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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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dem Handwerk langsam herausgebildet werden mußten. Zu diesen Übergangen
sind die Zeiten nicht wehr angethan. Die Großindustrie wird neben das
Handwerk treten. Wir erinnern uns auch, wenn wir an die rauschenden Zu¬
flüsse der Alt oder an die riesigen Wasserkräfte in den Waldthälern von
Petrosenyi, Petersdvrf u. f. w. denken, nicht an die sehr entfernte Möglich¬
keit der Schiffbarmachung, sondern an etwas viel näheres und uwchtigeres,
nämlich die Summen elektrischer Kräfte, die diese stürzenden Wellen zu er¬
zeugen vermöchten. Wir sind überzeugt, daß vor allem Siebenbürgen, das
wasserreichste der Karpathenländer, aus dessen fruchtbare Hochebneu buchstäb¬
lich von allen Seiten die Bäche aus dem Ring der prachtvollen Ost- und Süd-
knrpatheu herniederstürzen, im Zeitalter der Elektrizität ueben den Alpenländern
und Skandinavien durch seinen Reichtum an Beweguugsträfteu in vorderer
Reihe stehen wird. Von diesem Vorzug, der in kurzem den der Erz-, Kohlen-
uud Salzschätze weit überwiege" wird, erwarten wir für Siebenbürgens Ent¬
wicklung mehr als von allen guten Ratschlägen und geistreichen Entwürfen.
Diese Kräfte werden die Menschen drängen, sie zu nützen, und es wird dann
darauf ankommen, wo die zur Ausnutzung befähigtsten zu finden sein werden.
Bisher waren das in Siebenbürgen in der Regel Ausländer. Wir stimmen
mit dem Verfasser in dem Wunsche überein, daß sich die Sachsen Sieben¬
bürgens einer kommenden industriellen Entwicklung mehr gewachsen zeigen
möchten, als ihre heutigen Verhältnisse erwarten lassen. Möchte sich nicht der
Fall wiederhole,,, daß eine Fabrik ins rumänische Dorf wandern muß, weil
das sächsische an seinem Mühlenregal in unnützer Starrheit festhält!

Wo der Verfasser das Bemühen zeigt, die heutigen Verhältnisse von
Grund auf umzugestalten, können wir ihm nicht mehr folgen. Wir sehen in
der Kirchen- und Schnlverfasfung des Snchseuvolks ein wertvolles Vermächtnis
der Vergangenheit, das so eng mit dem Volkskörper verbunden ist, daß wir
jedes grundstürzeude Bestreben für verderblich halten. Es würde Schaden
ohne den gehofften Nutzen bringen. In seiner Abgeschiedenheit ist dieses Volk
noch heute glücklicher, als es selbst weiß. Die großen Unterschiede des Be¬
sitzes sind ihm fast unbekannt. Wo es in Siebenbürgen Proletariat giebt, ist
es sicherlich nicht sächsisch. Ein glückliches mittleres Maß von Bildung ist
weitverbreitet. Die Harmonie zwischen den verschiedenen Ständen und Be¬
rufen ist weniger gestört als in den westlichen Ländern, in dem äußerlich glän¬
zendem Rumänien u. n. Ist es ein politisches Interesse, nicht wirtschaftlich
stehn zu bleiben, so darf doch den aus dein wirtschaftlichen Fortschritt erst
zu hoffenden politischen Gewinn nicht das in geistiger Arbeit und in politischen
Kämpfen erworbne Gute geopfert werden. Der Versasser sieht den einzigen
Grund der glücklich beseitigten Spaltung in Altsachsen und Jungsachseu in der
"einseitigen Berufsiutelligeuz der Führer," die allerdings fast immer -- aber
auf beideu Seiten! -- Juristen und Theologen waren. Diese höchst einseitige


dem Handwerk langsam herausgebildet werden mußten. Zu diesen Übergangen
sind die Zeiten nicht wehr angethan. Die Großindustrie wird neben das
Handwerk treten. Wir erinnern uns auch, wenn wir an die rauschenden Zu¬
flüsse der Alt oder an die riesigen Wasserkräfte in den Waldthälern von
Petrosenyi, Petersdvrf u. f. w. denken, nicht an die sehr entfernte Möglich¬
keit der Schiffbarmachung, sondern an etwas viel näheres und uwchtigeres,
nämlich die Summen elektrischer Kräfte, die diese stürzenden Wellen zu er¬
zeugen vermöchten. Wir sind überzeugt, daß vor allem Siebenbürgen, das
wasserreichste der Karpathenländer, aus dessen fruchtbare Hochebneu buchstäb¬
lich von allen Seiten die Bäche aus dem Ring der prachtvollen Ost- und Süd-
knrpatheu herniederstürzen, im Zeitalter der Elektrizität ueben den Alpenländern
und Skandinavien durch seinen Reichtum an Beweguugsträfteu in vorderer
Reihe stehen wird. Von diesem Vorzug, der in kurzem den der Erz-, Kohlen-
uud Salzschätze weit überwiege» wird, erwarten wir für Siebenbürgens Ent¬
wicklung mehr als von allen guten Ratschlägen und geistreichen Entwürfen.
Diese Kräfte werden die Menschen drängen, sie zu nützen, und es wird dann
darauf ankommen, wo die zur Ausnutzung befähigtsten zu finden sein werden.
Bisher waren das in Siebenbürgen in der Regel Ausländer. Wir stimmen
mit dem Verfasser in dem Wunsche überein, daß sich die Sachsen Sieben¬
bürgens einer kommenden industriellen Entwicklung mehr gewachsen zeigen
möchten, als ihre heutigen Verhältnisse erwarten lassen. Möchte sich nicht der
Fall wiederhole,,, daß eine Fabrik ins rumänische Dorf wandern muß, weil
das sächsische an seinem Mühlenregal in unnützer Starrheit festhält!

Wo der Verfasser das Bemühen zeigt, die heutigen Verhältnisse von
Grund auf umzugestalten, können wir ihm nicht mehr folgen. Wir sehen in
der Kirchen- und Schnlverfasfung des Snchseuvolks ein wertvolles Vermächtnis
der Vergangenheit, das so eng mit dem Volkskörper verbunden ist, daß wir
jedes grundstürzeude Bestreben für verderblich halten. Es würde Schaden
ohne den gehofften Nutzen bringen. In seiner Abgeschiedenheit ist dieses Volk
noch heute glücklicher, als es selbst weiß. Die großen Unterschiede des Be¬
sitzes sind ihm fast unbekannt. Wo es in Siebenbürgen Proletariat giebt, ist
es sicherlich nicht sächsisch. Ein glückliches mittleres Maß von Bildung ist
weitverbreitet. Die Harmonie zwischen den verschiedenen Ständen und Be¬
rufen ist weniger gestört als in den westlichen Ländern, in dem äußerlich glän¬
zendem Rumänien u. n. Ist es ein politisches Interesse, nicht wirtschaftlich
stehn zu bleiben, so darf doch den aus dein wirtschaftlichen Fortschritt erst
zu hoffenden politischen Gewinn nicht das in geistiger Arbeit und in politischen
Kämpfen erworbne Gute geopfert werden. Der Versasser sieht den einzigen
Grund der glücklich beseitigten Spaltung in Altsachsen und Jungsachseu in der
„einseitigen Berufsiutelligeuz der Führer," die allerdings fast immer — aber
auf beideu Seiten! — Juristen und Theologen waren. Diese höchst einseitige


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[0462] dem Handwerk langsam herausgebildet werden mußten. Zu diesen Übergangen sind die Zeiten nicht wehr angethan. Die Großindustrie wird neben das Handwerk treten. Wir erinnern uns auch, wenn wir an die rauschenden Zu¬ flüsse der Alt oder an die riesigen Wasserkräfte in den Waldthälern von Petrosenyi, Petersdvrf u. f. w. denken, nicht an die sehr entfernte Möglich¬ keit der Schiffbarmachung, sondern an etwas viel näheres und uwchtigeres, nämlich die Summen elektrischer Kräfte, die diese stürzenden Wellen zu er¬ zeugen vermöchten. Wir sind überzeugt, daß vor allem Siebenbürgen, das wasserreichste der Karpathenländer, aus dessen fruchtbare Hochebneu buchstäb¬ lich von allen Seiten die Bäche aus dem Ring der prachtvollen Ost- und Süd- knrpatheu herniederstürzen, im Zeitalter der Elektrizität ueben den Alpenländern und Skandinavien durch seinen Reichtum an Beweguugsträfteu in vorderer Reihe stehen wird. Von diesem Vorzug, der in kurzem den der Erz-, Kohlen- uud Salzschätze weit überwiege» wird, erwarten wir für Siebenbürgens Ent¬ wicklung mehr als von allen guten Ratschlägen und geistreichen Entwürfen. Diese Kräfte werden die Menschen drängen, sie zu nützen, und es wird dann darauf ankommen, wo die zur Ausnutzung befähigtsten zu finden sein werden. Bisher waren das in Siebenbürgen in der Regel Ausländer. Wir stimmen mit dem Verfasser in dem Wunsche überein, daß sich die Sachsen Sieben¬ bürgens einer kommenden industriellen Entwicklung mehr gewachsen zeigen möchten, als ihre heutigen Verhältnisse erwarten lassen. Möchte sich nicht der Fall wiederhole,,, daß eine Fabrik ins rumänische Dorf wandern muß, weil das sächsische an seinem Mühlenregal in unnützer Starrheit festhält! Wo der Verfasser das Bemühen zeigt, die heutigen Verhältnisse von Grund auf umzugestalten, können wir ihm nicht mehr folgen. Wir sehen in der Kirchen- und Schnlverfasfung des Snchseuvolks ein wertvolles Vermächtnis der Vergangenheit, das so eng mit dem Volkskörper verbunden ist, daß wir jedes grundstürzeude Bestreben für verderblich halten. Es würde Schaden ohne den gehofften Nutzen bringen. In seiner Abgeschiedenheit ist dieses Volk noch heute glücklicher, als es selbst weiß. Die großen Unterschiede des Be¬ sitzes sind ihm fast unbekannt. Wo es in Siebenbürgen Proletariat giebt, ist es sicherlich nicht sächsisch. Ein glückliches mittleres Maß von Bildung ist weitverbreitet. Die Harmonie zwischen den verschiedenen Ständen und Be¬ rufen ist weniger gestört als in den westlichen Ländern, in dem äußerlich glän¬ zendem Rumänien u. n. Ist es ein politisches Interesse, nicht wirtschaftlich stehn zu bleiben, so darf doch den aus dein wirtschaftlichen Fortschritt erst zu hoffenden politischen Gewinn nicht das in geistiger Arbeit und in politischen Kämpfen erworbne Gute geopfert werden. Der Versasser sieht den einzigen Grund der glücklich beseitigten Spaltung in Altsachsen und Jungsachseu in der „einseitigen Berufsiutelligeuz der Führer," die allerdings fast immer — aber auf beideu Seiten! — Juristen und Theologen waren. Diese höchst einseitige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/462>, abgerufen am 23.07.2024.