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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Nur die Hauptsachen habe ich durch gesperrten Druck ausgezeichnet; den
.'"klapperreim Scheiden-Leiden (im Gegensatz zu dem freilich unrhythmischen, aber
tiefen und schweren Seufzen des Volksliedes) und andre neue Schönheiten
(z. B- "Vom Morgen bis Abend spat" statt "Vom Abend bis wieder an
Tag") möge man selber durch genaue Bergleichuug würdigen lernen, jedenfalls
ist es dem Verfertiger dieser köstlichen Umdichtuug gelungen, mit dem "An¬
stößigen" auch den Hauptgedanken und allen Zusammenhang gründlichst zu
beseitigen. Von dem ganzen schönen Liede ist nur ein bischen Mühlrad¬
geklapper und eine Portion Abschiedsseutimentalitüt übrig geblieben. Diese
jammervollen Neste aber soll der Lehrer nach der "Vorbereitung" (II. 2Z4)
folgendermaßen erklären: "Ein junger Wanderbursch, im Banne des Heimwehs
stehend, kommt ans seiner Wanderung in ein tiefes Thal, wo im Schatten
dunkler Erlen einsam eine Wassermühle liegt. Im Anschauen derselben ver¬
tieft, bricht er unwillkürlich in die Worte der ersten Strophe ans. Nach
Jahresfrist kehrt er hierher zurück und stimmt in die Klage ein, die in Strophe
zwei und drei ausgesprochen ist." Des verhunzten Textes wegen muß also
der arme Bursche des Volksliedes auf die Wanderschaft, bis er zu der Mühle
kommt, die ihn zur ersten Strophe zu begeistern hat, aber vorläufig auch mir
zu dieser ersten. Erst nach Jahresfrist wird ihm gestattet, bei erneutem
Wiedersehn des Thales Strophe zwei und drei hinzuzufügen und in ihnen
den mittlerweile aus unbekannten Gründen erfolgten Verfall seiner geliebten
Mühle gebührend zu betrauern. Es bleibt dabei dem Scharfsinn des Lehrers
überlassen, zu ergründen, ob vielleicht das zerbrochne Mühlrad als der Freund
des ruhelosen armen Kerls anzusehen ist, obgleich in diesem Falle die be¬
hauptete Thatsache des Hüudereichens einigen Schwierigkeiten begegnet sein
dürfte.

Maßvoller und geringfügiger als diese Änderungen ist eine andre, übrigens
beliebte, in Fcuchterslebens herrlichem Liede "Es ist bestimmt in Gottes Rat."
Dort ist in der dritten Strophe, natürlich zum Nutzen und Frommen beson¬
ders des deutschen Mägdleins (siehe Colshorn, Des Mägdleins Dichterwald,
Hannover 1875, S. 62) das Lieb durch Liebes ersetzt worden:

Die Härte der Umstellung, durch die Gott in den Tieftvu, dir in den Hochtvn
tritt, wird namentlich beim Singen bemerkbar, ganz abgesehen davon, daß das
unklare Neutrum hier so unpoetisch als möglich ist und nur pädagogischen
Auslegungen unbegrenzten Spielraum gewährt (siehe Dietleiu-Polack II, 238:


Nur die Hauptsachen habe ich durch gesperrten Druck ausgezeichnet; den
.'»klapperreim Scheiden-Leiden (im Gegensatz zu dem freilich unrhythmischen, aber
tiefen und schweren Seufzen des Volksliedes) und andre neue Schönheiten
(z. B- „Vom Morgen bis Abend spat" statt „Vom Abend bis wieder an
Tag") möge man selber durch genaue Bergleichuug würdigen lernen, jedenfalls
ist es dem Verfertiger dieser köstlichen Umdichtuug gelungen, mit dem „An¬
stößigen" auch den Hauptgedanken und allen Zusammenhang gründlichst zu
beseitigen. Von dem ganzen schönen Liede ist nur ein bischen Mühlrad¬
geklapper und eine Portion Abschiedsseutimentalitüt übrig geblieben. Diese
jammervollen Neste aber soll der Lehrer nach der „Vorbereitung" (II. 2Z4)
folgendermaßen erklären: „Ein junger Wanderbursch, im Banne des Heimwehs
stehend, kommt ans seiner Wanderung in ein tiefes Thal, wo im Schatten
dunkler Erlen einsam eine Wassermühle liegt. Im Anschauen derselben ver¬
tieft, bricht er unwillkürlich in die Worte der ersten Strophe ans. Nach
Jahresfrist kehrt er hierher zurück und stimmt in die Klage ein, die in Strophe
zwei und drei ausgesprochen ist." Des verhunzten Textes wegen muß also
der arme Bursche des Volksliedes auf die Wanderschaft, bis er zu der Mühle
kommt, die ihn zur ersten Strophe zu begeistern hat, aber vorläufig auch mir
zu dieser ersten. Erst nach Jahresfrist wird ihm gestattet, bei erneutem
Wiedersehn des Thales Strophe zwei und drei hinzuzufügen und in ihnen
den mittlerweile aus unbekannten Gründen erfolgten Verfall seiner geliebten
Mühle gebührend zu betrauern. Es bleibt dabei dem Scharfsinn des Lehrers
überlassen, zu ergründen, ob vielleicht das zerbrochne Mühlrad als der Freund
des ruhelosen armen Kerls anzusehen ist, obgleich in diesem Falle die be¬
hauptete Thatsache des Hüudereichens einigen Schwierigkeiten begegnet sein
dürfte.

Maßvoller und geringfügiger als diese Änderungen ist eine andre, übrigens
beliebte, in Fcuchterslebens herrlichem Liede „Es ist bestimmt in Gottes Rat."
Dort ist in der dritten Strophe, natürlich zum Nutzen und Frommen beson¬
ders des deutschen Mägdleins (siehe Colshorn, Des Mägdleins Dichterwald,
Hannover 1875, S. 62) das Lieb durch Liebes ersetzt worden:

Die Härte der Umstellung, durch die Gott in den Tieftvu, dir in den Hochtvn
tritt, wird namentlich beim Singen bemerkbar, ganz abgesehen davon, daß das
unklare Neutrum hier so unpoetisch als möglich ist und nur pädagogischen
Auslegungen unbegrenzten Spielraum gewährt (siehe Dietleiu-Polack II, 238:


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[0328] Nur die Hauptsachen habe ich durch gesperrten Druck ausgezeichnet; den .'»klapperreim Scheiden-Leiden (im Gegensatz zu dem freilich unrhythmischen, aber tiefen und schweren Seufzen des Volksliedes) und andre neue Schönheiten (z. B- „Vom Morgen bis Abend spat" statt „Vom Abend bis wieder an Tag") möge man selber durch genaue Bergleichuug würdigen lernen, jedenfalls ist es dem Verfertiger dieser köstlichen Umdichtuug gelungen, mit dem „An¬ stößigen" auch den Hauptgedanken und allen Zusammenhang gründlichst zu beseitigen. Von dem ganzen schönen Liede ist nur ein bischen Mühlrad¬ geklapper und eine Portion Abschiedsseutimentalitüt übrig geblieben. Diese jammervollen Neste aber soll der Lehrer nach der „Vorbereitung" (II. 2Z4) folgendermaßen erklären: „Ein junger Wanderbursch, im Banne des Heimwehs stehend, kommt ans seiner Wanderung in ein tiefes Thal, wo im Schatten dunkler Erlen einsam eine Wassermühle liegt. Im Anschauen derselben ver¬ tieft, bricht er unwillkürlich in die Worte der ersten Strophe ans. Nach Jahresfrist kehrt er hierher zurück und stimmt in die Klage ein, die in Strophe zwei und drei ausgesprochen ist." Des verhunzten Textes wegen muß also der arme Bursche des Volksliedes auf die Wanderschaft, bis er zu der Mühle kommt, die ihn zur ersten Strophe zu begeistern hat, aber vorläufig auch mir zu dieser ersten. Erst nach Jahresfrist wird ihm gestattet, bei erneutem Wiedersehn des Thales Strophe zwei und drei hinzuzufügen und in ihnen den mittlerweile aus unbekannten Gründen erfolgten Verfall seiner geliebten Mühle gebührend zu betrauern. Es bleibt dabei dem Scharfsinn des Lehrers überlassen, zu ergründen, ob vielleicht das zerbrochne Mühlrad als der Freund des ruhelosen armen Kerls anzusehen ist, obgleich in diesem Falle die be¬ hauptete Thatsache des Hüudereichens einigen Schwierigkeiten begegnet sein dürfte. Maßvoller und geringfügiger als diese Änderungen ist eine andre, übrigens beliebte, in Fcuchterslebens herrlichem Liede „Es ist bestimmt in Gottes Rat." Dort ist in der dritten Strophe, natürlich zum Nutzen und Frommen beson¬ ders des deutschen Mägdleins (siehe Colshorn, Des Mägdleins Dichterwald, Hannover 1875, S. 62) das Lieb durch Liebes ersetzt worden: Die Härte der Umstellung, durch die Gott in den Tieftvu, dir in den Hochtvn tritt, wird namentlich beim Singen bemerkbar, ganz abgesehen davon, daß das unklare Neutrum hier so unpoetisch als möglich ist und nur pädagogischen Auslegungen unbegrenzten Spielraum gewährt (siehe Dietleiu-Polack II, 238:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/328>, abgerufen am 22.12.2024.