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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Militarismus der Sozialdemokratie

"modernen Schienenweg, dem Symbol der nativnenverbindenden Kultur" und
zu "allen diesen neuzeitlichen Erfindungen, welche bestimmt sind, den Verkehr
der Völker zu fördern, das Leben zu erleichtern, zu verschönern, zu bereichern,"
sondern sie geht weiter, sie erklärt ihrerseits auch den Kriegsgedanken und den
Kriegsworten den Krieg. "Der Stand unsrer Kultur paßt nicht zu der aus
alten Zeiten uns überkommenen (!) Wildheit. So lange diese, das heißt
so lange der Kriegsgeist nicht abgeschüttelt ist, laßt sich unsre vielgepriesene
"Humanität" nicht vernünftig vertreten... . "Plünderung," "dem Erdboden gleich
machen," "über die Klinge springen lassen" -- diese Worte entsprechen zwar
nicht mehr dem neuzeitlichen Völkerrechtsbewußtsein, sie sind aber, von den Schul¬
studien der alten Kriegsgeschichte her, an den Leuten hängen geblieben; derlei
ward in den auswendig gelernten Schlachtberichten so oft hergesagt, in den
deutschen Aufsätzen so oft niedergeschrieben, daß, wenn nun über das Thema
Krieg Zeitungsartikel verfaßt werden sollen, solche Worte von selber in die
Feder fließen."

Der ewige Friede! Es ist den Denkern und Philosophen vergangner Zeiten
nicht gelungen, ihn herbeizuführen, aber sollte er darum auch für unsre fort-
geschrittne Zeit unausführbar sein? Die moderne Technik hat Dinge voll¬
bracht, die jedes frühere Geschlecht nur im Reich des Märchens und Wunders
für möglich gehalten hätte, die Wissenschaft sieht weit bis an die Sterne und
kennt die Eigenschaften unendlich kleiner Wesen, von deren Dasein man ehedem
nichts ahnte. Durch die Erkenntnis ihrer Gesetze hat es der Mensch ge¬
lernt, sich die Natur dienstbar zu machen. Warum sollte der Mensch nicht
auch sich selbst, die menschliche Gesellschaft lenken können, wie er will, nachdem
er das Getriebe der Gesellschaft durchschaut hat? Warum sollte sich die wissen¬
schaftliche Berechnung, die Konstruktion auf dem Papier nicht in die Wirk¬
lichkeit umsetzen lassen? Die dumme bürgerliche Geschichte mit ihren ewigen
Fehden und Kriegen, Soldaten und Kanonen hat bisher alles verdorben. "Der
Sozialismus ist sains Bebel) die mit klarem Bewußtsein und voller Erkenntnis
aus alle Gebiete menschlicher Thätigkeit angewandte Wissenschaft." An die
Stelle militärischer Worte und Gedanken müssen demnach wissenschaftliche Über¬
zeugungen und Ausdrücke treten, an die Stelle des brutalen Völkerkriegs der
gebildete "Kampf der Geister."

Es ist eine ganz andre Sache, wenn Geister als wenn Soldaten mit ein¬
ander kämpfen. Man bedenke: was kann ein Soldat dem andern thun, und
was kann ein Geist dem andern thun? Man kennt die niedrigen Listen, die
saubern Pläne, die die Strategen des Altertums und der Neuzeit kalten Blutes
ersonnen haben, um den Feind mit Gewalt der Waffen niederzustrecken; die
Kriegsgeschichte hat sie aufbewahrt, und es giebt immer noch Leute, die solche
Sachen eines gründlichen Studiums für wert halten. Es ist den Lenkern der
Schlachten gleichgiltig, ob sie durch offnen Kampf oder Umgehung oder Überfall


Der Militarismus der Sozialdemokratie

„modernen Schienenweg, dem Symbol der nativnenverbindenden Kultur" und
zu „allen diesen neuzeitlichen Erfindungen, welche bestimmt sind, den Verkehr
der Völker zu fördern, das Leben zu erleichtern, zu verschönern, zu bereichern,"
sondern sie geht weiter, sie erklärt ihrerseits auch den Kriegsgedanken und den
Kriegsworten den Krieg. „Der Stand unsrer Kultur paßt nicht zu der aus
alten Zeiten uns überkommenen (!) Wildheit. So lange diese, das heißt
so lange der Kriegsgeist nicht abgeschüttelt ist, laßt sich unsre vielgepriesene
»Humanität« nicht vernünftig vertreten... . »Plünderung,« »dem Erdboden gleich
machen,« »über die Klinge springen lassen« — diese Worte entsprechen zwar
nicht mehr dem neuzeitlichen Völkerrechtsbewußtsein, sie sind aber, von den Schul¬
studien der alten Kriegsgeschichte her, an den Leuten hängen geblieben; derlei
ward in den auswendig gelernten Schlachtberichten so oft hergesagt, in den
deutschen Aufsätzen so oft niedergeschrieben, daß, wenn nun über das Thema
Krieg Zeitungsartikel verfaßt werden sollen, solche Worte von selber in die
Feder fließen."

Der ewige Friede! Es ist den Denkern und Philosophen vergangner Zeiten
nicht gelungen, ihn herbeizuführen, aber sollte er darum auch für unsre fort-
geschrittne Zeit unausführbar sein? Die moderne Technik hat Dinge voll¬
bracht, die jedes frühere Geschlecht nur im Reich des Märchens und Wunders
für möglich gehalten hätte, die Wissenschaft sieht weit bis an die Sterne und
kennt die Eigenschaften unendlich kleiner Wesen, von deren Dasein man ehedem
nichts ahnte. Durch die Erkenntnis ihrer Gesetze hat es der Mensch ge¬
lernt, sich die Natur dienstbar zu machen. Warum sollte der Mensch nicht
auch sich selbst, die menschliche Gesellschaft lenken können, wie er will, nachdem
er das Getriebe der Gesellschaft durchschaut hat? Warum sollte sich die wissen¬
schaftliche Berechnung, die Konstruktion auf dem Papier nicht in die Wirk¬
lichkeit umsetzen lassen? Die dumme bürgerliche Geschichte mit ihren ewigen
Fehden und Kriegen, Soldaten und Kanonen hat bisher alles verdorben. „Der
Sozialismus ist sains Bebel) die mit klarem Bewußtsein und voller Erkenntnis
aus alle Gebiete menschlicher Thätigkeit angewandte Wissenschaft." An die
Stelle militärischer Worte und Gedanken müssen demnach wissenschaftliche Über¬
zeugungen und Ausdrücke treten, an die Stelle des brutalen Völkerkriegs der
gebildete „Kampf der Geister."

Es ist eine ganz andre Sache, wenn Geister als wenn Soldaten mit ein¬
ander kämpfen. Man bedenke: was kann ein Soldat dem andern thun, und
was kann ein Geist dem andern thun? Man kennt die niedrigen Listen, die
saubern Pläne, die die Strategen des Altertums und der Neuzeit kalten Blutes
ersonnen haben, um den Feind mit Gewalt der Waffen niederzustrecken; die
Kriegsgeschichte hat sie aufbewahrt, und es giebt immer noch Leute, die solche
Sachen eines gründlichen Studiums für wert halten. Es ist den Lenkern der
Schlachten gleichgiltig, ob sie durch offnen Kampf oder Umgehung oder Überfall


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[0404] Der Militarismus der Sozialdemokratie „modernen Schienenweg, dem Symbol der nativnenverbindenden Kultur" und zu „allen diesen neuzeitlichen Erfindungen, welche bestimmt sind, den Verkehr der Völker zu fördern, das Leben zu erleichtern, zu verschönern, zu bereichern," sondern sie geht weiter, sie erklärt ihrerseits auch den Kriegsgedanken und den Kriegsworten den Krieg. „Der Stand unsrer Kultur paßt nicht zu der aus alten Zeiten uns überkommenen (!) Wildheit. So lange diese, das heißt so lange der Kriegsgeist nicht abgeschüttelt ist, laßt sich unsre vielgepriesene »Humanität« nicht vernünftig vertreten... . »Plünderung,« »dem Erdboden gleich machen,« »über die Klinge springen lassen« — diese Worte entsprechen zwar nicht mehr dem neuzeitlichen Völkerrechtsbewußtsein, sie sind aber, von den Schul¬ studien der alten Kriegsgeschichte her, an den Leuten hängen geblieben; derlei ward in den auswendig gelernten Schlachtberichten so oft hergesagt, in den deutschen Aufsätzen so oft niedergeschrieben, daß, wenn nun über das Thema Krieg Zeitungsartikel verfaßt werden sollen, solche Worte von selber in die Feder fließen." Der ewige Friede! Es ist den Denkern und Philosophen vergangner Zeiten nicht gelungen, ihn herbeizuführen, aber sollte er darum auch für unsre fort- geschrittne Zeit unausführbar sein? Die moderne Technik hat Dinge voll¬ bracht, die jedes frühere Geschlecht nur im Reich des Märchens und Wunders für möglich gehalten hätte, die Wissenschaft sieht weit bis an die Sterne und kennt die Eigenschaften unendlich kleiner Wesen, von deren Dasein man ehedem nichts ahnte. Durch die Erkenntnis ihrer Gesetze hat es der Mensch ge¬ lernt, sich die Natur dienstbar zu machen. Warum sollte der Mensch nicht auch sich selbst, die menschliche Gesellschaft lenken können, wie er will, nachdem er das Getriebe der Gesellschaft durchschaut hat? Warum sollte sich die wissen¬ schaftliche Berechnung, die Konstruktion auf dem Papier nicht in die Wirk¬ lichkeit umsetzen lassen? Die dumme bürgerliche Geschichte mit ihren ewigen Fehden und Kriegen, Soldaten und Kanonen hat bisher alles verdorben. „Der Sozialismus ist sains Bebel) die mit klarem Bewußtsein und voller Erkenntnis aus alle Gebiete menschlicher Thätigkeit angewandte Wissenschaft." An die Stelle militärischer Worte und Gedanken müssen demnach wissenschaftliche Über¬ zeugungen und Ausdrücke treten, an die Stelle des brutalen Völkerkriegs der gebildete „Kampf der Geister." Es ist eine ganz andre Sache, wenn Geister als wenn Soldaten mit ein¬ ander kämpfen. Man bedenke: was kann ein Soldat dem andern thun, und was kann ein Geist dem andern thun? Man kennt die niedrigen Listen, die saubern Pläne, die die Strategen des Altertums und der Neuzeit kalten Blutes ersonnen haben, um den Feind mit Gewalt der Waffen niederzustrecken; die Kriegsgeschichte hat sie aufbewahrt, und es giebt immer noch Leute, die solche Sachen eines gründlichen Studiums für wert halten. Es ist den Lenkern der Schlachten gleichgiltig, ob sie durch offnen Kampf oder Umgehung oder Überfall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/404>, abgerufen am 23.12.2024.