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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Herbsttage in varziu

zugestanden werden, daß die Liebenswürdigkeit der Damen heute nicht imstande
war, uns lange zu fesseln, denn wir sahen bereits in der Ecke den runden
Eichentisch und dahinter an der Wand die Ottomane, auf der sichs der Fürst
bequem machte und die Pfeife in Brand setzte. So setzten wir uns um ihn
zusammen und lauschten seinem Vortrage. Er sprach hauptsächlich über die
neue Militärvvrlage, die er in dieser Gestalt für höchst bedenklich erklärte,
flocht interessante geschichtliche Erinnerungen an den Beginn seiner Minister-
Präsidentschaft und an die Friedensverhandlungen von 1366 und 1870 (durch
Harry vou Arnim in Brüssel) ein, charakterisirte mit ein paar Strichen wieder
mehrere bedeutende Persönlichkeiten der jüngsten Vergangenheit und erörterte
zuletzt die Frage, warum er nicht im Reichstage erscheinen könne, wobei er
allerdings den Kernpunkt nicht geradezu nussprach,") Merkwürdig war dabei,
wie er den einmal angesponnenen Faden festhielt; er knüpfte zwar zuweilen
Fernerliegeudes an und gestattete Zwischenbemerkungen oder Fragen, aber er
kam doch immer wieder auf sein Thema zurück. So sprach der Siebenundsiebzig-
jührige anderthalb Stunden lang, mit geringen Unterbrechungen, immer mit
derselben Frische und Lebendigkeit, und scharf umrissen hob sich dabei im hellen
Lichte einer großen Astrallampe das charakteristische Profil von dem dunkeln
Hintergrunde der Zimmerwand ab.

Und doch war es ein tief schmerzlicher Eindruck. Soviel Sach- und
Menschenkenntnis, so eindringendes Wissen von der Geschichte einer großen
Zeit, soviel Geist, soviel ungebrochne Kraft müssen jetzt brach liegen, und die¬
selbe schlagende Beweisführung, die früher von der Rednerbühne des Reichs¬
tags aus die Welt in Spannung und Bewegung gesetzt hatte, wandte sich jetzt
um ein paar Freunde in der stillen Ecke eines weltfernen Landhauses.

Gegen einhalb zehn Uhr erhoben wir uns, der freundlichen Mahnung des
besorgten Arztes gedenkend, der Fürst reichte jedem zum Gutenachtgruß die
Hand, indem er mit einer launigen Wendung den vertraulichen Charakter der
Unterredung betonte, und entließ uns zu den Damen, die sich inzwischen im
Speisezimmer an einer Gavotte der drei jungen Grafen Rantzau, prächtiger,
frischer Knaben von dreizehn, elf und neun Jahren, vergnügt hatten und uns
unsre Treulosigkeit nicht entgelten ließen. Hier trugen wir noch, einer Auf¬
forderung der Fürstin folgend, unsre Namen ins Fremdenbuch ein und
zogen uns gegen zehn Uhr zurück.

Als wir aus der hintern Thür noch einmal auf die Terrasse nach dem
Park hinaustraten, stand der Mond am klaren Himmel. Scharf zeichnete



*> Auf diese Unterhaltung hier näher einzugehen, wäre überflüssig, weil Haus Blum
darüber schon ausführlich und getreu berichtet hat. Nur eine kleine Berichtigung. Der Fürst
erzählte nach meiner ganz bestimmten Erinnerung, daß König Wilhelm 1M6 dem König Georg
von Hannover Lüneburg und Caleuberg, also den Norden, habe lassen, dagegen Göttingen
habe nehmen wollen. Blum kehrt die Sache aus einem sehr verzeihlichen Versehen um.
Herbsttage in varziu

zugestanden werden, daß die Liebenswürdigkeit der Damen heute nicht imstande
war, uns lange zu fesseln, denn wir sahen bereits in der Ecke den runden
Eichentisch und dahinter an der Wand die Ottomane, auf der sichs der Fürst
bequem machte und die Pfeife in Brand setzte. So setzten wir uns um ihn
zusammen und lauschten seinem Vortrage. Er sprach hauptsächlich über die
neue Militärvvrlage, die er in dieser Gestalt für höchst bedenklich erklärte,
flocht interessante geschichtliche Erinnerungen an den Beginn seiner Minister-
Präsidentschaft und an die Friedensverhandlungen von 1366 und 1870 (durch
Harry vou Arnim in Brüssel) ein, charakterisirte mit ein paar Strichen wieder
mehrere bedeutende Persönlichkeiten der jüngsten Vergangenheit und erörterte
zuletzt die Frage, warum er nicht im Reichstage erscheinen könne, wobei er
allerdings den Kernpunkt nicht geradezu nussprach,") Merkwürdig war dabei,
wie er den einmal angesponnenen Faden festhielt; er knüpfte zwar zuweilen
Fernerliegeudes an und gestattete Zwischenbemerkungen oder Fragen, aber er
kam doch immer wieder auf sein Thema zurück. So sprach der Siebenundsiebzig-
jührige anderthalb Stunden lang, mit geringen Unterbrechungen, immer mit
derselben Frische und Lebendigkeit, und scharf umrissen hob sich dabei im hellen
Lichte einer großen Astrallampe das charakteristische Profil von dem dunkeln
Hintergrunde der Zimmerwand ab.

Und doch war es ein tief schmerzlicher Eindruck. Soviel Sach- und
Menschenkenntnis, so eindringendes Wissen von der Geschichte einer großen
Zeit, soviel Geist, soviel ungebrochne Kraft müssen jetzt brach liegen, und die¬
selbe schlagende Beweisführung, die früher von der Rednerbühne des Reichs¬
tags aus die Welt in Spannung und Bewegung gesetzt hatte, wandte sich jetzt
um ein paar Freunde in der stillen Ecke eines weltfernen Landhauses.

Gegen einhalb zehn Uhr erhoben wir uns, der freundlichen Mahnung des
besorgten Arztes gedenkend, der Fürst reichte jedem zum Gutenachtgruß die
Hand, indem er mit einer launigen Wendung den vertraulichen Charakter der
Unterredung betonte, und entließ uns zu den Damen, die sich inzwischen im
Speisezimmer an einer Gavotte der drei jungen Grafen Rantzau, prächtiger,
frischer Knaben von dreizehn, elf und neun Jahren, vergnügt hatten und uns
unsre Treulosigkeit nicht entgelten ließen. Hier trugen wir noch, einer Auf¬
forderung der Fürstin folgend, unsre Namen ins Fremdenbuch ein und
zogen uns gegen zehn Uhr zurück.

Als wir aus der hintern Thür noch einmal auf die Terrasse nach dem
Park hinaustraten, stand der Mond am klaren Himmel. Scharf zeichnete



*> Auf diese Unterhaltung hier näher einzugehen, wäre überflüssig, weil Haus Blum
darüber schon ausführlich und getreu berichtet hat. Nur eine kleine Berichtigung. Der Fürst
erzählte nach meiner ganz bestimmten Erinnerung, daß König Wilhelm 1M6 dem König Georg
von Hannover Lüneburg und Caleuberg, also den Norden, habe lassen, dagegen Göttingen
habe nehmen wollen. Blum kehrt die Sache aus einem sehr verzeihlichen Versehen um.
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[0391] Herbsttage in varziu zugestanden werden, daß die Liebenswürdigkeit der Damen heute nicht imstande war, uns lange zu fesseln, denn wir sahen bereits in der Ecke den runden Eichentisch und dahinter an der Wand die Ottomane, auf der sichs der Fürst bequem machte und die Pfeife in Brand setzte. So setzten wir uns um ihn zusammen und lauschten seinem Vortrage. Er sprach hauptsächlich über die neue Militärvvrlage, die er in dieser Gestalt für höchst bedenklich erklärte, flocht interessante geschichtliche Erinnerungen an den Beginn seiner Minister- Präsidentschaft und an die Friedensverhandlungen von 1366 und 1870 (durch Harry vou Arnim in Brüssel) ein, charakterisirte mit ein paar Strichen wieder mehrere bedeutende Persönlichkeiten der jüngsten Vergangenheit und erörterte zuletzt die Frage, warum er nicht im Reichstage erscheinen könne, wobei er allerdings den Kernpunkt nicht geradezu nussprach,") Merkwürdig war dabei, wie er den einmal angesponnenen Faden festhielt; er knüpfte zwar zuweilen Fernerliegeudes an und gestattete Zwischenbemerkungen oder Fragen, aber er kam doch immer wieder auf sein Thema zurück. So sprach der Siebenundsiebzig- jührige anderthalb Stunden lang, mit geringen Unterbrechungen, immer mit derselben Frische und Lebendigkeit, und scharf umrissen hob sich dabei im hellen Lichte einer großen Astrallampe das charakteristische Profil von dem dunkeln Hintergrunde der Zimmerwand ab. Und doch war es ein tief schmerzlicher Eindruck. Soviel Sach- und Menschenkenntnis, so eindringendes Wissen von der Geschichte einer großen Zeit, soviel Geist, soviel ungebrochne Kraft müssen jetzt brach liegen, und die¬ selbe schlagende Beweisführung, die früher von der Rednerbühne des Reichs¬ tags aus die Welt in Spannung und Bewegung gesetzt hatte, wandte sich jetzt um ein paar Freunde in der stillen Ecke eines weltfernen Landhauses. Gegen einhalb zehn Uhr erhoben wir uns, der freundlichen Mahnung des besorgten Arztes gedenkend, der Fürst reichte jedem zum Gutenachtgruß die Hand, indem er mit einer launigen Wendung den vertraulichen Charakter der Unterredung betonte, und entließ uns zu den Damen, die sich inzwischen im Speisezimmer an einer Gavotte der drei jungen Grafen Rantzau, prächtiger, frischer Knaben von dreizehn, elf und neun Jahren, vergnügt hatten und uns unsre Treulosigkeit nicht entgelten ließen. Hier trugen wir noch, einer Auf¬ forderung der Fürstin folgend, unsre Namen ins Fremdenbuch ein und zogen uns gegen zehn Uhr zurück. Als wir aus der hintern Thür noch einmal auf die Terrasse nach dem Park hinaustraten, stand der Mond am klaren Himmel. Scharf zeichnete *> Auf diese Unterhaltung hier näher einzugehen, wäre überflüssig, weil Haus Blum darüber schon ausführlich und getreu berichtet hat. Nur eine kleine Berichtigung. Der Fürst erzählte nach meiner ganz bestimmten Erinnerung, daß König Wilhelm 1M6 dem König Georg von Hannover Lüneburg und Caleuberg, also den Norden, habe lassen, dagegen Göttingen habe nehmen wollen. Blum kehrt die Sache aus einem sehr verzeihlichen Versehen um.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/391>, abgerufen am 23.07.2024.