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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Zum Schutze der deutschen Landschaft

durch den stillen Wald. Und welcher vernunftbegabte Wandrer könnte den
Weg nach dem gastlichen Kleinsassen verfehlen, wenn drei oder vier Wegwerser
an zweifelhaften Punkten angebracht wären? Jetzt braucht mau zwa^ nicht
auf den Weg zu sehn, wohl aber muß man sich immer die verschiednen Farben
gegenwärtig' halten, die sür bestimmte Richtungen symbolisch sind. Es ist ge¬
macht, um einen ganz aus der Stimmung zu bringen. Noch schlimmer lst es
dem westlichen Thüringerwald ergangen. Der Regenbogen hat alle seine
Farben hergeben müssen, und dem grünen Wunder des dunkeln Waldklcides
rings um die Wartburg ist ein ganzes System von Klecksen aufgetupft, das
es dem Dümmsten möglich macht, ohne Karte und ohne Wegfrage die tiefste
Einsamkeit zu dnrchsimpeln. Mit einer Vogelfeder Tvuristeukartc als Weg¬
weiser allem durch diese Waldstille zu pilgern ist ein Gennsz. Es rst em
Genuß, die Natur in ihrem Bilde auf der Karte wiederzuerkennen. Aber dieser
mildthätige Thüringerwaldverein will ja den Wandrern alle Mühe und Kosten
sparen. Jeder mag ohne Kenntnis. Karte und Frage durch die Wälder ziehen,
er muß nur "seine Farbe" im Kopfe behalten und beständig zusehen. daß er
sie nicht verliert. Es ist eine Popularisirung des Naturgenusses, die mit
Berflcichnng gleichbedeutend ist.

Dazu gehört fast unvermeidlich die Taufe jedes schönen Punktes und jeder
wohlgelegnen Bank nach verdienten Touristen -- das Wort ist so schön!
oder Touristinneu. Wie wonnig, aus diesen in Bäume geschulteren, in Felsen
gehauenen, auf Bretter gepinselten Inschriften zu entnehmen, daß auch Purz-
pichler dagewesen ist. und daß Else diesen Blick geliebt hat! Solche monu¬
mentale Thatsachen werden künftigen Geschlechtern tiberliefert! Wie werden
sich aber diese verewigen, wenn alle guten Punkte verschmiert sind? Was
kümmert das Pnrzpichler und Eisen; sie leben sort! Gut. daß sie für steh
sorgen, denn die kommenden Geschlechter werden ihnen keine Denkmale setzen.

Bedenken wir doch nur. daß sich gerade die mitteldeutschen Gebirge nicht
mit überragenden Gipfeln und dräuenden Mauern über alles Menschliche er¬
heben, nicht mit Firn und Eis menschliche Spuren siegreich verwischen. Ihre
Schönheit ist kleiner, einförmiger, innerlicher, daher auch leichter zu verderben.
Geht es fo weiter, wie in der letzten Zeit, so übergeben wir ganze Gebirge,
wie Harz und Thüringerwald, den Kommenden in andrer Gestalt, als wir sie
empfangen haben, aber nicht in besserer.

Hüten wir uns. dem. woran Jahrtausende gebildet haben, und was Jahr¬
tausenden gehören sollte, den Stempel der vorübergehenden Laune der Mode
aufzuprägen. An dieser Natur können wir gar nichts besser, nur vieles
schlechter machen. Nur das Notwendigste darf von ihr weggenommen oder
ihr zugefügt werden, und die erste Aufgabe der Touristenvereine muß es sein,
den Schatz unsrer Landschaft ehrfurchtsvoll zu hüten, um ihn spätern Ge¬
schlechtern unverändert zu überliefern.
Gre


nzboten IV 1392 ^
Zum Schutze der deutschen Landschaft

durch den stillen Wald. Und welcher vernunftbegabte Wandrer könnte den
Weg nach dem gastlichen Kleinsassen verfehlen, wenn drei oder vier Wegwerser
an zweifelhaften Punkten angebracht wären? Jetzt braucht mau zwa^ nicht
auf den Weg zu sehn, wohl aber muß man sich immer die verschiednen Farben
gegenwärtig' halten, die sür bestimmte Richtungen symbolisch sind. Es ist ge¬
macht, um einen ganz aus der Stimmung zu bringen. Noch schlimmer lst es
dem westlichen Thüringerwald ergangen. Der Regenbogen hat alle seine
Farben hergeben müssen, und dem grünen Wunder des dunkeln Waldklcides
rings um die Wartburg ist ein ganzes System von Klecksen aufgetupft, das
es dem Dümmsten möglich macht, ohne Karte und ohne Wegfrage die tiefste
Einsamkeit zu dnrchsimpeln. Mit einer Vogelfeder Tvuristeukartc als Weg¬
weiser allem durch diese Waldstille zu pilgern ist ein Gennsz. Es rst em
Genuß, die Natur in ihrem Bilde auf der Karte wiederzuerkennen. Aber dieser
mildthätige Thüringerwaldverein will ja den Wandrern alle Mühe und Kosten
sparen. Jeder mag ohne Kenntnis. Karte und Frage durch die Wälder ziehen,
er muß nur „seine Farbe" im Kopfe behalten und beständig zusehen. daß er
sie nicht verliert. Es ist eine Popularisirung des Naturgenusses, die mit
Berflcichnng gleichbedeutend ist.

Dazu gehört fast unvermeidlich die Taufe jedes schönen Punktes und jeder
wohlgelegnen Bank nach verdienten Touristen — das Wort ist so schön!
oder Touristinneu. Wie wonnig, aus diesen in Bäume geschulteren, in Felsen
gehauenen, auf Bretter gepinselten Inschriften zu entnehmen, daß auch Purz-
pichler dagewesen ist. und daß Else diesen Blick geliebt hat! Solche monu¬
mentale Thatsachen werden künftigen Geschlechtern tiberliefert! Wie werden
sich aber diese verewigen, wenn alle guten Punkte verschmiert sind? Was
kümmert das Pnrzpichler und Eisen; sie leben sort! Gut. daß sie für steh
sorgen, denn die kommenden Geschlechter werden ihnen keine Denkmale setzen.

Bedenken wir doch nur. daß sich gerade die mitteldeutschen Gebirge nicht
mit überragenden Gipfeln und dräuenden Mauern über alles Menschliche er¬
heben, nicht mit Firn und Eis menschliche Spuren siegreich verwischen. Ihre
Schönheit ist kleiner, einförmiger, innerlicher, daher auch leichter zu verderben.
Geht es fo weiter, wie in der letzten Zeit, so übergeben wir ganze Gebirge,
wie Harz und Thüringerwald, den Kommenden in andrer Gestalt, als wir sie
empfangen haben, aber nicht in besserer.

Hüten wir uns. dem. woran Jahrtausende gebildet haben, und was Jahr¬
tausenden gehören sollte, den Stempel der vorübergehenden Laune der Mode
aufzuprägen. An dieser Natur können wir gar nichts besser, nur vieles
schlechter machen. Nur das Notwendigste darf von ihr weggenommen oder
ihr zugefügt werden, und die erste Aufgabe der Touristenvereine muß es sein,
den Schatz unsrer Landschaft ehrfurchtsvoll zu hüten, um ihn spätern Ge¬
schlechtern unverändert zu überliefern.
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nzboten IV 1392 ^
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[0041] Zum Schutze der deutschen Landschaft durch den stillen Wald. Und welcher vernunftbegabte Wandrer könnte den Weg nach dem gastlichen Kleinsassen verfehlen, wenn drei oder vier Wegwerser an zweifelhaften Punkten angebracht wären? Jetzt braucht mau zwa^ nicht auf den Weg zu sehn, wohl aber muß man sich immer die verschiednen Farben gegenwärtig' halten, die sür bestimmte Richtungen symbolisch sind. Es ist ge¬ macht, um einen ganz aus der Stimmung zu bringen. Noch schlimmer lst es dem westlichen Thüringerwald ergangen. Der Regenbogen hat alle seine Farben hergeben müssen, und dem grünen Wunder des dunkeln Waldklcides rings um die Wartburg ist ein ganzes System von Klecksen aufgetupft, das es dem Dümmsten möglich macht, ohne Karte und ohne Wegfrage die tiefste Einsamkeit zu dnrchsimpeln. Mit einer Vogelfeder Tvuristeukartc als Weg¬ weiser allem durch diese Waldstille zu pilgern ist ein Gennsz. Es rst em Genuß, die Natur in ihrem Bilde auf der Karte wiederzuerkennen. Aber dieser mildthätige Thüringerwaldverein will ja den Wandrern alle Mühe und Kosten sparen. Jeder mag ohne Kenntnis. Karte und Frage durch die Wälder ziehen, er muß nur „seine Farbe" im Kopfe behalten und beständig zusehen. daß er sie nicht verliert. Es ist eine Popularisirung des Naturgenusses, die mit Berflcichnng gleichbedeutend ist. Dazu gehört fast unvermeidlich die Taufe jedes schönen Punktes und jeder wohlgelegnen Bank nach verdienten Touristen — das Wort ist so schön! oder Touristinneu. Wie wonnig, aus diesen in Bäume geschulteren, in Felsen gehauenen, auf Bretter gepinselten Inschriften zu entnehmen, daß auch Purz- pichler dagewesen ist. und daß Else diesen Blick geliebt hat! Solche monu¬ mentale Thatsachen werden künftigen Geschlechtern tiberliefert! Wie werden sich aber diese verewigen, wenn alle guten Punkte verschmiert sind? Was kümmert das Pnrzpichler und Eisen; sie leben sort! Gut. daß sie für steh sorgen, denn die kommenden Geschlechter werden ihnen keine Denkmale setzen. Bedenken wir doch nur. daß sich gerade die mitteldeutschen Gebirge nicht mit überragenden Gipfeln und dräuenden Mauern über alles Menschliche er¬ heben, nicht mit Firn und Eis menschliche Spuren siegreich verwischen. Ihre Schönheit ist kleiner, einförmiger, innerlicher, daher auch leichter zu verderben. Geht es fo weiter, wie in der letzten Zeit, so übergeben wir ganze Gebirge, wie Harz und Thüringerwald, den Kommenden in andrer Gestalt, als wir sie empfangen haben, aber nicht in besserer. Hüten wir uns. dem. woran Jahrtausende gebildet haben, und was Jahr¬ tausenden gehören sollte, den Stempel der vorübergehenden Laune der Mode aufzuprägen. An dieser Natur können wir gar nichts besser, nur vieles schlechter machen. Nur das Notwendigste darf von ihr weggenommen oder ihr zugefügt werden, und die erste Aufgabe der Touristenvereine muß es sein, den Schatz unsrer Landschaft ehrfurchtsvoll zu hüten, um ihn spätern Ge¬ schlechtern unverändert zu überliefern. Gre nzboten IV 1392 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/41>, abgerufen am 22.12.2024.