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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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daß die deutsche Armee demnächst die dreifache Kriegsstärke von 1871 er¬
reichen wird, nämlich 3900000 Mann. Wenn die Zahl der jährlichen Auf-
hebung noch um 25000 oder um 75000 erhöht würde, würde im Falle eines
Krieges jeder zweite Mann, der in den? Alter von 20 bis 45 Jahren steht,
oder würden sogar drei unter fünf zu den Waffen greifen können. Der Herr
Abgeordnete schließt daran die Frage: "Wie würde es alsdann aber noch
möglich sein, während des Kriegs Ackerbau, Handel und Gewerbe in Deutsch¬
land auch nur soweit notdürftig fortzuführen, um Frauen, Kinder und Greise
ernähren zu können, ganz abgesehen von denjenigen Mitteln des Unterhalts,
welche das Kriegsheer selbst aus dem Innern des Landes beziehen muß?"
Nun, die Soldaten wären, wenn es zum Äußersten käme, wenn Fleisch und
Brot eine seltene Ware würden, noch nicht am schlimmsten daran, sie würden
sich den nötigen Bedarf schon zu verschaffen wissen.

Wenn man sich nnn die allgemeine Wehrpflicht so vollständig wie mög¬
lich durchgeführt dächte? Warum sollte das Verlangen nicht berechtigt sein,
daß die Gleichheit von allen mit allen auch in soldatischer Beziehung ver¬
wirklicht würde? Es wäre sehr wohl möglich, daß jeder ohne Ausnahme
nach seiner Befähigung irgend eine militärische Ausbildung erhielte, daß
die Kinder schon in der Schule durch Übung und Unterricht ans die Ver¬
wendung im Kriege vorbereitet würden, und daß die Frauen Arbeiten verrich¬
teten, die den militärischen Zwecken förderlich wären. Wenn alle Soldaten
wären, dann hätten wir erst ein ganzes "Volk in Waffen," dann hätten wir
eine Gesamtheit, in der jeder einzelne dasselbe will wie alle, wie die Gesamt¬
heit. Wenn alles allen gehört, warum soll nicht auch der Militärdienst allen
offenstehen? Allerdings wenn dann ein Krieg ausbräche und jedermann mit
ins Feld rücken müßte, um das Vaterland gegen den Feind zu verteidigen,
so bliebe niemand übrig, für die Ernährung der Masse zu sorgen, so wäre
das Elend, besonders bei einer längern Dauer des Kriegs, ungeheuer im Ver¬
gleich zu dem Schlimmsten, was uns unter den gegenwärtigen Verhältnissen
geschehen kann. Und erst ein Krieg von allen, ein Krieg der Gesamtheit im
Winter, wo sich zum Hunger die Kälte gesellt, "zwei schlimme Gesellen, zwei
schreckliche, bösartige, grinsende Gestalten!" Schließlich würden sich auch die
Soldaten kein Brot und Fleisch mehr zu verschaffen wissen.

Es ist klar, daß der "wissenschaftliche Sozialismus," das System der Zu¬
kunft, mit dem Krieg von Nation gegen Nation völlig unvereinbar ist. Er
kann nur auf dem Boden der Jnternationalität gedeihen, nur wenn er mit
aller Welt und alle Welt mit ihm in Frieden lebt, nur wenn er von anßen
unbehelligt bleibt. Durch einen Krieg würde ein sozialdemvkmtischer Staat
außer Rand und Band geraten. Die Sozialdemokratie, unbeugsam logisch
wie sie nun einmal ist, verwirft deshalb grundsätzlich das blutige Kriegsspiel
und erklärt, der entschiedenste Gegner des Militarismus zu sein. Sie will


daß die deutsche Armee demnächst die dreifache Kriegsstärke von 1871 er¬
reichen wird, nämlich 3900000 Mann. Wenn die Zahl der jährlichen Auf-
hebung noch um 25000 oder um 75000 erhöht würde, würde im Falle eines
Krieges jeder zweite Mann, der in den? Alter von 20 bis 45 Jahren steht,
oder würden sogar drei unter fünf zu den Waffen greifen können. Der Herr
Abgeordnete schließt daran die Frage: „Wie würde es alsdann aber noch
möglich sein, während des Kriegs Ackerbau, Handel und Gewerbe in Deutsch¬
land auch nur soweit notdürftig fortzuführen, um Frauen, Kinder und Greise
ernähren zu können, ganz abgesehen von denjenigen Mitteln des Unterhalts,
welche das Kriegsheer selbst aus dem Innern des Landes beziehen muß?"
Nun, die Soldaten wären, wenn es zum Äußersten käme, wenn Fleisch und
Brot eine seltene Ware würden, noch nicht am schlimmsten daran, sie würden
sich den nötigen Bedarf schon zu verschaffen wissen.

Wenn man sich nnn die allgemeine Wehrpflicht so vollständig wie mög¬
lich durchgeführt dächte? Warum sollte das Verlangen nicht berechtigt sein,
daß die Gleichheit von allen mit allen auch in soldatischer Beziehung ver¬
wirklicht würde? Es wäre sehr wohl möglich, daß jeder ohne Ausnahme
nach seiner Befähigung irgend eine militärische Ausbildung erhielte, daß
die Kinder schon in der Schule durch Übung und Unterricht ans die Ver¬
wendung im Kriege vorbereitet würden, und daß die Frauen Arbeiten verrich¬
teten, die den militärischen Zwecken förderlich wären. Wenn alle Soldaten
wären, dann hätten wir erst ein ganzes „Volk in Waffen," dann hätten wir
eine Gesamtheit, in der jeder einzelne dasselbe will wie alle, wie die Gesamt¬
heit. Wenn alles allen gehört, warum soll nicht auch der Militärdienst allen
offenstehen? Allerdings wenn dann ein Krieg ausbräche und jedermann mit
ins Feld rücken müßte, um das Vaterland gegen den Feind zu verteidigen,
so bliebe niemand übrig, für die Ernährung der Masse zu sorgen, so wäre
das Elend, besonders bei einer längern Dauer des Kriegs, ungeheuer im Ver¬
gleich zu dem Schlimmsten, was uns unter den gegenwärtigen Verhältnissen
geschehen kann. Und erst ein Krieg von allen, ein Krieg der Gesamtheit im
Winter, wo sich zum Hunger die Kälte gesellt, „zwei schlimme Gesellen, zwei
schreckliche, bösartige, grinsende Gestalten!" Schließlich würden sich auch die
Soldaten kein Brot und Fleisch mehr zu verschaffen wissen.

Es ist klar, daß der „wissenschaftliche Sozialismus," das System der Zu¬
kunft, mit dem Krieg von Nation gegen Nation völlig unvereinbar ist. Er
kann nur auf dem Boden der Jnternationalität gedeihen, nur wenn er mit
aller Welt und alle Welt mit ihm in Frieden lebt, nur wenn er von anßen
unbehelligt bleibt. Durch einen Krieg würde ein sozialdemvkmtischer Staat
außer Rand und Band geraten. Die Sozialdemokratie, unbeugsam logisch
wie sie nun einmal ist, verwirft deshalb grundsätzlich das blutige Kriegsspiel
und erklärt, der entschiedenste Gegner des Militarismus zu sein. Sie will


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/402>, abgerufen am 22.12.2024.