Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Die Verunstaltung deutscher Lieder nicht wachküsfen darf, wird nur die hochgradigste Gouvernantenzimperlichkeit Diese grausame Verstümmlung, ja Entmannung des schönen Gedichtes [Beginn Spaltensatz]
1 Kommt ein Vogel geflogen, Setzt sich nieder auf mein'" Fuß, Hut ein Briefchen im Schnabel Mit'in freundlichen Grus;, 2 Ach so fern ist die Heimat, In der Fremde bin ich hier: Und es fraget kein Hündlein Und kein Mtzleiu nach mir. 3 Hab mich allweil vertröstet Auf die sommerliche Zeit, Und der Sommer ist kommen, Und ich bin noch so weit. 4 Liebes Vöglein, flieg weiter, Bring gar herzinnigen Gruß! Ach! ich kann dich nicht begleiten, Weil ich Hierbleiben muß. [Spaltenumbruch] 1 Chimmt a Vögerl geflogen/') Setzt sich nieder auf arm Fuß, Hat a Zetterl im Goscherl Und vom Diarndl an Gruß. (2) Und n Büchse"! zum Schießen Und a Straußring zum Schlagen Und a Diarndl zum Lieb'" Muß n lust'ger Bua han. !! (4) Daheim is Main Schätzer!, In der Fremd' bin i hier, Und es fragt halt admin Chatzcrl, Lhaiu Hundert runder mir. S (:y Hast mi allweil vertröstet Uf die Summeri-Zeit, Und der Summer is chimma, Und arm Schätzer! is weit. 4 (5) Lieds Vögerl, flieg weiter, Nimm a Gruß mit, a Kuß! Und i eben ti nit b'gleiw, Mail i hierblaibi muß. [Ende Spaltensatz] Daß die zweite Strophe des Volksliedes in der Übertragung ganz weggefallen *) In Ermangelung einer bessern Quelle gebe ich diesen Text nach dem Leipziger
Kommersbuch; seiue kleinen Fehler und Widersprüche in der Schreibung möge man ent¬ schuldigen. Die Verunstaltung deutscher Lieder nicht wachküsfen darf, wird nur die hochgradigste Gouvernantenzimperlichkeit Diese grausame Verstümmlung, ja Entmannung des schönen Gedichtes [Beginn Spaltensatz]
1 Kommt ein Vogel geflogen, Setzt sich nieder auf mein'» Fuß, Hut ein Briefchen im Schnabel Mit'in freundlichen Grus;, 2 Ach so fern ist die Heimat, In der Fremde bin ich hier: Und es fraget kein Hündlein Und kein Mtzleiu nach mir. 3 Hab mich allweil vertröstet Auf die sommerliche Zeit, Und der Sommer ist kommen, Und ich bin noch so weit. 4 Liebes Vöglein, flieg weiter, Bring gar herzinnigen Gruß! Ach! ich kann dich nicht begleiten, Weil ich Hierbleiben muß. [Spaltenumbruch] 1 Chimmt a Vögerl geflogen/') Setzt sich nieder auf arm Fuß, Hat a Zetterl im Goscherl Und vom Diarndl an Gruß. (2) Und n Büchse»! zum Schießen Und a Straußring zum Schlagen Und a Diarndl zum Lieb'» Muß n lust'ger Bua han. !! (4) Daheim is Main Schätzer!, In der Fremd' bin i hier, Und es fragt halt admin Chatzcrl, Lhaiu Hundert runder mir. S (:y Hast mi allweil vertröstet Uf die Summeri-Zeit, Und der Summer is chimma, Und arm Schätzer! is weit. 4 (5) Lieds Vögerl, flieg weiter, Nimm a Gruß mit, a Kuß! Und i eben ti nit b'gleiw, Mail i hierblaibi muß. [Ende Spaltensatz] Daß die zweite Strophe des Volksliedes in der Übertragung ganz weggefallen *) In Ermangelung einer bessern Quelle gebe ich diesen Text nach dem Leipziger
Kommersbuch; seiue kleinen Fehler und Widersprüche in der Schreibung möge man ent¬ schuldigen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0325" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213439"/> <fw type="header" place="top"> Die Verunstaltung deutscher Lieder</fw><lb/> <p xml:id="ID_988" prev="#ID_987"> nicht wachküsfen darf, wird nur die hochgradigste Gouvernantenzimperlichkeit<lb/> zu begreifen vermögen!</p><lb/> <p xml:id="ID_989"> Diese grausame Verstümmlung, ja Entmannung des schönen Gedichtes<lb/> ist allerdings in einem neuern, recht verdienstvollen Werke (Dietleiu-Polack,<lb/> Aus deutschen Lesebüchern II, 1882 ^ S. 456 f.) schon getadelt worden, wenn<lb/> auch nicht mit gebührender Schärfe. Trotzdem bietet dasselbe Werk in seinem<lb/> ersten Bande (S. 438) ein fast ebenso schlimmes Beispiel von Volkslieder¬<lb/> verunstaltung. Es handelt sich da um das bekannte Lied: „Chimmt a Vögerl<lb/> geflogen," das für die Schule aus dem fremden Dialekt übertragen (dagegen<lb/> wird sich nicht allzuviel einwenden lassen) und zugleich folgendermaßen ent¬<lb/> stellt worden ist:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem"> <l><cb type="start"/> 1 Kommt ein Vogel geflogen,<lb/> Setzt sich nieder auf mein'» Fuß,<lb/> Hut ein Briefchen im Schnabel<lb/> Mit'in freundlichen Grus;, 2 Ach so fern ist die Heimat,<lb/> In der Fremde bin ich hier:<lb/> Und es fraget kein Hündlein<lb/> Und kein Mtzleiu nach mir. 3 Hab mich allweil vertröstet<lb/> Auf die sommerliche Zeit,<lb/> Und der Sommer ist kommen,<lb/> Und ich bin noch so weit. 4 Liebes Vöglein, flieg weiter,<lb/> Bring gar herzinnigen Gruß!<lb/> Ach! ich kann dich nicht begleiten,<lb/> Weil ich Hierbleiben muß. <cb/> 1 Chimmt a Vögerl geflogen/')<lb/> Setzt sich nieder auf arm Fuß,<lb/> Hat a Zetterl im Goscherl<lb/> Und vom Diarndl an Gruß. (2) Und n Büchse»! zum Schießen<lb/> Und a Straußring zum Schlagen<lb/> Und a Diarndl zum Lieb'»<lb/> Muß n lust'ger Bua han. !! (4) Daheim is Main Schätzer!,<lb/> In der Fremd' bin i hier,<lb/> Und es fragt halt admin Chatzcrl,<lb/> Lhaiu Hundert runder mir. S (:y Hast mi allweil vertröstet<lb/> Uf die Summeri-Zeit,<lb/> Und der Summer is chimma,<lb/> Und arm Schätzer! is weit. 4 (5) Lieds Vögerl, flieg weiter,<lb/> Nimm a Gruß mit, a Kuß!<lb/> Und i eben ti nit b'gleiw,<lb/> Mail i hierblaibi muß. <cb type="end"/> </l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_990" next="#ID_991"> Daß die zweite Strophe des Volksliedes in der Übertragung ganz weggefallen<lb/> ist, wird man verschmerzen: sie dürfte am wenigsten bekannt sein, obgleich<lb/> gerade für den bairischen Burschen das Schießen , Raufen und Lieben neben<lb/> einander höchst charakteristisch ist. Auch die Schlimmbesferuug, die in der<lb/> Vertauschung der dritten und der vierten Strophe liegt, mag hingehen. Die<lb/> Streichung des Schatzes aber bedeutet eine gänzliche Entnervung des Gedichts.</p><lb/> <note xml:id="FID_27" place="foot"> *) In Ermangelung einer bessern Quelle gebe ich diesen Text nach dem Leipziger<lb/> Kommersbuch; seiue kleinen Fehler und Widersprüche in der Schreibung möge man ent¬<lb/> schuldigen.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0325]
Die Verunstaltung deutscher Lieder
nicht wachküsfen darf, wird nur die hochgradigste Gouvernantenzimperlichkeit
zu begreifen vermögen!
Diese grausame Verstümmlung, ja Entmannung des schönen Gedichtes
ist allerdings in einem neuern, recht verdienstvollen Werke (Dietleiu-Polack,
Aus deutschen Lesebüchern II, 1882 ^ S. 456 f.) schon getadelt worden, wenn
auch nicht mit gebührender Schärfe. Trotzdem bietet dasselbe Werk in seinem
ersten Bande (S. 438) ein fast ebenso schlimmes Beispiel von Volkslieder¬
verunstaltung. Es handelt sich da um das bekannte Lied: „Chimmt a Vögerl
geflogen," das für die Schule aus dem fremden Dialekt übertragen (dagegen
wird sich nicht allzuviel einwenden lassen) und zugleich folgendermaßen ent¬
stellt worden ist:
1 Kommt ein Vogel geflogen,
Setzt sich nieder auf mein'» Fuß,
Hut ein Briefchen im Schnabel
Mit'in freundlichen Grus;, 2 Ach so fern ist die Heimat,
In der Fremde bin ich hier:
Und es fraget kein Hündlein
Und kein Mtzleiu nach mir. 3 Hab mich allweil vertröstet
Auf die sommerliche Zeit,
Und der Sommer ist kommen,
Und ich bin noch so weit. 4 Liebes Vöglein, flieg weiter,
Bring gar herzinnigen Gruß!
Ach! ich kann dich nicht begleiten,
Weil ich Hierbleiben muß.
1 Chimmt a Vögerl geflogen/')
Setzt sich nieder auf arm Fuß,
Hat a Zetterl im Goscherl
Und vom Diarndl an Gruß. (2) Und n Büchse»! zum Schießen
Und a Straußring zum Schlagen
Und a Diarndl zum Lieb'»
Muß n lust'ger Bua han. !! (4) Daheim is Main Schätzer!,
In der Fremd' bin i hier,
Und es fragt halt admin Chatzcrl,
Lhaiu Hundert runder mir. S (:y Hast mi allweil vertröstet
Uf die Summeri-Zeit,
Und der Summer is chimma,
Und arm Schätzer! is weit. 4 (5) Lieds Vögerl, flieg weiter,
Nimm a Gruß mit, a Kuß!
Und i eben ti nit b'gleiw,
Mail i hierblaibi muß.
Daß die zweite Strophe des Volksliedes in der Übertragung ganz weggefallen
ist, wird man verschmerzen: sie dürfte am wenigsten bekannt sein, obgleich
gerade für den bairischen Burschen das Schießen , Raufen und Lieben neben
einander höchst charakteristisch ist. Auch die Schlimmbesferuug, die in der
Vertauschung der dritten und der vierten Strophe liegt, mag hingehen. Die
Streichung des Schatzes aber bedeutet eine gänzliche Entnervung des Gedichts.
*) In Ermangelung einer bessern Quelle gebe ich diesen Text nach dem Leipziger
Kommersbuch; seiue kleinen Fehler und Widersprüche in der Schreibung möge man ent¬
schuldigen.
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