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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Philosophie vom Übermenschen

verhalf, war Kraft, Tapferkeit, Kriegszucht, Ausdauer, die Überlegenheit der
Führer, der Gehorsam der Geführten, aber -licht die deutsche Kultur. Um
"aus dem Morast der wohlgeordneten und wohlzusammeuhängenden Philistern,
die an Schreibtischen und Ehrenplätzen sitzt," die "nicht einmal schlechte 5!ultur
ist, sondern solid verschanzte Barbarei, nnr ganz ohne die Frische und wilde
Kraft der ursprünglichen Barbarei," loszukommen, um die "herrschenden Mei¬
nungen," die "öffentlichen Meinungen, d.h. die privaten Faulheiten" loszu¬
werden, dazu ist es nötig, eine Rasse hervorragender Geister zu züchten und
zu erziehen, die die Herrscher, die Inhaber der Macht zu sein haben. Die
Helden aber werden das Volk in die Höhe ziehen und von den Flachheiten
des Straußischen Bildungsphilisteriums frei machen. Denn ein Erzieher kann
nur ein Befreier sein.

Diesen Befreier sand nun der junge Nietzsche in <Schopenhauer. Ju den
Schriften seiner ersten Periode, die bis zum Jahre 1876 reicht, steht er ganz
im Banne Schopenhauers. "Nachdem ich die erste Seite von ihm gelesen,
wußte ich, daß ich jede Seite lesen und aus jedes seiner Worte Acht geben
geben würde." Daneben beherrschte ihn in diesen Jahren das Kunstideal
Wagners. Während seine Doktordissertation über die Quellen des Diogenes
Laertius. obwohl es auch in ihr schon zuckend wetterleuchtete, doch noch
auf philologischen Bahnen ging, wandte er sich in den "Unzeitgemäßen Be¬
trachtungen" (1--4) und der "Geburt der Tragödie aus dem Geiste der
Musik" ausschließlich der Philosophie, Ästhetik und Musik zu.

Später machte er sich von beiden Lehrern los. Er bekämpfte Wagner
mit derselben Leidenschaft, mit der er ihn vorher gepriesen hatte; für Schopen¬
hauer hatte er zwar immer noch Achtung und Verehrung übrig, aber das Ab¬
hängigkeitsverhältnis war gelöst; in einer Reihe von Schriften, deren absonder¬
liche Titel bereits die Eigenart seines Denkens verraten, tritt er, wie er selbst
und seine Verehrer meinen, mit einem "völlig neuen und originalen System"
als selbständiger Denker auf, das die "Kraft haben soll, die Menschheits¬
geschichte in eine neue Epoche hinüberzuleiten." Diese Schriften unterscheiden
sich von denen seiner ersten Periode sowohl in der Sache wie in der Form.
Sein Denken ist, wen" auch nicht in den strengen Formen des Systems, den
Knlturproblemen im weitesten Sinne des Wortes zugewendet. Ihre Form ist
der Aphorismus, die Sentenz; in ihnen sieht er eine "Form der Ewigkeit."
Mit rücksichtsloser Offenheit und Hörte baut er seine Gedanken auf. Leicht
verständlich ist er nicht; mit stolzer Gleichgiltigkeit steht er den: Leser gegen¬
über. Er bemüht sich nicht darum, verstanden zu werden, er verlangt, daß man
sich um seine Gedanken bemühe, sich den Zugang zu ihnen erkämpfe. "Eins
vor allem thut not -- sagt er --, was heutzutage gerade am besten verlernt
worden ist -- und darum hat es noch Zeit bis zur "Lesbarkeit" meiner
Schriften --, zu dem man beinahe Kuh und jedenfalls nicht "moderner Mensch"


Die Philosophie vom Übermenschen

verhalf, war Kraft, Tapferkeit, Kriegszucht, Ausdauer, die Überlegenheit der
Führer, der Gehorsam der Geführten, aber -licht die deutsche Kultur. Um
„aus dem Morast der wohlgeordneten und wohlzusammeuhängenden Philistern,
die an Schreibtischen und Ehrenplätzen sitzt," die „nicht einmal schlechte 5!ultur
ist, sondern solid verschanzte Barbarei, nnr ganz ohne die Frische und wilde
Kraft der ursprünglichen Barbarei," loszukommen, um die „herrschenden Mei¬
nungen," die „öffentlichen Meinungen, d.h. die privaten Faulheiten" loszu¬
werden, dazu ist es nötig, eine Rasse hervorragender Geister zu züchten und
zu erziehen, die die Herrscher, die Inhaber der Macht zu sein haben. Die
Helden aber werden das Volk in die Höhe ziehen und von den Flachheiten
des Straußischen Bildungsphilisteriums frei machen. Denn ein Erzieher kann
nur ein Befreier sein.

Diesen Befreier sand nun der junge Nietzsche in <Schopenhauer. Ju den
Schriften seiner ersten Periode, die bis zum Jahre 1876 reicht, steht er ganz
im Banne Schopenhauers. „Nachdem ich die erste Seite von ihm gelesen,
wußte ich, daß ich jede Seite lesen und aus jedes seiner Worte Acht geben
geben würde." Daneben beherrschte ihn in diesen Jahren das Kunstideal
Wagners. Während seine Doktordissertation über die Quellen des Diogenes
Laertius. obwohl es auch in ihr schon zuckend wetterleuchtete, doch noch
auf philologischen Bahnen ging, wandte er sich in den „Unzeitgemäßen Be¬
trachtungen" (1—4) und der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der
Musik" ausschließlich der Philosophie, Ästhetik und Musik zu.

Später machte er sich von beiden Lehrern los. Er bekämpfte Wagner
mit derselben Leidenschaft, mit der er ihn vorher gepriesen hatte; für Schopen¬
hauer hatte er zwar immer noch Achtung und Verehrung übrig, aber das Ab¬
hängigkeitsverhältnis war gelöst; in einer Reihe von Schriften, deren absonder¬
liche Titel bereits die Eigenart seines Denkens verraten, tritt er, wie er selbst
und seine Verehrer meinen, mit einem „völlig neuen und originalen System"
als selbständiger Denker auf, das die „Kraft haben soll, die Menschheits¬
geschichte in eine neue Epoche hinüberzuleiten." Diese Schriften unterscheiden
sich von denen seiner ersten Periode sowohl in der Sache wie in der Form.
Sein Denken ist, wen» auch nicht in den strengen Formen des Systems, den
Knlturproblemen im weitesten Sinne des Wortes zugewendet. Ihre Form ist
der Aphorismus, die Sentenz; in ihnen sieht er eine „Form der Ewigkeit."
Mit rücksichtsloser Offenheit und Hörte baut er seine Gedanken auf. Leicht
verständlich ist er nicht; mit stolzer Gleichgiltigkeit steht er den: Leser gegen¬
über. Er bemüht sich nicht darum, verstanden zu werden, er verlangt, daß man
sich um seine Gedanken bemühe, sich den Zugang zu ihnen erkämpfe. „Eins
vor allem thut not — sagt er —, was heutzutage gerade am besten verlernt
worden ist — und darum hat es noch Zeit bis zur »Lesbarkeit« meiner
Schriften —, zu dem man beinahe Kuh und jedenfalls nicht »moderner Mensch«


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[0035] Die Philosophie vom Übermenschen verhalf, war Kraft, Tapferkeit, Kriegszucht, Ausdauer, die Überlegenheit der Führer, der Gehorsam der Geführten, aber -licht die deutsche Kultur. Um „aus dem Morast der wohlgeordneten und wohlzusammeuhängenden Philistern, die an Schreibtischen und Ehrenplätzen sitzt," die „nicht einmal schlechte 5!ultur ist, sondern solid verschanzte Barbarei, nnr ganz ohne die Frische und wilde Kraft der ursprünglichen Barbarei," loszukommen, um die „herrschenden Mei¬ nungen," die „öffentlichen Meinungen, d.h. die privaten Faulheiten" loszu¬ werden, dazu ist es nötig, eine Rasse hervorragender Geister zu züchten und zu erziehen, die die Herrscher, die Inhaber der Macht zu sein haben. Die Helden aber werden das Volk in die Höhe ziehen und von den Flachheiten des Straußischen Bildungsphilisteriums frei machen. Denn ein Erzieher kann nur ein Befreier sein. Diesen Befreier sand nun der junge Nietzsche in <Schopenhauer. Ju den Schriften seiner ersten Periode, die bis zum Jahre 1876 reicht, steht er ganz im Banne Schopenhauers. „Nachdem ich die erste Seite von ihm gelesen, wußte ich, daß ich jede Seite lesen und aus jedes seiner Worte Acht geben geben würde." Daneben beherrschte ihn in diesen Jahren das Kunstideal Wagners. Während seine Doktordissertation über die Quellen des Diogenes Laertius. obwohl es auch in ihr schon zuckend wetterleuchtete, doch noch auf philologischen Bahnen ging, wandte er sich in den „Unzeitgemäßen Be¬ trachtungen" (1—4) und der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" ausschließlich der Philosophie, Ästhetik und Musik zu. Später machte er sich von beiden Lehrern los. Er bekämpfte Wagner mit derselben Leidenschaft, mit der er ihn vorher gepriesen hatte; für Schopen¬ hauer hatte er zwar immer noch Achtung und Verehrung übrig, aber das Ab¬ hängigkeitsverhältnis war gelöst; in einer Reihe von Schriften, deren absonder¬ liche Titel bereits die Eigenart seines Denkens verraten, tritt er, wie er selbst und seine Verehrer meinen, mit einem „völlig neuen und originalen System" als selbständiger Denker auf, das die „Kraft haben soll, die Menschheits¬ geschichte in eine neue Epoche hinüberzuleiten." Diese Schriften unterscheiden sich von denen seiner ersten Periode sowohl in der Sache wie in der Form. Sein Denken ist, wen» auch nicht in den strengen Formen des Systems, den Knlturproblemen im weitesten Sinne des Wortes zugewendet. Ihre Form ist der Aphorismus, die Sentenz; in ihnen sieht er eine „Form der Ewigkeit." Mit rücksichtsloser Offenheit und Hörte baut er seine Gedanken auf. Leicht verständlich ist er nicht; mit stolzer Gleichgiltigkeit steht er den: Leser gegen¬ über. Er bemüht sich nicht darum, verstanden zu werden, er verlangt, daß man sich um seine Gedanken bemühe, sich den Zugang zu ihnen erkämpfe. „Eins vor allem thut not — sagt er —, was heutzutage gerade am besten verlernt worden ist — und darum hat es noch Zeit bis zur »Lesbarkeit« meiner Schriften —, zu dem man beinahe Kuh und jedenfalls nicht »moderner Mensch«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/35>, abgerufen am 23.07.2024.