Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Albrecht veri' Roon

spruchs die erste Tagung des Vereinigten Landtags ohne eigentliche Frucht
verlaufen. Da nun Prinz Friedrich Karl, mit achtzehn Jahren volljährig
geworden, nach dem Hausgesetze Mitglied des Landtags und des Staatsrath
war, und der König, ohne Rücksicht auf den entgegengesetzten Willen des Vaters,
seine Teilnahme an diesen Verhandlungen befahl, so erhielt Roon vom Prinzen
von Preußen als dem ältesten der königlichen Prinzen durch ein ausführliches
Schreiben vom 11. Januar 1847, das erste, das er von dieser Hand empfing,
die gemessene Weisung, seinen Zögling im Sinne jener königlichen Auffassung
in die staatsrechtliche Lage einzuführen. Er hatte nachher die Genugthuung,
daß die Haltung des Prinzen im Staatsrat die Anerkennung feines fürstlichen
Oheims fand.

Der Ausbruch der Bewegung von 1848 führte den Prinzen eher, als
ursprünglich beabsichtigt war, nach Berlin und Potsdam zurück. Ihm folgte
Mitte März Roon, während seine Familie zunächst noch in Bonn blieb. Da
erlebte er nun in nächster Nähe in Potsdam die Märzrevolution. Sie kam
ihm so überraschend wie den meisten. Denn er war der Überzeugung, daß
der Kern der Berliner Bürgerschaft den Unruhen fern stehe, daß Sendlinge
aus Süddeutschland, Sachsen und Polen, "fremde Meuterer," und "eine Hand¬
voll Vagabunden" die eigentlichen Anstifter seien. Er fand daher, daß man
die Truppen viel zu schonend gebrauche und sie nur erbittere, weil man ihnen
nicht gestatte, ernsthaft vorzugehen, und dadurch die Meuterer nur ermutige.
Um so tiefer erschüttert ihn die Kunde vom Ausbruch des blutigen Straßen¬
kampfes am Nachmittage des 18. März. Stunde für Stunde kommen die
telegraphischen Meldungen nach Potsdam. Endlich berichten sie den Sieg der
Truppen, das Erlöschen des Aufruhrs. Welcher Eindruck daher, als die Nach¬
richt eintrifft, der König habe schwachmütig, nachgegeben, habe den Abzug des
siegreichen Militärs verfügt, habe sich selber der Bürgergarde anvertraut, habe
endlich am nächsten Tage unter der schwarzrotgvldncn Fahne, die auf den
Barrikaden geweht hatte, die Straßen seiner rebellischen Hauptstadt durchritten
und sein Haupt entblößt vor den Leichen der Mürzkämpfer, während die
Prinzen und Prinzessinnen des Königshauses flüchtig in Potsdam anlangen
und Prinz Wilhelm abgereist ist, man weiß nicht wohin. Zorn, Scham,
Trauer, Besorgnis durchflute" da Roons Seele. Im ersten Schrecken sieht
er das schlimmste kommen, den Sturz des Throns, die Republik; er steht
Posen verloren, den Krieg gegen die Revolution im Osten und im Westen.
Bald aber faßt er sich. Keine Rede davon, daß er die Sache der Krone ver¬
loren gegeben hätte, aber eben so wenig denkt er an Reaktion im gewöhnlichen
Sinne. Was der König einmal gewährt hat, das steht ihm unerschütterlich
fest. "Klagen und Grübeln ist jetzt nutzlos -- schreibt er schon am 20. März
der treuen Gattin --, jetzt gilt es, die Zähne zusammenzubeißen und sich
wiederzufinden in der neuen Lage der Dinge." Freilich fügt er hinzu: "Wenn


Albrecht veri' Roon

spruchs die erste Tagung des Vereinigten Landtags ohne eigentliche Frucht
verlaufen. Da nun Prinz Friedrich Karl, mit achtzehn Jahren volljährig
geworden, nach dem Hausgesetze Mitglied des Landtags und des Staatsrath
war, und der König, ohne Rücksicht auf den entgegengesetzten Willen des Vaters,
seine Teilnahme an diesen Verhandlungen befahl, so erhielt Roon vom Prinzen
von Preußen als dem ältesten der königlichen Prinzen durch ein ausführliches
Schreiben vom 11. Januar 1847, das erste, das er von dieser Hand empfing,
die gemessene Weisung, seinen Zögling im Sinne jener königlichen Auffassung
in die staatsrechtliche Lage einzuführen. Er hatte nachher die Genugthuung,
daß die Haltung des Prinzen im Staatsrat die Anerkennung feines fürstlichen
Oheims fand.

Der Ausbruch der Bewegung von 1848 führte den Prinzen eher, als
ursprünglich beabsichtigt war, nach Berlin und Potsdam zurück. Ihm folgte
Mitte März Roon, während seine Familie zunächst noch in Bonn blieb. Da
erlebte er nun in nächster Nähe in Potsdam die Märzrevolution. Sie kam
ihm so überraschend wie den meisten. Denn er war der Überzeugung, daß
der Kern der Berliner Bürgerschaft den Unruhen fern stehe, daß Sendlinge
aus Süddeutschland, Sachsen und Polen, „fremde Meuterer," und „eine Hand¬
voll Vagabunden" die eigentlichen Anstifter seien. Er fand daher, daß man
die Truppen viel zu schonend gebrauche und sie nur erbittere, weil man ihnen
nicht gestatte, ernsthaft vorzugehen, und dadurch die Meuterer nur ermutige.
Um so tiefer erschüttert ihn die Kunde vom Ausbruch des blutigen Straßen¬
kampfes am Nachmittage des 18. März. Stunde für Stunde kommen die
telegraphischen Meldungen nach Potsdam. Endlich berichten sie den Sieg der
Truppen, das Erlöschen des Aufruhrs. Welcher Eindruck daher, als die Nach¬
richt eintrifft, der König habe schwachmütig, nachgegeben, habe den Abzug des
siegreichen Militärs verfügt, habe sich selber der Bürgergarde anvertraut, habe
endlich am nächsten Tage unter der schwarzrotgvldncn Fahne, die auf den
Barrikaden geweht hatte, die Straßen seiner rebellischen Hauptstadt durchritten
und sein Haupt entblößt vor den Leichen der Mürzkämpfer, während die
Prinzen und Prinzessinnen des Königshauses flüchtig in Potsdam anlangen
und Prinz Wilhelm abgereist ist, man weiß nicht wohin. Zorn, Scham,
Trauer, Besorgnis durchflute» da Roons Seele. Im ersten Schrecken sieht
er das schlimmste kommen, den Sturz des Throns, die Republik; er steht
Posen verloren, den Krieg gegen die Revolution im Osten und im Westen.
Bald aber faßt er sich. Keine Rede davon, daß er die Sache der Krone ver¬
loren gegeben hätte, aber eben so wenig denkt er an Reaktion im gewöhnlichen
Sinne. Was der König einmal gewährt hat, das steht ihm unerschütterlich
fest. „Klagen und Grübeln ist jetzt nutzlos — schreibt er schon am 20. März
der treuen Gattin —, jetzt gilt es, die Zähne zusammenzubeißen und sich
wiederzufinden in der neuen Lage der Dinge." Freilich fügt er hinzu: „Wenn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213340"/>
          <fw type="header" place="top"> Albrecht veri' Roon</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_665" prev="#ID_664"> spruchs die erste Tagung des Vereinigten Landtags ohne eigentliche Frucht<lb/>
verlaufen. Da nun Prinz Friedrich Karl, mit achtzehn Jahren volljährig<lb/>
geworden, nach dem Hausgesetze Mitglied des Landtags und des Staatsrath<lb/>
war, und der König, ohne Rücksicht auf den entgegengesetzten Willen des Vaters,<lb/>
seine Teilnahme an diesen Verhandlungen befahl, so erhielt Roon vom Prinzen<lb/>
von Preußen als dem ältesten der königlichen Prinzen durch ein ausführliches<lb/>
Schreiben vom 11. Januar 1847, das erste, das er von dieser Hand empfing,<lb/>
die gemessene Weisung, seinen Zögling im Sinne jener königlichen Auffassung<lb/>
in die staatsrechtliche Lage einzuführen. Er hatte nachher die Genugthuung,<lb/>
daß die Haltung des Prinzen im Staatsrat die Anerkennung feines fürstlichen<lb/>
Oheims fand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_666" next="#ID_667"> Der Ausbruch der Bewegung von 1848 führte den Prinzen eher, als<lb/>
ursprünglich beabsichtigt war, nach Berlin und Potsdam zurück. Ihm folgte<lb/>
Mitte März Roon, während seine Familie zunächst noch in Bonn blieb. Da<lb/>
erlebte er nun in nächster Nähe in Potsdam die Märzrevolution. Sie kam<lb/>
ihm so überraschend wie den meisten. Denn er war der Überzeugung, daß<lb/>
der Kern der Berliner Bürgerschaft den Unruhen fern stehe, daß Sendlinge<lb/>
aus Süddeutschland, Sachsen und Polen, &#x201E;fremde Meuterer," und &#x201E;eine Hand¬<lb/>
voll Vagabunden" die eigentlichen Anstifter seien. Er fand daher, daß man<lb/>
die Truppen viel zu schonend gebrauche und sie nur erbittere, weil man ihnen<lb/>
nicht gestatte, ernsthaft vorzugehen, und dadurch die Meuterer nur ermutige.<lb/>
Um so tiefer erschüttert ihn die Kunde vom Ausbruch des blutigen Straßen¬<lb/>
kampfes am Nachmittage des 18. März. Stunde für Stunde kommen die<lb/>
telegraphischen Meldungen nach Potsdam. Endlich berichten sie den Sieg der<lb/>
Truppen, das Erlöschen des Aufruhrs. Welcher Eindruck daher, als die Nach¬<lb/>
richt eintrifft, der König habe schwachmütig, nachgegeben, habe den Abzug des<lb/>
siegreichen Militärs verfügt, habe sich selber der Bürgergarde anvertraut, habe<lb/>
endlich am nächsten Tage unter der schwarzrotgvldncn Fahne, die auf den<lb/>
Barrikaden geweht hatte, die Straßen seiner rebellischen Hauptstadt durchritten<lb/>
und sein Haupt entblößt vor den Leichen der Mürzkämpfer, während die<lb/>
Prinzen und Prinzessinnen des Königshauses flüchtig in Potsdam anlangen<lb/>
und Prinz Wilhelm abgereist ist, man weiß nicht wohin. Zorn, Scham,<lb/>
Trauer, Besorgnis durchflute» da Roons Seele. Im ersten Schrecken sieht<lb/>
er das schlimmste kommen, den Sturz des Throns, die Republik; er steht<lb/>
Posen verloren, den Krieg gegen die Revolution im Osten und im Westen.<lb/>
Bald aber faßt er sich. Keine Rede davon, daß er die Sache der Krone ver¬<lb/>
loren gegeben hätte, aber eben so wenig denkt er an Reaktion im gewöhnlichen<lb/>
Sinne. Was der König einmal gewährt hat, das steht ihm unerschütterlich<lb/>
fest. &#x201E;Klagen und Grübeln ist jetzt nutzlos &#x2014; schreibt er schon am 20. März<lb/>
der treuen Gattin &#x2014;, jetzt gilt es, die Zähne zusammenzubeißen und sich<lb/>
wiederzufinden in der neuen Lage der Dinge." Freilich fügt er hinzu: &#x201E;Wenn</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] Albrecht veri' Roon spruchs die erste Tagung des Vereinigten Landtags ohne eigentliche Frucht verlaufen. Da nun Prinz Friedrich Karl, mit achtzehn Jahren volljährig geworden, nach dem Hausgesetze Mitglied des Landtags und des Staatsrath war, und der König, ohne Rücksicht auf den entgegengesetzten Willen des Vaters, seine Teilnahme an diesen Verhandlungen befahl, so erhielt Roon vom Prinzen von Preußen als dem ältesten der königlichen Prinzen durch ein ausführliches Schreiben vom 11. Januar 1847, das erste, das er von dieser Hand empfing, die gemessene Weisung, seinen Zögling im Sinne jener königlichen Auffassung in die staatsrechtliche Lage einzuführen. Er hatte nachher die Genugthuung, daß die Haltung des Prinzen im Staatsrat die Anerkennung feines fürstlichen Oheims fand. Der Ausbruch der Bewegung von 1848 führte den Prinzen eher, als ursprünglich beabsichtigt war, nach Berlin und Potsdam zurück. Ihm folgte Mitte März Roon, während seine Familie zunächst noch in Bonn blieb. Da erlebte er nun in nächster Nähe in Potsdam die Märzrevolution. Sie kam ihm so überraschend wie den meisten. Denn er war der Überzeugung, daß der Kern der Berliner Bürgerschaft den Unruhen fern stehe, daß Sendlinge aus Süddeutschland, Sachsen und Polen, „fremde Meuterer," und „eine Hand¬ voll Vagabunden" die eigentlichen Anstifter seien. Er fand daher, daß man die Truppen viel zu schonend gebrauche und sie nur erbittere, weil man ihnen nicht gestatte, ernsthaft vorzugehen, und dadurch die Meuterer nur ermutige. Um so tiefer erschüttert ihn die Kunde vom Ausbruch des blutigen Straßen¬ kampfes am Nachmittage des 18. März. Stunde für Stunde kommen die telegraphischen Meldungen nach Potsdam. Endlich berichten sie den Sieg der Truppen, das Erlöschen des Aufruhrs. Welcher Eindruck daher, als die Nach¬ richt eintrifft, der König habe schwachmütig, nachgegeben, habe den Abzug des siegreichen Militärs verfügt, habe sich selber der Bürgergarde anvertraut, habe endlich am nächsten Tage unter der schwarzrotgvldncn Fahne, die auf den Barrikaden geweht hatte, die Straßen seiner rebellischen Hauptstadt durchritten und sein Haupt entblößt vor den Leichen der Mürzkämpfer, während die Prinzen und Prinzessinnen des Königshauses flüchtig in Potsdam anlangen und Prinz Wilhelm abgereist ist, man weiß nicht wohin. Zorn, Scham, Trauer, Besorgnis durchflute» da Roons Seele. Im ersten Schrecken sieht er das schlimmste kommen, den Sturz des Throns, die Republik; er steht Posen verloren, den Krieg gegen die Revolution im Osten und im Westen. Bald aber faßt er sich. Keine Rede davon, daß er die Sache der Krone ver¬ loren gegeben hätte, aber eben so wenig denkt er an Reaktion im gewöhnlichen Sinne. Was der König einmal gewährt hat, das steht ihm unerschütterlich fest. „Klagen und Grübeln ist jetzt nutzlos — schreibt er schon am 20. März der treuen Gattin —, jetzt gilt es, die Zähne zusammenzubeißen und sich wiederzufinden in der neuen Lage der Dinge." Freilich fügt er hinzu: „Wenn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/226>, abgerufen am 22.12.2024.