", natürliche Untugenden kleiner ge¬
schlossener Volksgemeinschaften, angesprochen haben. Wir werde" nie einen
Deutschen verteidigen, der sich, vor allem auf solchem Boden, national
charakterlos benimmt. Aber die Sachsen müssen mit ihren Anforderungen ge¬
recht sein und nicht vergessen, daß bei der großen Entfernung, die, leider!
Deutschland und Siebenbürgen trennt, die politischen Gesichtspunkte sehr ver¬
schieden sein müssen. Das ganze lebendnrchtränkte Faser- und Fadenwerk von


Gegenwart und Zukunft der Siebenlmrger Sachsen

Ansicht zu widerlegen, würde es einer historischen Abhandlung bedürfen. Wir
haben den Führern, die wir beide in der Blüte ihrer Kämpfe kannten, nicht
ins Herz gesehn, die Motive waren aber teils tiefere, teils ganz oberflächliche,
höchst menschliche. Recht hat der Verfasser mir darin, daß die Unzufrieden¬
heit mit den wirtschaftlichen Zuständen jener Sezession manchen Anhänger zu¬
führte. Wieviel sich seitdem auf dem alten Sachsenboden verändert hat, be¬
weist das Programm des allgemeinen Sachsentagcs, der im Juni 18ö0 in
Hermannstadt tagte. So wie es als Nationalprogramm die Zustimmung der
großen Mehrheit der Sachsen gefunden hat, umschließt es in seinem fünften
Absatz, der die wirtschaftlichen Ziele aufzählt, alles, was der Verfasser und
überhaupt jeder nur wünschen kann, der die wirtschaftliche Hebung als eine
der ersten Aufgaben des siebenbürgischen Sachsenvolks betrachtet. Die Haupt¬
aufgabe wird aber immer die Erhaltung des innern Zusammenhalts sein müssen,
für den noch lange unter der alten Organisation am besten gesorgt ist. Die
bisherigen Führer des Volks haben sich bei Freund und Feind hauptsächlich
durch ihren festen Mut und ihre unbestechliche Überzenguugstreue in Respekt
gesetzt; möchten diese Eigenschaften den Sachseuführcru auch dann noch in
gleichem Maße eigen sein, wenn es gelungen sein wird, den wirtschaftlichen
Interessen größere Beachtung zu schaffen. Der Verfasser wird phantastisch, wo
er zu glauben scheint, daß gesteigerte Thätigkeit und Bereicherung nur glück¬
bringend wirken werde. Es spricht daraus die blinde Liebe zu einem schwer
zu erringenden Gute, nicht die klare Erwägung des Möglichen. Die sieben-
bürger Sachsen werden hoffentlich auch künftig die idealen Güter stets über
die materielle» stellen, denn nur in jenen lebt die Seele ihres Volkskörpers.

Schon haben die Anfänge eines kräftigern wirtschaftlichen Lebens altdeutsche
Landsleute in nähere Berührung mit den Sachsen gebracht, und in Zukunft
wird die Einwanderung von Technikern und Kaufleuten ans Deutschland
häufiger werde». Hoffentlich werden sie sich auch enger aneinanderschließen
als bisher. Es ist vo» sächsischer Seite viel geklagt worden über die Sonder¬
stellung eingewanderter Landsleute aus dem Reich; nicht selten suchten sie sich
— ähnlich wie in den Ostseeprovinzen — mit dem herrschenden Volke besser
zu stellen, wobei es ihnen uns nationale Opfer nicht ankam. Man fragt sich
aus jeuer Seite, ob die Znwandcrnng unter diesen Umständen noch als ein
Vorteil für die Sachsen zu betrachten sei. In der zweifelnden Beantwortung
der Frage möge» Neid und Mißtraue», natürliche Untugenden kleiner ge¬
schlossener Volksgemeinschaften, angesprochen haben. Wir werde» nie einen
Deutschen verteidigen, der sich, vor allem auf solchem Boden, national
charakterlos benimmt. Aber die Sachsen müssen mit ihren Anforderungen ge¬
recht sein und nicht vergessen, daß bei der großen Entfernung, die, leider!
Deutschland und Siebenbürgen trennt, die politischen Gesichtspunkte sehr ver¬
schieden sein müssen. Das ganze lebendnrchtränkte Faser- und Fadenwerk von


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[0463] Gegenwart und Zukunft der Siebenlmrger Sachsen Ansicht zu widerlegen, würde es einer historischen Abhandlung bedürfen. Wir haben den Führern, die wir beide in der Blüte ihrer Kämpfe kannten, nicht ins Herz gesehn, die Motive waren aber teils tiefere, teils ganz oberflächliche, höchst menschliche. Recht hat der Verfasser mir darin, daß die Unzufrieden¬ heit mit den wirtschaftlichen Zuständen jener Sezession manchen Anhänger zu¬ führte. Wieviel sich seitdem auf dem alten Sachsenboden verändert hat, be¬ weist das Programm des allgemeinen Sachsentagcs, der im Juni 18ö0 in Hermannstadt tagte. So wie es als Nationalprogramm die Zustimmung der großen Mehrheit der Sachsen gefunden hat, umschließt es in seinem fünften Absatz, der die wirtschaftlichen Ziele aufzählt, alles, was der Verfasser und überhaupt jeder nur wünschen kann, der die wirtschaftliche Hebung als eine der ersten Aufgaben des siebenbürgischen Sachsenvolks betrachtet. Die Haupt¬ aufgabe wird aber immer die Erhaltung des innern Zusammenhalts sein müssen, für den noch lange unter der alten Organisation am besten gesorgt ist. Die bisherigen Führer des Volks haben sich bei Freund und Feind hauptsächlich durch ihren festen Mut und ihre unbestechliche Überzenguugstreue in Respekt gesetzt; möchten diese Eigenschaften den Sachseuführcru auch dann noch in gleichem Maße eigen sein, wenn es gelungen sein wird, den wirtschaftlichen Interessen größere Beachtung zu schaffen. Der Verfasser wird phantastisch, wo er zu glauben scheint, daß gesteigerte Thätigkeit und Bereicherung nur glück¬ bringend wirken werde. Es spricht daraus die blinde Liebe zu einem schwer zu erringenden Gute, nicht die klare Erwägung des Möglichen. Die sieben- bürger Sachsen werden hoffentlich auch künftig die idealen Güter stets über die materielle» stellen, denn nur in jenen lebt die Seele ihres Volkskörpers. Schon haben die Anfänge eines kräftigern wirtschaftlichen Lebens altdeutsche Landsleute in nähere Berührung mit den Sachsen gebracht, und in Zukunft wird die Einwanderung von Technikern und Kaufleuten ans Deutschland häufiger werde». Hoffentlich werden sie sich auch enger aneinanderschließen als bisher. Es ist vo» sächsischer Seite viel geklagt worden über die Sonder¬ stellung eingewanderter Landsleute aus dem Reich; nicht selten suchten sie sich — ähnlich wie in den Ostseeprovinzen — mit dem herrschenden Volke besser zu stellen, wobei es ihnen uns nationale Opfer nicht ankam. Man fragt sich aus jeuer Seite, ob die Znwandcrnng unter diesen Umständen noch als ein Vorteil für die Sachsen zu betrachten sei. In der zweifelnden Beantwortung der Frage möge» Neid und Mißtraue», natürliche Untugenden kleiner ge¬ schlossener Volksgemeinschaften, angesprochen haben. Wir werde» nie einen Deutschen verteidigen, der sich, vor allem auf solchem Boden, national charakterlos benimmt. Aber die Sachsen müssen mit ihren Anforderungen ge¬ recht sein und nicht vergessen, daß bei der großen Entfernung, die, leider! Deutschland und Siebenbürgen trennt, die politischen Gesichtspunkte sehr ver¬ schieden sein müssen. Das ganze lebendnrchtränkte Faser- und Fadenwerk von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/463>, abgerufen am 25.08.2024.