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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen

Wanderschaft beschlossen habe, weil er größere und bessere Würste nirgends
mehr zu finden erwarten konnte. Die Würste sind auch unsern Landsleuten
dort unter der Hand kleiner und magerer geworden. Man lebt ja immer
noch recht behaglich, aber die alte Zufriedenheit lebt nicht mehr, die Zufrieden¬
heit mit sich selbst und der Lage. Die Eisenbahn hat den Aufschwung nicht
gebracht, den man einst erwartete, sie hat mehr die Kauflust als die heimische
Erzeugung und deren Absatz gefördert und hat die Armut empfindlicher ge¬
macht. Das Unerhörte ist wahr geworden: Siebenbürgen, das noch vor vierzig
Jahren das Ziel einer beträchtlichen schwäbischen Einwanderung war, giebt
Auswanderer ab! Und bei der geringen Volksvermehrung bedeutet das einen
Verlust, der besonders im Sachsenvvlke nicht bald ersetzt werden wird. Die
Ströme der Konkurrenz branden durch das einst so abgeschiedne Waldland,
wo man nicht unveränderlich auf dem abbröckelnden Boden stehen bleiben darf,
den man vor Jahren als deu festesten erkannte. Um sich als Volk zu be¬
haupten, müssen die Sachsen auch in wirtschaftlicher Beziehung nicht zurück¬
bleiben; es genügt nicht, als das gebildetste unter den Völkern Ungarns an¬
erkannt zu sei". Das Stillleben muß seine Selbstgenügsamkeit und Schüchtern¬
heit ablegen und ins Weltleben übergehn, d. h. es muß ungefähr der Prozeß
durchgemacht werden, den ein großer Teil der Deutschen vor zwei Menschen¬
altern erlebt hat. Das höchste Gut, die auf Zufriedenheit ruhende Einigkeit,
kann uur durch Verbesserung der wirtschaftlichen Lage bewahrt werden. Ohne
sie laufen die idealen Güter der geistigen und politischen Gemeinschaft Gefahr,
sich aufs äußerste zu entwerten.

Ein Buch, das mit echt sächsischer Gnmdlichkeit und Ausführlichkeit diese
Lage bespricht, ist vor kurzem erschienen.*) Wie es, das Werk eines Mannes,
der nach langem Aufenthalt in dem Nachbarlande Rumänien in seine Heimat
zurückkehrt und sie uun nicht mehr ganz mit den Augen des immer nur in
diesen engen, entlegnen Kreisen gebliebner ansieht, die wirtschaftliche Zurück¬
gebliebenheit, die einseitig litterarische und politische Bildung bespricht und
die Zersplitterung der geringen Mittel vermeiden lehrt, um sie in dem einen
Brennpunkt der wirtschaftlichen Stärkung als der Grundlage aller Kultur und
Macht zu vereinigen, gehört es einer Litteratur an, wie sie vor sechzig Jahren
bei uns blühte. Man glaubt einen Schüler von Friedrich List zu hören. So
sprach dieser Meister, als er, aus Amerika zurückgekehrt, die Luft der Heimat
schwer und dumpf, gute Kräfte lähmend und Großes niederdrückend empfand.
Wir folgen nicht im einzelnen der Darstellung, die sich häufig in Allgemein¬
heiten ergeht, für den beschränkten Zweck zu weit ausholt und in jedem Ab¬
schnitt dieselbe Wärme in der Liebe zum Sachsenvolk Siebenbürgens wie in



") Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen. Eine volkswirtschaft¬
liche Studie von Peter Josef Frank, Ingenieur. Hermannstadt, Josef Drvtleff, t"92.
Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen

Wanderschaft beschlossen habe, weil er größere und bessere Würste nirgends
mehr zu finden erwarten konnte. Die Würste sind auch unsern Landsleuten
dort unter der Hand kleiner und magerer geworden. Man lebt ja immer
noch recht behaglich, aber die alte Zufriedenheit lebt nicht mehr, die Zufrieden¬
heit mit sich selbst und der Lage. Die Eisenbahn hat den Aufschwung nicht
gebracht, den man einst erwartete, sie hat mehr die Kauflust als die heimische
Erzeugung und deren Absatz gefördert und hat die Armut empfindlicher ge¬
macht. Das Unerhörte ist wahr geworden: Siebenbürgen, das noch vor vierzig
Jahren das Ziel einer beträchtlichen schwäbischen Einwanderung war, giebt
Auswanderer ab! Und bei der geringen Volksvermehrung bedeutet das einen
Verlust, der besonders im Sachsenvvlke nicht bald ersetzt werden wird. Die
Ströme der Konkurrenz branden durch das einst so abgeschiedne Waldland,
wo man nicht unveränderlich auf dem abbröckelnden Boden stehen bleiben darf,
den man vor Jahren als deu festesten erkannte. Um sich als Volk zu be¬
haupten, müssen die Sachsen auch in wirtschaftlicher Beziehung nicht zurück¬
bleiben; es genügt nicht, als das gebildetste unter den Völkern Ungarns an¬
erkannt zu sei». Das Stillleben muß seine Selbstgenügsamkeit und Schüchtern¬
heit ablegen und ins Weltleben übergehn, d. h. es muß ungefähr der Prozeß
durchgemacht werden, den ein großer Teil der Deutschen vor zwei Menschen¬
altern erlebt hat. Das höchste Gut, die auf Zufriedenheit ruhende Einigkeit,
kann uur durch Verbesserung der wirtschaftlichen Lage bewahrt werden. Ohne
sie laufen die idealen Güter der geistigen und politischen Gemeinschaft Gefahr,
sich aufs äußerste zu entwerten.

Ein Buch, das mit echt sächsischer Gnmdlichkeit und Ausführlichkeit diese
Lage bespricht, ist vor kurzem erschienen.*) Wie es, das Werk eines Mannes,
der nach langem Aufenthalt in dem Nachbarlande Rumänien in seine Heimat
zurückkehrt und sie uun nicht mehr ganz mit den Augen des immer nur in
diesen engen, entlegnen Kreisen gebliebner ansieht, die wirtschaftliche Zurück¬
gebliebenheit, die einseitig litterarische und politische Bildung bespricht und
die Zersplitterung der geringen Mittel vermeiden lehrt, um sie in dem einen
Brennpunkt der wirtschaftlichen Stärkung als der Grundlage aller Kultur und
Macht zu vereinigen, gehört es einer Litteratur an, wie sie vor sechzig Jahren
bei uns blühte. Man glaubt einen Schüler von Friedrich List zu hören. So
sprach dieser Meister, als er, aus Amerika zurückgekehrt, die Luft der Heimat
schwer und dumpf, gute Kräfte lähmend und Großes niederdrückend empfand.
Wir folgen nicht im einzelnen der Darstellung, die sich häufig in Allgemein¬
heiten ergeht, für den beschränkten Zweck zu weit ausholt und in jedem Ab¬
schnitt dieselbe Wärme in der Liebe zum Sachsenvolk Siebenbürgens wie in



») Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen. Eine volkswirtschaft¬
liche Studie von Peter Josef Frank, Ingenieur. Hermannstadt, Josef Drvtleff, t»92.
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[0460] Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen Wanderschaft beschlossen habe, weil er größere und bessere Würste nirgends mehr zu finden erwarten konnte. Die Würste sind auch unsern Landsleuten dort unter der Hand kleiner und magerer geworden. Man lebt ja immer noch recht behaglich, aber die alte Zufriedenheit lebt nicht mehr, die Zufrieden¬ heit mit sich selbst und der Lage. Die Eisenbahn hat den Aufschwung nicht gebracht, den man einst erwartete, sie hat mehr die Kauflust als die heimische Erzeugung und deren Absatz gefördert und hat die Armut empfindlicher ge¬ macht. Das Unerhörte ist wahr geworden: Siebenbürgen, das noch vor vierzig Jahren das Ziel einer beträchtlichen schwäbischen Einwanderung war, giebt Auswanderer ab! Und bei der geringen Volksvermehrung bedeutet das einen Verlust, der besonders im Sachsenvvlke nicht bald ersetzt werden wird. Die Ströme der Konkurrenz branden durch das einst so abgeschiedne Waldland, wo man nicht unveränderlich auf dem abbröckelnden Boden stehen bleiben darf, den man vor Jahren als deu festesten erkannte. Um sich als Volk zu be¬ haupten, müssen die Sachsen auch in wirtschaftlicher Beziehung nicht zurück¬ bleiben; es genügt nicht, als das gebildetste unter den Völkern Ungarns an¬ erkannt zu sei». Das Stillleben muß seine Selbstgenügsamkeit und Schüchtern¬ heit ablegen und ins Weltleben übergehn, d. h. es muß ungefähr der Prozeß durchgemacht werden, den ein großer Teil der Deutschen vor zwei Menschen¬ altern erlebt hat. Das höchste Gut, die auf Zufriedenheit ruhende Einigkeit, kann uur durch Verbesserung der wirtschaftlichen Lage bewahrt werden. Ohne sie laufen die idealen Güter der geistigen und politischen Gemeinschaft Gefahr, sich aufs äußerste zu entwerten. Ein Buch, das mit echt sächsischer Gnmdlichkeit und Ausführlichkeit diese Lage bespricht, ist vor kurzem erschienen.*) Wie es, das Werk eines Mannes, der nach langem Aufenthalt in dem Nachbarlande Rumänien in seine Heimat zurückkehrt und sie uun nicht mehr ganz mit den Augen des immer nur in diesen engen, entlegnen Kreisen gebliebner ansieht, die wirtschaftliche Zurück¬ gebliebenheit, die einseitig litterarische und politische Bildung bespricht und die Zersplitterung der geringen Mittel vermeiden lehrt, um sie in dem einen Brennpunkt der wirtschaftlichen Stärkung als der Grundlage aller Kultur und Macht zu vereinigen, gehört es einer Litteratur an, wie sie vor sechzig Jahren bei uns blühte. Man glaubt einen Schüler von Friedrich List zu hören. So sprach dieser Meister, als er, aus Amerika zurückgekehrt, die Luft der Heimat schwer und dumpf, gute Kräfte lähmend und Großes niederdrückend empfand. Wir folgen nicht im einzelnen der Darstellung, die sich häufig in Allgemein¬ heiten ergeht, für den beschränkten Zweck zu weit ausholt und in jedem Ab¬ schnitt dieselbe Wärme in der Liebe zum Sachsenvolk Siebenbürgens wie in ») Gegenwart und Zukunft der siebenbürger Sachsen. Eine volkswirtschaft¬ liche Studie von Peter Josef Frank, Ingenieur. Hermannstadt, Josef Drvtleff, t»92.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/460>, abgerufen am 22.12.2024.