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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Lin amerikanischer Sozialist

nicht okknpirtcm Boden. Zur Charakteristik Englands, des andern klassischen
Kapitalistenstaatcs, haben wir bei andern Gelegenheiten schon das nötige ge¬
sagt; Gronlunds Buche entnehmen wir noch folgende Stelle aus dem Werke
Ax esnturiss ok vvorlc WÄ vaML von Thorold Rogers, dem Herausgeber
Adam Smiths: "Ich bin überzeugt, daß die Lage der Handarbeiter in keinem
Abschnitte der englischen Geschichte elender gewesen ist, als in der Zeit von
1782 bis 1821, in jenen vierzig Jahren, wo die Kaufleute, Fabrikanten und
Geldleute am raschesten Reichtümer aufhäuften und die Grundrente auf das
Doppelte stieg; und ich behaupte, daß von 1563 bis 1824 eine in Form von
Gesetzen zusnmmengebrantc Verschwörung der Interessenten thätig war,
den englischen Arbeiter um seinen Lohn zu betrügen und in den entwür¬
digenden Zustand eines hoffnungslosen und unheilbaren Pauperismus hinab-
zndrückcn."

Da nun aber nicht das Kapital, sondern einzig und allein der Konsum
die Produktion im Gange erhält, der Konsum aber bei der Verarmung der
Massen zurückgeht, so schreitet die Gesellschaft unaufhaltsam der Berarmnng
entgegen, und das Kapital selbst sieht sich in seiner Existenz bedroht. Den
ausländischen Konsuln durch Erschließung neuer ausländischer Absatzmärkte
ersetze" zu wollen, ist bei der bekannten Weltlage ein aussichtsloses Beginnen.
Jenes Handelsmonpol, auf dem oder vielmehr auf dessen ehemaligen Erträg¬
nissen Englands heutiger Gesellschafts- und Staatsbäu ruht, ist unwieder¬
bringlich dahin; hat doch schon im Jahre 1883 Inglis Palgrave, der Präsident
der ökonomischen Sektion der Lriti8it ^ssoomtimr, das Geständnis abgelegt,
Mail dürfe beinahe sagen, das Land trete in den Zustand des "Nichtfort-
schritts" ein. Darum sind die Staatsmänner, die ja sämtlich von der Er¬
schließung neuer Auslandsmärkte träumen, als ob es solche noch irgendwo in
der Welt gäbe, ohne Ausnahme elende Quacksalber. Die Mittelchen, mit
denen man einstweilen den Arbeitern und dem Kleingewerbe aufzuhelfen sucht,
um die Produktion einigermaßen im Gange zu erhalten, können nichts nützen.
Produktivgenossenschaften vorzuschlagen, ist ein Hohn auf die Arbeiter, so lange
die Hand der Kapitalisten ans den Arbeitsmitteln liegt. Konsumvereine nützen
den Vereinsgenossen, so lange diese nur einen kleinen Teil der Gesamtheit
bilden; nicht die Klasse heben sie, sondern einzelne aus ihrer Klasse. Und was
wird aus deu Krümeru? Anstatt zu sparen und mit dein Ersparten aus¬
sichtslose Experimente zu machen, meint Gronlnnd, sollen sich die Arbeiter
lieber so gut wie möglich nähren, damit sie der ihnen winkenden großen Auf¬
gabe körperlich gewachsen seien. Gewerkvereine sind seiner Ansicht nach gut,
nicht an sich, sondern als Vorschule für deu Sozialismus. Ihr Nutzen an sich
ist nnr eingebildet. Hätten die Unternehmer ihre Macht vollständig ausge¬
nutzt, so würden die Gewerkvereine uicht eine einzige Lohnerhöhung durchgesetzt
haben; auch die hie und da eingetretne Verminderung der Arbeitszeit ist nicht


Grenzboten IV 1892 3
Lin amerikanischer Sozialist

nicht okknpirtcm Boden. Zur Charakteristik Englands, des andern klassischen
Kapitalistenstaatcs, haben wir bei andern Gelegenheiten schon das nötige ge¬
sagt; Gronlunds Buche entnehmen wir noch folgende Stelle aus dem Werke
Ax esnturiss ok vvorlc WÄ vaML von Thorold Rogers, dem Herausgeber
Adam Smiths: „Ich bin überzeugt, daß die Lage der Handarbeiter in keinem
Abschnitte der englischen Geschichte elender gewesen ist, als in der Zeit von
1782 bis 1821, in jenen vierzig Jahren, wo die Kaufleute, Fabrikanten und
Geldleute am raschesten Reichtümer aufhäuften und die Grundrente auf das
Doppelte stieg; und ich behaupte, daß von 1563 bis 1824 eine in Form von
Gesetzen zusnmmengebrantc Verschwörung der Interessenten thätig war,
den englischen Arbeiter um seinen Lohn zu betrügen und in den entwür¬
digenden Zustand eines hoffnungslosen und unheilbaren Pauperismus hinab-
zndrückcn."

Da nun aber nicht das Kapital, sondern einzig und allein der Konsum
die Produktion im Gange erhält, der Konsum aber bei der Verarmung der
Massen zurückgeht, so schreitet die Gesellschaft unaufhaltsam der Berarmnng
entgegen, und das Kapital selbst sieht sich in seiner Existenz bedroht. Den
ausländischen Konsuln durch Erschließung neuer ausländischer Absatzmärkte
ersetze» zu wollen, ist bei der bekannten Weltlage ein aussichtsloses Beginnen.
Jenes Handelsmonpol, auf dem oder vielmehr auf dessen ehemaligen Erträg¬
nissen Englands heutiger Gesellschafts- und Staatsbäu ruht, ist unwieder¬
bringlich dahin; hat doch schon im Jahre 1883 Inglis Palgrave, der Präsident
der ökonomischen Sektion der Lriti8it ^ssoomtimr, das Geständnis abgelegt,
Mail dürfe beinahe sagen, das Land trete in den Zustand des „Nichtfort-
schritts" ein. Darum sind die Staatsmänner, die ja sämtlich von der Er¬
schließung neuer Auslandsmärkte träumen, als ob es solche noch irgendwo in
der Welt gäbe, ohne Ausnahme elende Quacksalber. Die Mittelchen, mit
denen man einstweilen den Arbeitern und dem Kleingewerbe aufzuhelfen sucht,
um die Produktion einigermaßen im Gange zu erhalten, können nichts nützen.
Produktivgenossenschaften vorzuschlagen, ist ein Hohn auf die Arbeiter, so lange
die Hand der Kapitalisten ans den Arbeitsmitteln liegt. Konsumvereine nützen
den Vereinsgenossen, so lange diese nur einen kleinen Teil der Gesamtheit
bilden; nicht die Klasse heben sie, sondern einzelne aus ihrer Klasse. Und was
wird aus deu Krümeru? Anstatt zu sparen und mit dein Ersparten aus¬
sichtslose Experimente zu machen, meint Gronlnnd, sollen sich die Arbeiter
lieber so gut wie möglich nähren, damit sie der ihnen winkenden großen Auf¬
gabe körperlich gewachsen seien. Gewerkvereine sind seiner Ansicht nach gut,
nicht an sich, sondern als Vorschule für deu Sozialismus. Ihr Nutzen an sich
ist nnr eingebildet. Hätten die Unternehmer ihre Macht vollständig ausge¬
nutzt, so würden die Gewerkvereine uicht eine einzige Lohnerhöhung durchgesetzt
haben; auch die hie und da eingetretne Verminderung der Arbeitszeit ist nicht


Grenzboten IV 1892 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/25>, abgerufen am 23.07.2024.