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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Gegenwart und Zukunft der Siebenbiirger Sachsen

Altdeutschland studiren ließ, weitblickende und kühne Staatsmänner, treue
Diener ihres Volks und des fernen .Kaisers in großer Zahl hervorgegangen
sind. Als in den meisten Teilen Deutschlands das öffentliche Leben schlief,
standen hier im fernen Osten Geschlecht auf Geschlecht tüchtige Männer scharf¬
äugig Wache. Heute sind den Sachsen die politischen Rechte genommen, aber
ihre politische Neigung und Schulung ist noch immer vorhanden und wird
hoffentlich nicht aussterben. Sie brauchen sie nötig. Politische Fähigkeiten
find bei wenigen deutschen Stämmen so reich entwickelt wie bei ihnen. In
der Glut ihres Patriotismus, in der Klarheit und Energie ihres politischen
Wollens und Handelns erinnern sie an die politisch begabtesten und geübtesten.
Ein Vergleich mit den Schweizern bietet trotz so vieler Unterschiede der äußern
Lage doch übereinstimmendes auf diesem Felde. Der unvergeßliche Brinz
schilderte uns den tiefen Eindruck, den ihm ihr von der Schwärmerei der
andern Deutschösterreicher für Augustenburg weit entfernte Besonnenheit in
der Beurteilung der deutschen Angelegenheit im 186.'!er Neichsrat zu einer
Zeit machte, wo unter den Deutschen des Kaiserstaats und des "Reiches" poli¬
tisches Urteil und politischer Takt beklagenswert spärlich vertreten waren.
Man mag sagen, sie wohnten so weit wie möglich von dem Lande des Streites,
und es war ihnen daher leichter, kühl zu bleiben in jenen Wochen, wo fast
jedem Deutschen das Herz mit dem Verstände durchgegangen war, und wo
selbst der große Virchow noch seichter als sonst über die Politik Preußens in
den Herzogtümern salbaderte. Aber es ist Thatsache, daß sie ohne ihre aus¬
gezeichneten Vertreter im Reichstag zu Ofen-Pest, zu denen immer schlagfertige
Streiter und glänzende Redner zählten, noch weiter zurückgedrängt sein würden.
In den Jahren des erbittertsten Streites versagten die Magyaren ihrer poli¬
tischen Haltung und Begabung nicht die Bewundrung.

In einer Beziehung aber, und in einer sehr wichtigen, sind Bauern und
Bürger im deutschen Siebenbürgen hinter ihren Genossen im alten Lande
zurückgeblieben. Ihre Bildung und ihre politische Entwicklung ruhen nicht ans
einem breiten Grunde wirtschaftlichen Gedeihens. Unter der geistigen und
politischen Arbeit ist dieses einigermaßen vernachlässigt worden. Darin trügt
das verschlafne Ansehen ihrer Städte und Städtlein nicht, wirtschaftlich sind
sie mindestens um ein halbes Jahrhundert zurückgeblieben. Schon lange er¬
tönt die Klage über die Armut, die so manches Gute, das geleistet werden
könnte, vereitelt. Man ist nicht arm an des Leibes Nahrung und Notdurft,
aber an Geld und an dem, was zu wecken und zu beleben dem Gelde ver¬
liehen ist. Zwar gilt auch für Siebenbürgen hente nicht mehr, was uns einst
einer der großen Redner und Staatsmänner der Sachsen erzählte, daß sein
Großvater, der ans einen: der nördlichen Gaue Deutschlands stammte, als
Handwerksbursche nach Österreich und durch Ungarn gewandert sei und end¬
lich in einer wohlbekannten deutschen Stadt Siebenbürgens darum seine


Gegenwart und Zukunft der Siebenbiirger Sachsen

Altdeutschland studiren ließ, weitblickende und kühne Staatsmänner, treue
Diener ihres Volks und des fernen .Kaisers in großer Zahl hervorgegangen
sind. Als in den meisten Teilen Deutschlands das öffentliche Leben schlief,
standen hier im fernen Osten Geschlecht auf Geschlecht tüchtige Männer scharf¬
äugig Wache. Heute sind den Sachsen die politischen Rechte genommen, aber
ihre politische Neigung und Schulung ist noch immer vorhanden und wird
hoffentlich nicht aussterben. Sie brauchen sie nötig. Politische Fähigkeiten
find bei wenigen deutschen Stämmen so reich entwickelt wie bei ihnen. In
der Glut ihres Patriotismus, in der Klarheit und Energie ihres politischen
Wollens und Handelns erinnern sie an die politisch begabtesten und geübtesten.
Ein Vergleich mit den Schweizern bietet trotz so vieler Unterschiede der äußern
Lage doch übereinstimmendes auf diesem Felde. Der unvergeßliche Brinz
schilderte uns den tiefen Eindruck, den ihm ihr von der Schwärmerei der
andern Deutschösterreicher für Augustenburg weit entfernte Besonnenheit in
der Beurteilung der deutschen Angelegenheit im 186.'!er Neichsrat zu einer
Zeit machte, wo unter den Deutschen des Kaiserstaats und des „Reiches" poli¬
tisches Urteil und politischer Takt beklagenswert spärlich vertreten waren.
Man mag sagen, sie wohnten so weit wie möglich von dem Lande des Streites,
und es war ihnen daher leichter, kühl zu bleiben in jenen Wochen, wo fast
jedem Deutschen das Herz mit dem Verstände durchgegangen war, und wo
selbst der große Virchow noch seichter als sonst über die Politik Preußens in
den Herzogtümern salbaderte. Aber es ist Thatsache, daß sie ohne ihre aus¬
gezeichneten Vertreter im Reichstag zu Ofen-Pest, zu denen immer schlagfertige
Streiter und glänzende Redner zählten, noch weiter zurückgedrängt sein würden.
In den Jahren des erbittertsten Streites versagten die Magyaren ihrer poli¬
tischen Haltung und Begabung nicht die Bewundrung.

In einer Beziehung aber, und in einer sehr wichtigen, sind Bauern und
Bürger im deutschen Siebenbürgen hinter ihren Genossen im alten Lande
zurückgeblieben. Ihre Bildung und ihre politische Entwicklung ruhen nicht ans
einem breiten Grunde wirtschaftlichen Gedeihens. Unter der geistigen und
politischen Arbeit ist dieses einigermaßen vernachlässigt worden. Darin trügt
das verschlafne Ansehen ihrer Städte und Städtlein nicht, wirtschaftlich sind
sie mindestens um ein halbes Jahrhundert zurückgeblieben. Schon lange er¬
tönt die Klage über die Armut, die so manches Gute, das geleistet werden
könnte, vereitelt. Man ist nicht arm an des Leibes Nahrung und Notdurft,
aber an Geld und an dem, was zu wecken und zu beleben dem Gelde ver¬
liehen ist. Zwar gilt auch für Siebenbürgen hente nicht mehr, was uns einst
einer der großen Redner und Staatsmänner der Sachsen erzählte, daß sein
Großvater, der ans einen: der nördlichen Gaue Deutschlands stammte, als
Handwerksbursche nach Österreich und durch Ungarn gewandert sei und end¬
lich in einer wohlbekannten deutschen Stadt Siebenbürgens darum seine


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[0459] Gegenwart und Zukunft der Siebenbiirger Sachsen Altdeutschland studiren ließ, weitblickende und kühne Staatsmänner, treue Diener ihres Volks und des fernen .Kaisers in großer Zahl hervorgegangen sind. Als in den meisten Teilen Deutschlands das öffentliche Leben schlief, standen hier im fernen Osten Geschlecht auf Geschlecht tüchtige Männer scharf¬ äugig Wache. Heute sind den Sachsen die politischen Rechte genommen, aber ihre politische Neigung und Schulung ist noch immer vorhanden und wird hoffentlich nicht aussterben. Sie brauchen sie nötig. Politische Fähigkeiten find bei wenigen deutschen Stämmen so reich entwickelt wie bei ihnen. In der Glut ihres Patriotismus, in der Klarheit und Energie ihres politischen Wollens und Handelns erinnern sie an die politisch begabtesten und geübtesten. Ein Vergleich mit den Schweizern bietet trotz so vieler Unterschiede der äußern Lage doch übereinstimmendes auf diesem Felde. Der unvergeßliche Brinz schilderte uns den tiefen Eindruck, den ihm ihr von der Schwärmerei der andern Deutschösterreicher für Augustenburg weit entfernte Besonnenheit in der Beurteilung der deutschen Angelegenheit im 186.'!er Neichsrat zu einer Zeit machte, wo unter den Deutschen des Kaiserstaats und des „Reiches" poli¬ tisches Urteil und politischer Takt beklagenswert spärlich vertreten waren. Man mag sagen, sie wohnten so weit wie möglich von dem Lande des Streites, und es war ihnen daher leichter, kühl zu bleiben in jenen Wochen, wo fast jedem Deutschen das Herz mit dem Verstände durchgegangen war, und wo selbst der große Virchow noch seichter als sonst über die Politik Preußens in den Herzogtümern salbaderte. Aber es ist Thatsache, daß sie ohne ihre aus¬ gezeichneten Vertreter im Reichstag zu Ofen-Pest, zu denen immer schlagfertige Streiter und glänzende Redner zählten, noch weiter zurückgedrängt sein würden. In den Jahren des erbittertsten Streites versagten die Magyaren ihrer poli¬ tischen Haltung und Begabung nicht die Bewundrung. In einer Beziehung aber, und in einer sehr wichtigen, sind Bauern und Bürger im deutschen Siebenbürgen hinter ihren Genossen im alten Lande zurückgeblieben. Ihre Bildung und ihre politische Entwicklung ruhen nicht ans einem breiten Grunde wirtschaftlichen Gedeihens. Unter der geistigen und politischen Arbeit ist dieses einigermaßen vernachlässigt worden. Darin trügt das verschlafne Ansehen ihrer Städte und Städtlein nicht, wirtschaftlich sind sie mindestens um ein halbes Jahrhundert zurückgeblieben. Schon lange er¬ tönt die Klage über die Armut, die so manches Gute, das geleistet werden könnte, vereitelt. Man ist nicht arm an des Leibes Nahrung und Notdurft, aber an Geld und an dem, was zu wecken und zu beleben dem Gelde ver¬ liehen ist. Zwar gilt auch für Siebenbürgen hente nicht mehr, was uns einst einer der großen Redner und Staatsmänner der Sachsen erzählte, daß sein Großvater, der ans einen: der nördlichen Gaue Deutschlands stammte, als Handwerksbursche nach Österreich und durch Ungarn gewandert sei und end¬ lich in einer wohlbekannten deutschen Stadt Siebenbürgens darum seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/459>, abgerufen am 25.08.2024.