Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Albrecht von Roon

Thronfolgers, zu werden, weil ihm seine Hauptbedingung, die Entfernung vom
Hofe, nicht zugestanden worden war. Eben diese rückhaltlose Ehrlichkeit hatte
ihm das Vertrauen des Vaters ganz besonders gewonnen. Der Prinz zeichnete
Roon schon während des badischen Feldzugs bei jeder Gelegenheit aus, ob¬
wohl dieser, wie er schreibt, sich gar nicht höfisch, sondern immer "stramm,
männlich, ehrerbietig" hielt. Die nächste Zeit knüpfte diese Beziehungen noch
enger. Der Prinz, dessen entschloßner Charakter allerdings von schwächlicher
Nachgiebigkeit nichts wußte, war deshalb damals so gründlich unpopulär, daß
die Regierung es für zweckmäßig fand, ihn vorläufig von Berlin entfernt zu
halten. Nach der Heimkehr vom badischen Feldzuge nahm er daher als
Generalgouverueur von Rheinland und Westfalen seinen Sitz im Schlosse von
Koblenz. Seine Entfremdung vom Hofe wuchs, als Preußen unter dein
Ministerium Manteuffel in der kurhessischen wie in der schleswigholsteinischen
Sache vor den österreichischen und russischen Drohungen schwächlich zurückwich
und nach Olmütz ging. Als sich die Minister im November 1850 im ent¬
schiedensten Widersprüche mit dem Prinzen gegen den Krieg erklärten und
der Kriegsminister, General von Stockhausen, sogar Zweifel äußerte, ob sich
die Armee gegen Osterreich schlagen würde, da fuhr der Prinz heftig auf, eilte
hinaus und sagte schluchzend zu seinem Adjutanten: "Es ist alles verloren;
mit den Männern da drinnen ist nichts zu macheu." Er hatte Recht; mit
den Männern der blinden Reaktion, die aus Furcht vor dem Gespenste der
Revolution lieber den Staat der ärgsten Entwürdigung aussetzten, konnte ein
Prinz Wilhelm niemals gehen. Aber in Koblenz bildete sich um ihn jener
Kreis trefflicher Männer, die zunächst in stiller Opposition gegen die Macht¬
haber des Tages verharrten, in sich aber im beständigen, lebhaften Verkehr
die einfach-großen Gedanken entwickelten, die eine neue Zeit heraufführen sollten,
bis sie endlich das Nuder ergriffen, um sie durchzusetzen. Da waren der
General von Griesheim, der Kommandant von Koblenz, der Oberstleutnant
Fischer, der damalige militärische Begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm in
Bonn, später Jngenieurinspekteur in Koblenz, G. von Alvensleben, der per¬
sönliche Adjutant des Prinzen von Preußen, und endlich Roon. Sie alle
waren einig in der Verurteilung der schlaffen und schwankenden Haltung der
Regierung nach außen, einig in ihren politisch-militärischen Ansichten, einig
in ihren Zielen. Der badische Feldzug und die Mvbilisirung von 1850 hatten
zum erstenmale schwere Mängel der preußischen Heereseiurichtungen ans Licht
gestellt. Es fehlte nicht nur an jeder Organisation des Trains, des Sanitäts¬
und des Verpflegungsdienstes im Frieden, sondern vor allem war der Präsenz¬
stand, weil man seit 1814 aus übel angebrachter Sparsamkeit die Zahl der
jährlich eingestellten Rekruten (vierzigtausend) beibehalten hatte, obwohl die
Bevölkerung von zehn auf sechzehn Millionen gewachsen war, viel zu schwach,
er betrug noch 18Is4 nur 138 000 Manu, während Frankreich bei einer Volks-


Albrecht von Roon

Thronfolgers, zu werden, weil ihm seine Hauptbedingung, die Entfernung vom
Hofe, nicht zugestanden worden war. Eben diese rückhaltlose Ehrlichkeit hatte
ihm das Vertrauen des Vaters ganz besonders gewonnen. Der Prinz zeichnete
Roon schon während des badischen Feldzugs bei jeder Gelegenheit aus, ob¬
wohl dieser, wie er schreibt, sich gar nicht höfisch, sondern immer „stramm,
männlich, ehrerbietig" hielt. Die nächste Zeit knüpfte diese Beziehungen noch
enger. Der Prinz, dessen entschloßner Charakter allerdings von schwächlicher
Nachgiebigkeit nichts wußte, war deshalb damals so gründlich unpopulär, daß
die Regierung es für zweckmäßig fand, ihn vorläufig von Berlin entfernt zu
halten. Nach der Heimkehr vom badischen Feldzuge nahm er daher als
Generalgouverueur von Rheinland und Westfalen seinen Sitz im Schlosse von
Koblenz. Seine Entfremdung vom Hofe wuchs, als Preußen unter dein
Ministerium Manteuffel in der kurhessischen wie in der schleswigholsteinischen
Sache vor den österreichischen und russischen Drohungen schwächlich zurückwich
und nach Olmütz ging. Als sich die Minister im November 1850 im ent¬
schiedensten Widersprüche mit dem Prinzen gegen den Krieg erklärten und
der Kriegsminister, General von Stockhausen, sogar Zweifel äußerte, ob sich
die Armee gegen Osterreich schlagen würde, da fuhr der Prinz heftig auf, eilte
hinaus und sagte schluchzend zu seinem Adjutanten: „Es ist alles verloren;
mit den Männern da drinnen ist nichts zu macheu." Er hatte Recht; mit
den Männern der blinden Reaktion, die aus Furcht vor dem Gespenste der
Revolution lieber den Staat der ärgsten Entwürdigung aussetzten, konnte ein
Prinz Wilhelm niemals gehen. Aber in Koblenz bildete sich um ihn jener
Kreis trefflicher Männer, die zunächst in stiller Opposition gegen die Macht¬
haber des Tages verharrten, in sich aber im beständigen, lebhaften Verkehr
die einfach-großen Gedanken entwickelten, die eine neue Zeit heraufführen sollten,
bis sie endlich das Nuder ergriffen, um sie durchzusetzen. Da waren der
General von Griesheim, der Kommandant von Koblenz, der Oberstleutnant
Fischer, der damalige militärische Begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm in
Bonn, später Jngenieurinspekteur in Koblenz, G. von Alvensleben, der per¬
sönliche Adjutant des Prinzen von Preußen, und endlich Roon. Sie alle
waren einig in der Verurteilung der schlaffen und schwankenden Haltung der
Regierung nach außen, einig in ihren politisch-militärischen Ansichten, einig
in ihren Zielen. Der badische Feldzug und die Mvbilisirung von 1850 hatten
zum erstenmale schwere Mängel der preußischen Heereseiurichtungen ans Licht
gestellt. Es fehlte nicht nur an jeder Organisation des Trains, des Sanitäts¬
und des Verpflegungsdienstes im Frieden, sondern vor allem war der Präsenz¬
stand, weil man seit 1814 aus übel angebrachter Sparsamkeit die Zahl der
jährlich eingestellten Rekruten (vierzigtausend) beibehalten hatte, obwohl die
Bevölkerung von zehn auf sechzehn Millionen gewachsen war, viel zu schwach,
er betrug noch 18Is4 nur 138 000 Manu, während Frankreich bei einer Volks-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0228" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213342"/>
          <fw type="header" place="top"> Albrecht von Roon</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_670" prev="#ID_669" next="#ID_671"> Thronfolgers, zu werden, weil ihm seine Hauptbedingung, die Entfernung vom<lb/>
Hofe, nicht zugestanden worden war. Eben diese rückhaltlose Ehrlichkeit hatte<lb/>
ihm das Vertrauen des Vaters ganz besonders gewonnen. Der Prinz zeichnete<lb/>
Roon schon während des badischen Feldzugs bei jeder Gelegenheit aus, ob¬<lb/>
wohl dieser, wie er schreibt, sich gar nicht höfisch, sondern immer &#x201E;stramm,<lb/>
männlich, ehrerbietig" hielt.  Die nächste Zeit knüpfte diese Beziehungen noch<lb/>
enger.  Der Prinz, dessen entschloßner Charakter allerdings von schwächlicher<lb/>
Nachgiebigkeit nichts wußte, war deshalb damals so gründlich unpopulär, daß<lb/>
die Regierung es für zweckmäßig fand, ihn vorläufig von Berlin entfernt zu<lb/>
halten.  Nach der Heimkehr vom badischen Feldzuge nahm er daher als<lb/>
Generalgouverueur von Rheinland und Westfalen seinen Sitz im Schlosse von<lb/>
Koblenz. Seine Entfremdung vom Hofe wuchs, als Preußen unter dein<lb/>
Ministerium Manteuffel in der kurhessischen wie in der schleswigholsteinischen<lb/>
Sache vor den österreichischen und russischen Drohungen schwächlich zurückwich<lb/>
und nach Olmütz ging.  Als sich die Minister im November 1850 im ent¬<lb/>
schiedensten Widersprüche mit dem Prinzen gegen den Krieg erklärten und<lb/>
der Kriegsminister, General von Stockhausen, sogar Zweifel äußerte, ob sich<lb/>
die Armee gegen Osterreich schlagen würde, da fuhr der Prinz heftig auf, eilte<lb/>
hinaus und sagte schluchzend zu seinem Adjutanten: &#x201E;Es ist alles verloren;<lb/>
mit den Männern da drinnen ist nichts zu macheu."  Er hatte Recht; mit<lb/>
den Männern der blinden Reaktion, die aus Furcht vor dem Gespenste der<lb/>
Revolution lieber den Staat der ärgsten Entwürdigung aussetzten, konnte ein<lb/>
Prinz Wilhelm niemals gehen.  Aber in Koblenz bildete sich um ihn jener<lb/>
Kreis trefflicher Männer, die zunächst in stiller Opposition gegen die Macht¬<lb/>
haber des Tages verharrten, in sich aber im beständigen, lebhaften Verkehr<lb/>
die einfach-großen Gedanken entwickelten, die eine neue Zeit heraufführen sollten,<lb/>
bis sie endlich das Nuder ergriffen, um sie durchzusetzen.  Da waren der<lb/>
General von Griesheim, der Kommandant von Koblenz, der Oberstleutnant<lb/>
Fischer, der damalige militärische Begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm in<lb/>
Bonn, später Jngenieurinspekteur in Koblenz, G. von Alvensleben, der per¬<lb/>
sönliche Adjutant des Prinzen von Preußen, und endlich Roon.  Sie alle<lb/>
waren einig in der Verurteilung der schlaffen und schwankenden Haltung der<lb/>
Regierung nach außen, einig in ihren politisch-militärischen Ansichten, einig<lb/>
in ihren Zielen. Der badische Feldzug und die Mvbilisirung von 1850 hatten<lb/>
zum erstenmale schwere Mängel der preußischen Heereseiurichtungen ans Licht<lb/>
gestellt. Es fehlte nicht nur an jeder Organisation des Trains, des Sanitäts¬<lb/>
und des Verpflegungsdienstes im Frieden, sondern vor allem war der Präsenz¬<lb/>
stand, weil man seit 1814 aus übel angebrachter Sparsamkeit die Zahl der<lb/>
jährlich eingestellten Rekruten (vierzigtausend) beibehalten hatte, obwohl die<lb/>
Bevölkerung von zehn auf sechzehn Millionen gewachsen war, viel zu schwach,<lb/>
er betrug noch 18Is4 nur 138 000 Manu, während Frankreich bei einer Volks-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0228] Albrecht von Roon Thronfolgers, zu werden, weil ihm seine Hauptbedingung, die Entfernung vom Hofe, nicht zugestanden worden war. Eben diese rückhaltlose Ehrlichkeit hatte ihm das Vertrauen des Vaters ganz besonders gewonnen. Der Prinz zeichnete Roon schon während des badischen Feldzugs bei jeder Gelegenheit aus, ob¬ wohl dieser, wie er schreibt, sich gar nicht höfisch, sondern immer „stramm, männlich, ehrerbietig" hielt. Die nächste Zeit knüpfte diese Beziehungen noch enger. Der Prinz, dessen entschloßner Charakter allerdings von schwächlicher Nachgiebigkeit nichts wußte, war deshalb damals so gründlich unpopulär, daß die Regierung es für zweckmäßig fand, ihn vorläufig von Berlin entfernt zu halten. Nach der Heimkehr vom badischen Feldzuge nahm er daher als Generalgouverueur von Rheinland und Westfalen seinen Sitz im Schlosse von Koblenz. Seine Entfremdung vom Hofe wuchs, als Preußen unter dein Ministerium Manteuffel in der kurhessischen wie in der schleswigholsteinischen Sache vor den österreichischen und russischen Drohungen schwächlich zurückwich und nach Olmütz ging. Als sich die Minister im November 1850 im ent¬ schiedensten Widersprüche mit dem Prinzen gegen den Krieg erklärten und der Kriegsminister, General von Stockhausen, sogar Zweifel äußerte, ob sich die Armee gegen Osterreich schlagen würde, da fuhr der Prinz heftig auf, eilte hinaus und sagte schluchzend zu seinem Adjutanten: „Es ist alles verloren; mit den Männern da drinnen ist nichts zu macheu." Er hatte Recht; mit den Männern der blinden Reaktion, die aus Furcht vor dem Gespenste der Revolution lieber den Staat der ärgsten Entwürdigung aussetzten, konnte ein Prinz Wilhelm niemals gehen. Aber in Koblenz bildete sich um ihn jener Kreis trefflicher Männer, die zunächst in stiller Opposition gegen die Macht¬ haber des Tages verharrten, in sich aber im beständigen, lebhaften Verkehr die einfach-großen Gedanken entwickelten, die eine neue Zeit heraufführen sollten, bis sie endlich das Nuder ergriffen, um sie durchzusetzen. Da waren der General von Griesheim, der Kommandant von Koblenz, der Oberstleutnant Fischer, der damalige militärische Begleiter des Prinzen Friedrich Wilhelm in Bonn, später Jngenieurinspekteur in Koblenz, G. von Alvensleben, der per¬ sönliche Adjutant des Prinzen von Preußen, und endlich Roon. Sie alle waren einig in der Verurteilung der schlaffen und schwankenden Haltung der Regierung nach außen, einig in ihren politisch-militärischen Ansichten, einig in ihren Zielen. Der badische Feldzug und die Mvbilisirung von 1850 hatten zum erstenmale schwere Mängel der preußischen Heereseiurichtungen ans Licht gestellt. Es fehlte nicht nur an jeder Organisation des Trains, des Sanitäts¬ und des Verpflegungsdienstes im Frieden, sondern vor allem war der Präsenz¬ stand, weil man seit 1814 aus übel angebrachter Sparsamkeit die Zahl der jährlich eingestellten Rekruten (vierzigtausend) beibehalten hatte, obwohl die Bevölkerung von zehn auf sechzehn Millionen gewachsen war, viel zu schwach, er betrug noch 18Is4 nur 138 000 Manu, während Frankreich bei einer Volks-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/228
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/228>, abgerufen am 25.08.2024.