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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Lrinnerungen an Lothar Bucher

später einen wichtigen Dienst leisten; gegen Mazzini trat er wiederholt öffentlich
auf, aber dieser versicherte in einem Briefe, der seinen Standpunkt verteidigte,
daß keine politische Meinungsverschiedenheit die Gefühle aufrichtiger Hoch¬
achtung und Freundschaft verringern würden. Dagegen sprach Bücher von
"Sr. Excellenz dem Gouverneur von Ungarn" in einem Tone, der eher alles
als Hochschätzung verriet.

Als er in Catharine Docks ans Land stieg, hatte er sicher die beste Ab¬
sicht, im klassischen Lande des Parlamentarismus die Beweismittel für seineu
politischen Glauben zu finden, und daß er nicht vorschnell an die Kritik ging,
ist aus seinen Berichten an die Nationalzeitung zu ersehen. Noch bei Be¬
sprechung der ersten Industrieausstellung ging er von der Ansicht aus, daß
Industrie und gewerbliche Künste nur bei politischer Freiheit gedeihen konnten.
Die Großartigkeit aller Verhältnisse, die freie Bewegung, die gesunde Lebens¬
weise, der viel mehr als auf dem Festlande entwickelte Sinn für zweckmäßiges
und behagliches Wohnen regten ihn zu Betrachtungen und Vergleichen an, die
zum Vorteile seines Adoptivvaterlandes ausfallen mußten. Er erkannte die
Notwendigkeit wirtschaftlicher Studien, bearbeitete Vortrüge des Oxforder
Professors Nickards, und die "Idealistin" Fräulein v. Mehsenbug erwähnt
dankbar, wie freundlich er sich bemüht habe, ihr nationalökonomische Begriffe
beizubringen. Fortgesetzte Beobachtungen im täglichen Leben, gründliches
Studium der Parlamentsverhandlungen, Staatsschriften und Leitartikel be¬
wirkten nach und nach einen Umschwung in seinen Anschauungen.

Bei unserm letzten Zusammensein im August d. I. kam er zufällig auf
eines der ersten Erlebnisse zu sprechen, die ihn skeptisch gemacht hatten. Ein
berühmter Staatsmann, dessen Name nichts zur Sache thut, war eines
Abends mit einer jungen Dame in einem anrüchigen Gäßchen der Umgebung
von Haymarket von einem Menschen erkannt und angesprochen worden, der
den Minister darauf aufmerksam machte, er könne eine unliebsame Be¬
sprechung seines Spazierganges in einen: radikalen Blatte verhindern, wenn
er dem Sprecher, einem in Finanzsachen bewanderten, aber augenblicklich un¬
beschäftigten Manne eine Anstellung in Svmersethvnse verschaffe. Die junge
Dame verschwand, der Minister suchte den Zudringlichen abzuschütteln, und
da das nicht gelang, übergab er ihn um der nächsten Ecke dein Policeman.
Vor Gericht erklärte der Minister, die sehr ehrenwerte junge Dame habe seine
Hilfe für ihre kranke Mutter in Anspruch genommen, und da er niemals
Wohlthaten erweise, ohne sich genau unterrichtet zu haben, sei er im Begriffe
gewesen in die Wohnung der Kranken zu gehen. Der Richter hielt vorläufig
dein Angeklagten eine emphatische Strafpredigt und vertagte dann die Sache.
In der zweiten Verhandlung bekannte sich der Angekagte selbst schuldig und
wurde wegen Erpressungsversuchs verurteilt. Dem deutschen Juristen fiel auf,
daß weder die junge Dame vernommen, noch von der kranken Mutter weiter


Lrinnerungen an Lothar Bucher

später einen wichtigen Dienst leisten; gegen Mazzini trat er wiederholt öffentlich
auf, aber dieser versicherte in einem Briefe, der seinen Standpunkt verteidigte,
daß keine politische Meinungsverschiedenheit die Gefühle aufrichtiger Hoch¬
achtung und Freundschaft verringern würden. Dagegen sprach Bücher von
„Sr. Excellenz dem Gouverneur von Ungarn" in einem Tone, der eher alles
als Hochschätzung verriet.

Als er in Catharine Docks ans Land stieg, hatte er sicher die beste Ab¬
sicht, im klassischen Lande des Parlamentarismus die Beweismittel für seineu
politischen Glauben zu finden, und daß er nicht vorschnell an die Kritik ging,
ist aus seinen Berichten an die Nationalzeitung zu ersehen. Noch bei Be¬
sprechung der ersten Industrieausstellung ging er von der Ansicht aus, daß
Industrie und gewerbliche Künste nur bei politischer Freiheit gedeihen konnten.
Die Großartigkeit aller Verhältnisse, die freie Bewegung, die gesunde Lebens¬
weise, der viel mehr als auf dem Festlande entwickelte Sinn für zweckmäßiges
und behagliches Wohnen regten ihn zu Betrachtungen und Vergleichen an, die
zum Vorteile seines Adoptivvaterlandes ausfallen mußten. Er erkannte die
Notwendigkeit wirtschaftlicher Studien, bearbeitete Vortrüge des Oxforder
Professors Nickards, und die „Idealistin" Fräulein v. Mehsenbug erwähnt
dankbar, wie freundlich er sich bemüht habe, ihr nationalökonomische Begriffe
beizubringen. Fortgesetzte Beobachtungen im täglichen Leben, gründliches
Studium der Parlamentsverhandlungen, Staatsschriften und Leitartikel be¬
wirkten nach und nach einen Umschwung in seinen Anschauungen.

Bei unserm letzten Zusammensein im August d. I. kam er zufällig auf
eines der ersten Erlebnisse zu sprechen, die ihn skeptisch gemacht hatten. Ein
berühmter Staatsmann, dessen Name nichts zur Sache thut, war eines
Abends mit einer jungen Dame in einem anrüchigen Gäßchen der Umgebung
von Haymarket von einem Menschen erkannt und angesprochen worden, der
den Minister darauf aufmerksam machte, er könne eine unliebsame Be¬
sprechung seines Spazierganges in einen: radikalen Blatte verhindern, wenn
er dem Sprecher, einem in Finanzsachen bewanderten, aber augenblicklich un¬
beschäftigten Manne eine Anstellung in Svmersethvnse verschaffe. Die junge
Dame verschwand, der Minister suchte den Zudringlichen abzuschütteln, und
da das nicht gelang, übergab er ihn um der nächsten Ecke dein Policeman.
Vor Gericht erklärte der Minister, die sehr ehrenwerte junge Dame habe seine
Hilfe für ihre kranke Mutter in Anspruch genommen, und da er niemals
Wohlthaten erweise, ohne sich genau unterrichtet zu haben, sei er im Begriffe
gewesen in die Wohnung der Kranken zu gehen. Der Richter hielt vorläufig
dein Angeklagten eine emphatische Strafpredigt und vertagte dann die Sache.
In der zweiten Verhandlung bekannte sich der Angekagte selbst schuldig und
wurde wegen Erpressungsversuchs verurteilt. Dem deutschen Juristen fiel auf,
daß weder die junge Dame vernommen, noch von der kranken Mutter weiter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/434>, abgerufen am 23.07.2024.