Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum Schutze der deutschen Landschaft

Genußsucht die letzten Winkel zu öffnen, hat er auf eine grundfalsche Richtung
hingewiesen, in der nicht bloß Wirte und andre Vergnügungsiudustrielle,
sondern vor allem auch die Vereine einherschreiten, die sich die Pflege des
Nntursiuus vor andern angelegen lassen sein wollen.

Rudvrsf kann sich in seinem vieles umfassenden Vortrage nur im allge¬
meinen aussprechen über diese "naive Geschmacklosigkeit, die die Dinge ver¬
dirbt, die sie zu bessern meint." Wir mochten aber hier eine Einzelheit
hervorheben, die wir überhaupt nirgends nach Verdienst gewürdigt finden,
eine der schlimmsten Verunstaltungen aus guter Absicht, die endlich einmal
kenntlich gemacht werden muß.

Für Wegweiser an rechter Stelle ist jeder Wandersmann von Herzen
dankbar, aber das Verfahren, ein ganzes Gebirge an jeder Wegzweignng mit
Schrifttafeln und dazwischen mit so und soviel ein- oder mehrfachen Farben¬
klecksen auszustatten, daß die blödesten Augen von einem zum andern reichen,
thut Überflüssiges und entstellt. Der hohe Wert weiter Strecken des Thüringer¬
waldes, des Harzes, des Svessarts, der Rhön liegt darin, daß sie von jeder
Spur menschlicher Eingriffe außerhalb der notwendigsten Forstwege frei find.
Gerade daß sie so hart an das Ursprüngliche grenzen, das zeichnet unsre
Waldgebirge ans; in diesem Schatten allein blühen die blauen Blumen und
springen die Quellen der Poesie. Es liegt ein Duft, der schwer zu beschreiben,
der auch nicht jedem verständlich ist, über diesen Wäldern, Lichtungen und
Bergseiten, die man Tage lang durchstreife" kann, ohne eine menschliche
Wohnstätte zu sehen; aber seine Wirklichkeit bezeugen nicht nur die Dichter,
denen viele uicht recht glauben mögen, sondern heute auch schon die Ärzte,
denen die Menschen mit überreizten Nerven zulaufen.

Empfängliche Gemüter kennen ihn von Natur, aber man kann ihn auch
fühlen lernen, so wie man überhaupt die Schönheit der Natur sehen und ver¬
stehen lernen kann. Nur muß man nicht glauben, ihn mit Händen deuten
und greifen zu können. Er ist wie ein Stoff, der die Verbindung mit einem
andern scheut Ins zur Verflüchtigung, und dieser andre ist hier alles vom
Menschen ausgehende Bewußte, Absichtliche, das sich an diesen Duft hinan-
dräugt. Es wischt ihn mit zutappender Sicherheit ab. Ich habe den tief-
schattigen Waldweg von der Milzenburg nach Kleinsassen vor Jahren und
dann wieder später zurückgelegt, einen Weg, den einst fromme Waller nach
der Kapelle dort oben häufiger gingen als Naturfreunde. Der Charakter der
Rhön ist der tiefe Ernst der braunen Heide in den Höhen und der dunkeln
Wälder in den Tiefen, und der war früher so ganz an dieser Stelle aus¬
gesprochen. An den Hunger stehn hier Buchen, die zu den schönsten deutscher
Mittelgebirge gehören, und Ahorne, wie man sie sonst nur im Alpenvorland
sieht. Nun hat der Rhöntlub die Stämme und die Wegsteine mit feinen
grellen Farben bekleckst, und nun schimmert es nur so smalteblau und zinnoberrot


Zum Schutze der deutschen Landschaft

Genußsucht die letzten Winkel zu öffnen, hat er auf eine grundfalsche Richtung
hingewiesen, in der nicht bloß Wirte und andre Vergnügungsiudustrielle,
sondern vor allem auch die Vereine einherschreiten, die sich die Pflege des
Nntursiuus vor andern angelegen lassen sein wollen.

Rudvrsf kann sich in seinem vieles umfassenden Vortrage nur im allge¬
meinen aussprechen über diese „naive Geschmacklosigkeit, die die Dinge ver¬
dirbt, die sie zu bessern meint." Wir mochten aber hier eine Einzelheit
hervorheben, die wir überhaupt nirgends nach Verdienst gewürdigt finden,
eine der schlimmsten Verunstaltungen aus guter Absicht, die endlich einmal
kenntlich gemacht werden muß.

Für Wegweiser an rechter Stelle ist jeder Wandersmann von Herzen
dankbar, aber das Verfahren, ein ganzes Gebirge an jeder Wegzweignng mit
Schrifttafeln und dazwischen mit so und soviel ein- oder mehrfachen Farben¬
klecksen auszustatten, daß die blödesten Augen von einem zum andern reichen,
thut Überflüssiges und entstellt. Der hohe Wert weiter Strecken des Thüringer¬
waldes, des Harzes, des Svessarts, der Rhön liegt darin, daß sie von jeder
Spur menschlicher Eingriffe außerhalb der notwendigsten Forstwege frei find.
Gerade daß sie so hart an das Ursprüngliche grenzen, das zeichnet unsre
Waldgebirge ans; in diesem Schatten allein blühen die blauen Blumen und
springen die Quellen der Poesie. Es liegt ein Duft, der schwer zu beschreiben,
der auch nicht jedem verständlich ist, über diesen Wäldern, Lichtungen und
Bergseiten, die man Tage lang durchstreife» kann, ohne eine menschliche
Wohnstätte zu sehen; aber seine Wirklichkeit bezeugen nicht nur die Dichter,
denen viele uicht recht glauben mögen, sondern heute auch schon die Ärzte,
denen die Menschen mit überreizten Nerven zulaufen.

Empfängliche Gemüter kennen ihn von Natur, aber man kann ihn auch
fühlen lernen, so wie man überhaupt die Schönheit der Natur sehen und ver¬
stehen lernen kann. Nur muß man nicht glauben, ihn mit Händen deuten
und greifen zu können. Er ist wie ein Stoff, der die Verbindung mit einem
andern scheut Ins zur Verflüchtigung, und dieser andre ist hier alles vom
Menschen ausgehende Bewußte, Absichtliche, das sich an diesen Duft hinan-
dräugt. Es wischt ihn mit zutappender Sicherheit ab. Ich habe den tief-
schattigen Waldweg von der Milzenburg nach Kleinsassen vor Jahren und
dann wieder später zurückgelegt, einen Weg, den einst fromme Waller nach
der Kapelle dort oben häufiger gingen als Naturfreunde. Der Charakter der
Rhön ist der tiefe Ernst der braunen Heide in den Höhen und der dunkeln
Wälder in den Tiefen, und der war früher so ganz an dieser Stelle aus¬
gesprochen. An den Hunger stehn hier Buchen, die zu den schönsten deutscher
Mittelgebirge gehören, und Ahorne, wie man sie sonst nur im Alpenvorland
sieht. Nun hat der Rhöntlub die Stämme und die Wegsteine mit feinen
grellen Farben bekleckst, und nun schimmert es nur so smalteblau und zinnoberrot


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213154"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum Schutze der deutschen Landschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_88" prev="#ID_87"> Genußsucht die letzten Winkel zu öffnen, hat er auf eine grundfalsche Richtung<lb/>
hingewiesen, in der nicht bloß Wirte und andre Vergnügungsiudustrielle,<lb/>
sondern vor allem auch die Vereine einherschreiten, die sich die Pflege des<lb/>
Nntursiuus vor andern angelegen lassen sein wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_89"> Rudvrsf kann sich in seinem vieles umfassenden Vortrage nur im allge¬<lb/>
meinen aussprechen über diese &#x201E;naive Geschmacklosigkeit, die die Dinge ver¬<lb/>
dirbt, die sie zu bessern meint." Wir mochten aber hier eine Einzelheit<lb/>
hervorheben, die wir überhaupt nirgends nach Verdienst gewürdigt finden,<lb/>
eine der schlimmsten Verunstaltungen aus guter Absicht, die endlich einmal<lb/>
kenntlich gemacht werden muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90"> Für Wegweiser an rechter Stelle ist jeder Wandersmann von Herzen<lb/>
dankbar, aber das Verfahren, ein ganzes Gebirge an jeder Wegzweignng mit<lb/>
Schrifttafeln und dazwischen mit so und soviel ein- oder mehrfachen Farben¬<lb/>
klecksen auszustatten, daß die blödesten Augen von einem zum andern reichen,<lb/>
thut Überflüssiges und entstellt. Der hohe Wert weiter Strecken des Thüringer¬<lb/>
waldes, des Harzes, des Svessarts, der Rhön liegt darin, daß sie von jeder<lb/>
Spur menschlicher Eingriffe außerhalb der notwendigsten Forstwege frei find.<lb/>
Gerade daß sie so hart an das Ursprüngliche grenzen, das zeichnet unsre<lb/>
Waldgebirge ans; in diesem Schatten allein blühen die blauen Blumen und<lb/>
springen die Quellen der Poesie. Es liegt ein Duft, der schwer zu beschreiben,<lb/>
der auch nicht jedem verständlich ist, über diesen Wäldern, Lichtungen und<lb/>
Bergseiten, die man Tage lang durchstreife» kann, ohne eine menschliche<lb/>
Wohnstätte zu sehen; aber seine Wirklichkeit bezeugen nicht nur die Dichter,<lb/>
denen viele uicht recht glauben mögen, sondern heute auch schon die Ärzte,<lb/>
denen die Menschen mit überreizten Nerven zulaufen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Empfängliche Gemüter kennen ihn von Natur, aber man kann ihn auch<lb/>
fühlen lernen, so wie man überhaupt die Schönheit der Natur sehen und ver¬<lb/>
stehen lernen kann. Nur muß man nicht glauben, ihn mit Händen deuten<lb/>
und greifen zu können. Er ist wie ein Stoff, der die Verbindung mit einem<lb/>
andern scheut Ins zur Verflüchtigung, und dieser andre ist hier alles vom<lb/>
Menschen ausgehende Bewußte, Absichtliche, das sich an diesen Duft hinan-<lb/>
dräugt. Es wischt ihn mit zutappender Sicherheit ab. Ich habe den tief-<lb/>
schattigen Waldweg von der Milzenburg nach Kleinsassen vor Jahren und<lb/>
dann wieder später zurückgelegt, einen Weg, den einst fromme Waller nach<lb/>
der Kapelle dort oben häufiger gingen als Naturfreunde. Der Charakter der<lb/>
Rhön ist der tiefe Ernst der braunen Heide in den Höhen und der dunkeln<lb/>
Wälder in den Tiefen, und der war früher so ganz an dieser Stelle aus¬<lb/>
gesprochen. An den Hunger stehn hier Buchen, die zu den schönsten deutscher<lb/>
Mittelgebirge gehören, und Ahorne, wie man sie sonst nur im Alpenvorland<lb/>
sieht. Nun hat der Rhöntlub die Stämme und die Wegsteine mit feinen<lb/>
grellen Farben bekleckst, und nun schimmert es nur so smalteblau und zinnoberrot</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0040] Zum Schutze der deutschen Landschaft Genußsucht die letzten Winkel zu öffnen, hat er auf eine grundfalsche Richtung hingewiesen, in der nicht bloß Wirte und andre Vergnügungsiudustrielle, sondern vor allem auch die Vereine einherschreiten, die sich die Pflege des Nntursiuus vor andern angelegen lassen sein wollen. Rudvrsf kann sich in seinem vieles umfassenden Vortrage nur im allge¬ meinen aussprechen über diese „naive Geschmacklosigkeit, die die Dinge ver¬ dirbt, die sie zu bessern meint." Wir mochten aber hier eine Einzelheit hervorheben, die wir überhaupt nirgends nach Verdienst gewürdigt finden, eine der schlimmsten Verunstaltungen aus guter Absicht, die endlich einmal kenntlich gemacht werden muß. Für Wegweiser an rechter Stelle ist jeder Wandersmann von Herzen dankbar, aber das Verfahren, ein ganzes Gebirge an jeder Wegzweignng mit Schrifttafeln und dazwischen mit so und soviel ein- oder mehrfachen Farben¬ klecksen auszustatten, daß die blödesten Augen von einem zum andern reichen, thut Überflüssiges und entstellt. Der hohe Wert weiter Strecken des Thüringer¬ waldes, des Harzes, des Svessarts, der Rhön liegt darin, daß sie von jeder Spur menschlicher Eingriffe außerhalb der notwendigsten Forstwege frei find. Gerade daß sie so hart an das Ursprüngliche grenzen, das zeichnet unsre Waldgebirge ans; in diesem Schatten allein blühen die blauen Blumen und springen die Quellen der Poesie. Es liegt ein Duft, der schwer zu beschreiben, der auch nicht jedem verständlich ist, über diesen Wäldern, Lichtungen und Bergseiten, die man Tage lang durchstreife» kann, ohne eine menschliche Wohnstätte zu sehen; aber seine Wirklichkeit bezeugen nicht nur die Dichter, denen viele uicht recht glauben mögen, sondern heute auch schon die Ärzte, denen die Menschen mit überreizten Nerven zulaufen. Empfängliche Gemüter kennen ihn von Natur, aber man kann ihn auch fühlen lernen, so wie man überhaupt die Schönheit der Natur sehen und ver¬ stehen lernen kann. Nur muß man nicht glauben, ihn mit Händen deuten und greifen zu können. Er ist wie ein Stoff, der die Verbindung mit einem andern scheut Ins zur Verflüchtigung, und dieser andre ist hier alles vom Menschen ausgehende Bewußte, Absichtliche, das sich an diesen Duft hinan- dräugt. Es wischt ihn mit zutappender Sicherheit ab. Ich habe den tief- schattigen Waldweg von der Milzenburg nach Kleinsassen vor Jahren und dann wieder später zurückgelegt, einen Weg, den einst fromme Waller nach der Kapelle dort oben häufiger gingen als Naturfreunde. Der Charakter der Rhön ist der tiefe Ernst der braunen Heide in den Höhen und der dunkeln Wälder in den Tiefen, und der war früher so ganz an dieser Stelle aus¬ gesprochen. An den Hunger stehn hier Buchen, die zu den schönsten deutscher Mittelgebirge gehören, und Ahorne, wie man sie sonst nur im Alpenvorland sieht. Nun hat der Rhöntlub die Stämme und die Wegsteine mit feinen grellen Farben bekleckst, und nun schimmert es nur so smalteblau und zinnoberrot

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/40
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/40>, abgerufen am 23.07.2024.