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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die Verunstaltung deutscher Lieder

kleinen Fischerin (nebst andern) mit einer ganz gefälligen Melodie versehen,
die nicht mit Unrecht zu den Lieblingen des Baritonlöwen gehört. Auch wird
man die erste kleine Änderung, die Ludolf Waldmann in der dritten Strophe
angebracht hat, leicht zu überhören geneigt sein; er hat dort in den Worten:
"Darum schreibs mit Kreide an, Wirt, und denk vernünftig: Lustig Vink
und leichter Sinn, hin ist hin" sür das "denk" nnr ein schlichtes "sei" ge¬
setzt, allerdings auf Kosten des hübschen Zusammenhanges. Erheiternd aber
kann es doch nnr wirken, daß sich der Komponist in der letzten Strophe vor
dem greulichen "Stern mit einem Schwanz" gefürchtet hat, wahrscheinlich
weil Baumbachs lustige Wendung bei poetischen alten und jungen Jungfern
Anstoß erregen könnte. Er hat also des Dichters Worte: "Kommt ein Stern
mit einem Schwanz, will die Welt zertrümmern," die sich im Munde des kecken,
sorglosen Vaganten recht gut ausuehmeu, in die zahmen und glatten Zeilen ge¬
ändert: "Ein Komet im Strahlenglanz (!) will die Welt zertrümmern." Schade,
daß er des Metrums wegen nicht den deutschen Haarstern gebrauchen konnte!

Noch größere Dichterbegabung verrät der Komponist der vielgesnngnen
Lindenwirtin. Wie das einem fahrenden Gesellen gegenüber zunächst nicht zu
verwundern ist, will die Titelheldin in der zweiten Strophe nicht borgen:

Hier hat dem Komponisten entweder das altertümliche "gebricht" oder die
einfache Kreide mißfallen; jedenfalls hat er es schöner gefunden, die negative
Stimmung der Wirtin durch Hinzufügung des früher üblichen, aber etwas
harten Kerbholzes mit mehr Nachdruck zu betonen:

Daß -- ganz abgesehen von der häßlichen Verstümmlung der guten Kreide --
auch der Klang des Reimes dadurch gestört wird (leider -- weiter!), scheint
sür die moderne Musik nur von untergeordneter Bedeutung zu sein, denn die
Musik der Worte ist ihr eben mehr Nebensache. Das zeigt auch die Änderung
der vorletzten Strophe, die bei Baumbach so lautet:

Spricht zu ihm das schöne Weib:
Hast ja noch ein Herz im Leib:
Last mirs, trauter Wandrer!
Was geschah? -- Ich es"'s euch kund:
Auf der Wirtin rotem Mund
Brannte heiß ein andrer.

In innerer Übereinstimmung mit dem früher hinzukomponirten Kerbholz läßt
hier der Meister der Töne die Wirtin das Herz des Wanderers nur zum


Die Verunstaltung deutscher Lieder

kleinen Fischerin (nebst andern) mit einer ganz gefälligen Melodie versehen,
die nicht mit Unrecht zu den Lieblingen des Baritonlöwen gehört. Auch wird
man die erste kleine Änderung, die Ludolf Waldmann in der dritten Strophe
angebracht hat, leicht zu überhören geneigt sein; er hat dort in den Worten:
„Darum schreibs mit Kreide an, Wirt, und denk vernünftig: Lustig Vink
und leichter Sinn, hin ist hin" sür das „denk" nnr ein schlichtes „sei" ge¬
setzt, allerdings auf Kosten des hübschen Zusammenhanges. Erheiternd aber
kann es doch nnr wirken, daß sich der Komponist in der letzten Strophe vor
dem greulichen „Stern mit einem Schwanz" gefürchtet hat, wahrscheinlich
weil Baumbachs lustige Wendung bei poetischen alten und jungen Jungfern
Anstoß erregen könnte. Er hat also des Dichters Worte: „Kommt ein Stern
mit einem Schwanz, will die Welt zertrümmern," die sich im Munde des kecken,
sorglosen Vaganten recht gut ausuehmeu, in die zahmen und glatten Zeilen ge¬
ändert: „Ein Komet im Strahlenglanz (!) will die Welt zertrümmern." Schade,
daß er des Metrums wegen nicht den deutschen Haarstern gebrauchen konnte!

Noch größere Dichterbegabung verrät der Komponist der vielgesnngnen
Lindenwirtin. Wie das einem fahrenden Gesellen gegenüber zunächst nicht zu
verwundern ist, will die Titelheldin in der zweiten Strophe nicht borgen:

Hier hat dem Komponisten entweder das altertümliche „gebricht" oder die
einfache Kreide mißfallen; jedenfalls hat er es schöner gefunden, die negative
Stimmung der Wirtin durch Hinzufügung des früher üblichen, aber etwas
harten Kerbholzes mit mehr Nachdruck zu betonen:

Daß — ganz abgesehen von der häßlichen Verstümmlung der guten Kreide —
auch der Klang des Reimes dadurch gestört wird (leider — weiter!), scheint
sür die moderne Musik nur von untergeordneter Bedeutung zu sein, denn die
Musik der Worte ist ihr eben mehr Nebensache. Das zeigt auch die Änderung
der vorletzten Strophe, die bei Baumbach so lautet:

Spricht zu ihm das schöne Weib:
Hast ja noch ein Herz im Leib:
Last mirs, trauter Wandrer!
Was geschah? — Ich es»'s euch kund:
Auf der Wirtin rotem Mund
Brannte heiß ein andrer.

In innerer Übereinstimmung mit dem früher hinzukomponirten Kerbholz läßt
hier der Meister der Töne die Wirtin das Herz des Wanderers nur zum


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[0331] Die Verunstaltung deutscher Lieder kleinen Fischerin (nebst andern) mit einer ganz gefälligen Melodie versehen, die nicht mit Unrecht zu den Lieblingen des Baritonlöwen gehört. Auch wird man die erste kleine Änderung, die Ludolf Waldmann in der dritten Strophe angebracht hat, leicht zu überhören geneigt sein; er hat dort in den Worten: „Darum schreibs mit Kreide an, Wirt, und denk vernünftig: Lustig Vink und leichter Sinn, hin ist hin" sür das „denk" nnr ein schlichtes „sei" ge¬ setzt, allerdings auf Kosten des hübschen Zusammenhanges. Erheiternd aber kann es doch nnr wirken, daß sich der Komponist in der letzten Strophe vor dem greulichen „Stern mit einem Schwanz" gefürchtet hat, wahrscheinlich weil Baumbachs lustige Wendung bei poetischen alten und jungen Jungfern Anstoß erregen könnte. Er hat also des Dichters Worte: „Kommt ein Stern mit einem Schwanz, will die Welt zertrümmern," die sich im Munde des kecken, sorglosen Vaganten recht gut ausuehmeu, in die zahmen und glatten Zeilen ge¬ ändert: „Ein Komet im Strahlenglanz (!) will die Welt zertrümmern." Schade, daß er des Metrums wegen nicht den deutschen Haarstern gebrauchen konnte! Noch größere Dichterbegabung verrät der Komponist der vielgesnngnen Lindenwirtin. Wie das einem fahrenden Gesellen gegenüber zunächst nicht zu verwundern ist, will die Titelheldin in der zweiten Strophe nicht borgen: Hier hat dem Komponisten entweder das altertümliche „gebricht" oder die einfache Kreide mißfallen; jedenfalls hat er es schöner gefunden, die negative Stimmung der Wirtin durch Hinzufügung des früher üblichen, aber etwas harten Kerbholzes mit mehr Nachdruck zu betonen: Daß — ganz abgesehen von der häßlichen Verstümmlung der guten Kreide — auch der Klang des Reimes dadurch gestört wird (leider — weiter!), scheint sür die moderne Musik nur von untergeordneter Bedeutung zu sein, denn die Musik der Worte ist ihr eben mehr Nebensache. Das zeigt auch die Änderung der vorletzten Strophe, die bei Baumbach so lautet: Spricht zu ihm das schöne Weib: Hast ja noch ein Herz im Leib: Last mirs, trauter Wandrer! Was geschah? — Ich es»'s euch kund: Auf der Wirtin rotem Mund Brannte heiß ein andrer. In innerer Übereinstimmung mit dem früher hinzukomponirten Kerbholz läßt hier der Meister der Töne die Wirtin das Herz des Wanderers nur zum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/331>, abgerufen am 23.07.2024.