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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Archäologie nötig haben, nur bei Homer und Ovid wird eine Wiederholung
und Ergänzung der mythologischen Bilder nützlich sein. Eine wichtige For¬
derung aber ist, daß schon in den untern Klassen nur das beste in guten Ab¬
bildungen vorgezeigt werde. Die jüngern Schüler sollen zur Schulung des
Auges die Schöpfungen der Blütezeit griechischer Kunst und die großartigsten
Werke des kaiserlichen Roms kennen lernen, gleichsam das Alphabet, mit dem
sie später auch andre Zeiten verstehen werden.

In den höhern Klassen darf man natürlich höhere Anforderungen stellen.
Nachdem das Auge des Schülers an einer nicht zu kleinen Anzahl klassischer
Bauten und Bildwerke geschult worden ist, müssen die bisher gewonnenen
Vorstellungen durch neue bereichert und erweitert und zu dem Gesamtbilde
der Entwicklung der griechisch-römischen Kunst vereinigt werden. Ohne daß
ein eigentlicher kunstgeschichtlicher Unterricht stattfindet, soll der Schüler schlie߬
lich mit den Begriffen ältere oder archaische Kunst, Phidias und Polyklet,
Praxiteles, Lysipp, Kunst der Diadochenzeit, Kunst der frühern und der spätern
Kaiserherrschaft gewisse, bestimmte Vorstellungen verbinden. Sonst bleibt es
bei der bloßen Illustration, und damit ist für die Belebung der Anschauung
zu wenig gewonnen. Die Erkenntnis des Werdens schürft den Blick mehr
als die Betrachtung des Gewordnen. Bei Homer hat der Schüler die Burg-
bauten von Troia, Mykenä und Tiryns, in der Geschichte die Tempelbauten
der Akropolis kennen lernen; die Kluft der Jahrhunderte zwischen den An¬
fängen und dem Gipfel der Kunst muß durch einige Zwischenglieder über¬
brückt werden: im Anccktenhaus ist die Blüte des griechischen Tempels, des
Wohnhauses der Gottheit, gleichsam in der Knospe enthalten, aus dem ein¬
fachsten Grundriß entfaltet sich die reiche Mannichfaltigkeit des säulengetragnen
Giebeltempels; für den Aufbau des Tempels zeigen einige Abbildungen die
Entwicklung, die von den schweren und wuchtigen Verhältnissen der alten
Zeit zu der ernsten Schönheit des Parthenon und der leichten und gefälligen
Erscheinung jüngerer Bauten führt. Ebenso treten jetzt zu den dem Schüler
schon vertrauten Schöpfungen der Blütezeit der griechischen Plastik Werke des
Archaismus und Arbeiten der spätern Zeit. Die Entwicklung der Kunst wird
dem Schüler am leichtesten verständlich in der Auffassung und Wiedergabe
einer einzelnen göttlichen Gestalt, zum Beispiel der Hera (Maske von Olympia,
farnesischer Kopf, Juno Ludovisi, Hera Pentini). Auch die Typen der Athena,
des Zeus, Hermes, Dionysos und andrer Götter sind für eine solche Be¬
trachtung geeignet. Oder man verfolgt den Fortschritt in der Bildung des
männlichen Körpers, von den alten "Apollonen" an über Mhrons Diskobvl
und die Ephebenstatuen Polyklets bis zu Praxiteles und Lysipp herab. Leicht
faßlich ist auch der Unterschied zwischen dem ältern, strengern und dem jüngern,
malerischen Relief.

Wie weit sich der Unterricht ins einzelne erstrecken und ob er sich uns die


Archäologie nötig haben, nur bei Homer und Ovid wird eine Wiederholung
und Ergänzung der mythologischen Bilder nützlich sein. Eine wichtige For¬
derung aber ist, daß schon in den untern Klassen nur das beste in guten Ab¬
bildungen vorgezeigt werde. Die jüngern Schüler sollen zur Schulung des
Auges die Schöpfungen der Blütezeit griechischer Kunst und die großartigsten
Werke des kaiserlichen Roms kennen lernen, gleichsam das Alphabet, mit dem
sie später auch andre Zeiten verstehen werden.

In den höhern Klassen darf man natürlich höhere Anforderungen stellen.
Nachdem das Auge des Schülers an einer nicht zu kleinen Anzahl klassischer
Bauten und Bildwerke geschult worden ist, müssen die bisher gewonnenen
Vorstellungen durch neue bereichert und erweitert und zu dem Gesamtbilde
der Entwicklung der griechisch-römischen Kunst vereinigt werden. Ohne daß
ein eigentlicher kunstgeschichtlicher Unterricht stattfindet, soll der Schüler schlie߬
lich mit den Begriffen ältere oder archaische Kunst, Phidias und Polyklet,
Praxiteles, Lysipp, Kunst der Diadochenzeit, Kunst der frühern und der spätern
Kaiserherrschaft gewisse, bestimmte Vorstellungen verbinden. Sonst bleibt es
bei der bloßen Illustration, und damit ist für die Belebung der Anschauung
zu wenig gewonnen. Die Erkenntnis des Werdens schürft den Blick mehr
als die Betrachtung des Gewordnen. Bei Homer hat der Schüler die Burg-
bauten von Troia, Mykenä und Tiryns, in der Geschichte die Tempelbauten
der Akropolis kennen lernen; die Kluft der Jahrhunderte zwischen den An¬
fängen und dem Gipfel der Kunst muß durch einige Zwischenglieder über¬
brückt werden: im Anccktenhaus ist die Blüte des griechischen Tempels, des
Wohnhauses der Gottheit, gleichsam in der Knospe enthalten, aus dem ein¬
fachsten Grundriß entfaltet sich die reiche Mannichfaltigkeit des säulengetragnen
Giebeltempels; für den Aufbau des Tempels zeigen einige Abbildungen die
Entwicklung, die von den schweren und wuchtigen Verhältnissen der alten
Zeit zu der ernsten Schönheit des Parthenon und der leichten und gefälligen
Erscheinung jüngerer Bauten führt. Ebenso treten jetzt zu den dem Schüler
schon vertrauten Schöpfungen der Blütezeit der griechischen Plastik Werke des
Archaismus und Arbeiten der spätern Zeit. Die Entwicklung der Kunst wird
dem Schüler am leichtesten verständlich in der Auffassung und Wiedergabe
einer einzelnen göttlichen Gestalt, zum Beispiel der Hera (Maske von Olympia,
farnesischer Kopf, Juno Ludovisi, Hera Pentini). Auch die Typen der Athena,
des Zeus, Hermes, Dionysos und andrer Götter sind für eine solche Be¬
trachtung geeignet. Oder man verfolgt den Fortschritt in der Bildung des
männlichen Körpers, von den alten „Apollonen" an über Mhrons Diskobvl
und die Ephebenstatuen Polyklets bis zu Praxiteles und Lysipp herab. Leicht
faßlich ist auch der Unterschied zwischen dem ältern, strengern und dem jüngern,
malerischen Relief.

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[0236] Archäologie nötig haben, nur bei Homer und Ovid wird eine Wiederholung und Ergänzung der mythologischen Bilder nützlich sein. Eine wichtige For¬ derung aber ist, daß schon in den untern Klassen nur das beste in guten Ab¬ bildungen vorgezeigt werde. Die jüngern Schüler sollen zur Schulung des Auges die Schöpfungen der Blütezeit griechischer Kunst und die großartigsten Werke des kaiserlichen Roms kennen lernen, gleichsam das Alphabet, mit dem sie später auch andre Zeiten verstehen werden. In den höhern Klassen darf man natürlich höhere Anforderungen stellen. Nachdem das Auge des Schülers an einer nicht zu kleinen Anzahl klassischer Bauten und Bildwerke geschult worden ist, müssen die bisher gewonnenen Vorstellungen durch neue bereichert und erweitert und zu dem Gesamtbilde der Entwicklung der griechisch-römischen Kunst vereinigt werden. Ohne daß ein eigentlicher kunstgeschichtlicher Unterricht stattfindet, soll der Schüler schlie߬ lich mit den Begriffen ältere oder archaische Kunst, Phidias und Polyklet, Praxiteles, Lysipp, Kunst der Diadochenzeit, Kunst der frühern und der spätern Kaiserherrschaft gewisse, bestimmte Vorstellungen verbinden. Sonst bleibt es bei der bloßen Illustration, und damit ist für die Belebung der Anschauung zu wenig gewonnen. Die Erkenntnis des Werdens schürft den Blick mehr als die Betrachtung des Gewordnen. Bei Homer hat der Schüler die Burg- bauten von Troia, Mykenä und Tiryns, in der Geschichte die Tempelbauten der Akropolis kennen lernen; die Kluft der Jahrhunderte zwischen den An¬ fängen und dem Gipfel der Kunst muß durch einige Zwischenglieder über¬ brückt werden: im Anccktenhaus ist die Blüte des griechischen Tempels, des Wohnhauses der Gottheit, gleichsam in der Knospe enthalten, aus dem ein¬ fachsten Grundriß entfaltet sich die reiche Mannichfaltigkeit des säulengetragnen Giebeltempels; für den Aufbau des Tempels zeigen einige Abbildungen die Entwicklung, die von den schweren und wuchtigen Verhältnissen der alten Zeit zu der ernsten Schönheit des Parthenon und der leichten und gefälligen Erscheinung jüngerer Bauten führt. Ebenso treten jetzt zu den dem Schüler schon vertrauten Schöpfungen der Blütezeit der griechischen Plastik Werke des Archaismus und Arbeiten der spätern Zeit. Die Entwicklung der Kunst wird dem Schüler am leichtesten verständlich in der Auffassung und Wiedergabe einer einzelnen göttlichen Gestalt, zum Beispiel der Hera (Maske von Olympia, farnesischer Kopf, Juno Ludovisi, Hera Pentini). Auch die Typen der Athena, des Zeus, Hermes, Dionysos und andrer Götter sind für eine solche Be¬ trachtung geeignet. Oder man verfolgt den Fortschritt in der Bildung des männlichen Körpers, von den alten „Apollonen" an über Mhrons Diskobvl und die Ephebenstatuen Polyklets bis zu Praxiteles und Lysipp herab. Leicht faßlich ist auch der Unterschied zwischen dem ältern, strengern und dem jüngern, malerischen Relief. Wie weit sich der Unterricht ins einzelne erstrecken und ob er sich uns die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/236>, abgerufen am 22.12.2024.