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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Lin amerikanischer Sozialist

andern Sinne gebraucht, den wir vielleicht gelegentlich einmal darlegen. John
Stuart Mill giebt sich viel Mühe, die Spartheorie in jenem gewöhnlichen
Sinne zu begründen, den die dentschfreisiunigen Priester des goldnen Kalbes
dem arbeitenden Volke so salbungsvoll zu predigen verstehen. Gleich darauf
zeigt er, daß der bei weitem größte Teil des Nationalkapitals alljährlich durch
Arbeit neu geschaffen wird, und daß nur ein ganz geringer Teil davon einen
Zeitraum von wenigen Jahren überdauert. Wir wünschten wohl das ver¬
dutzte Gesicht gesehen zu haben, mit dem er, sich besinnend, die Worte nieder¬
geschrieben haben muß: Dieser Umstand scheint freilich nicht für die Kapital¬
bildung durch Sparen zu sprechen! Ganz gewiß nicht! Was durch Sparen
gebildet wird, ist nicht Kapital, nicht Volksvermögen, sondern Knpitalanspruch.
Sparen ist nnr unter der Bedingung möglich, daß viele, daß die meisten nicht
Sparen. Der Sparprozeß verschiebt die Besitzansprüche an das vorhandne
Vvlksvermögen, dieses selbst aber läßt er unverändert. Wenn A nicht sein
ganzes Einkommen verbraucht, so kann der Nest nur unter der Bedingung
Kapital werden, daß ihn irgend ein V von A entlehnt. Dieser B wird
gewöhnlich ein Mensch sein, der mit seinem Einkommen nicht reicht, sei es,
daß er wirklich zum Leben nicht genug hat oder ein Verschwender ist; den
Fall produktiver Verwendung des Darlehns lassen wir der Einfachheit wegen
aus dem Spiele. Die nationale Gütermenge wird durch den Darlehens¬
vertrag weder vermehrt noch vermindert; seine Wirkung besteht nur darin,
daß sich B im Augenblick einen größern Teil dieser Gütermenge aneignen
kann, dasür aber dann alle Zukunft hindurch in der Güteraneignung beschränkt
ist, indem er alljährlich in Gestalt von Zinsen einen Teil seines Einkommens,
der ihm überwiesenen Anweisung auf Güter, an A oder dessen Erben abtreten
muß. Dieser kann nun nach Belieben entweder um diesen Betrag mehr ver¬
brauchen oder den Zins wieder zinsbringend anlegen und sich vorbehalten,
wann es ihm einmal passen wird, auf den nach seinen Ansprüchen gemessenen
Teil der nationalen Gütermasse Beschlag zu legen und ihn so den weniger
bemittelten Volksgenosse" zu sperren. Und so wenig der Sparer das Volks¬
vermögen vermehrt, so wenig vermindert es der Verschwender. Er vernichtet
nur Güter, die lediglich zu dem Zwecke, vernichtet zu werden, erzeugt werden.
Wenn niemand Champagner und niemand Brokat verbrauchte, so würden
diese Luxusartikel nicht hergestellt werden, und das Volksvcrmögen würde
um ihre Menge geringer sein. Indem der Verschwender diese Dinge ihrer
Bestimmung zuführt, erhält er die Produktion im Gange und macht sich um
die Volkswirtschaft verdient. Er mag sich selbst, er mag seine Familie, er
mag die Moral schädigen, das Volksvermögen schädigt er nicht. Nur in den
zwei Fallen richtet er volkswirtschaftlichen Schaden an, wenn er andrer Leute
Vermögen verbraucht und hierdurch deren Kanfkraft vernichtet, und wenn er
zugleich eine Müßiggänger ist, also zum jährlichen Nationalprodntt nichts oder


Lin amerikanischer Sozialist

andern Sinne gebraucht, den wir vielleicht gelegentlich einmal darlegen. John
Stuart Mill giebt sich viel Mühe, die Spartheorie in jenem gewöhnlichen
Sinne zu begründen, den die dentschfreisiunigen Priester des goldnen Kalbes
dem arbeitenden Volke so salbungsvoll zu predigen verstehen. Gleich darauf
zeigt er, daß der bei weitem größte Teil des Nationalkapitals alljährlich durch
Arbeit neu geschaffen wird, und daß nur ein ganz geringer Teil davon einen
Zeitraum von wenigen Jahren überdauert. Wir wünschten wohl das ver¬
dutzte Gesicht gesehen zu haben, mit dem er, sich besinnend, die Worte nieder¬
geschrieben haben muß: Dieser Umstand scheint freilich nicht für die Kapital¬
bildung durch Sparen zu sprechen! Ganz gewiß nicht! Was durch Sparen
gebildet wird, ist nicht Kapital, nicht Volksvermögen, sondern Knpitalanspruch.
Sparen ist nnr unter der Bedingung möglich, daß viele, daß die meisten nicht
Sparen. Der Sparprozeß verschiebt die Besitzansprüche an das vorhandne
Vvlksvermögen, dieses selbst aber läßt er unverändert. Wenn A nicht sein
ganzes Einkommen verbraucht, so kann der Nest nur unter der Bedingung
Kapital werden, daß ihn irgend ein V von A entlehnt. Dieser B wird
gewöhnlich ein Mensch sein, der mit seinem Einkommen nicht reicht, sei es,
daß er wirklich zum Leben nicht genug hat oder ein Verschwender ist; den
Fall produktiver Verwendung des Darlehns lassen wir der Einfachheit wegen
aus dem Spiele. Die nationale Gütermenge wird durch den Darlehens¬
vertrag weder vermehrt noch vermindert; seine Wirkung besteht nur darin,
daß sich B im Augenblick einen größern Teil dieser Gütermenge aneignen
kann, dasür aber dann alle Zukunft hindurch in der Güteraneignung beschränkt
ist, indem er alljährlich in Gestalt von Zinsen einen Teil seines Einkommens,
der ihm überwiesenen Anweisung auf Güter, an A oder dessen Erben abtreten
muß. Dieser kann nun nach Belieben entweder um diesen Betrag mehr ver¬
brauchen oder den Zins wieder zinsbringend anlegen und sich vorbehalten,
wann es ihm einmal passen wird, auf den nach seinen Ansprüchen gemessenen
Teil der nationalen Gütermasse Beschlag zu legen und ihn so den weniger
bemittelten Volksgenosse» zu sperren. Und so wenig der Sparer das Volks¬
vermögen vermehrt, so wenig vermindert es der Verschwender. Er vernichtet
nur Güter, die lediglich zu dem Zwecke, vernichtet zu werden, erzeugt werden.
Wenn niemand Champagner und niemand Brokat verbrauchte, so würden
diese Luxusartikel nicht hergestellt werden, und das Volksvcrmögen würde
um ihre Menge geringer sein. Indem der Verschwender diese Dinge ihrer
Bestimmung zuführt, erhält er die Produktion im Gange und macht sich um
die Volkswirtschaft verdient. Er mag sich selbst, er mag seine Familie, er
mag die Moral schädigen, das Volksvermögen schädigt er nicht. Nur in den
zwei Fallen richtet er volkswirtschaftlichen Schaden an, wenn er andrer Leute
Vermögen verbraucht und hierdurch deren Kanfkraft vernichtet, und wenn er
zugleich eine Müßiggänger ist, also zum jährlichen Nationalprodntt nichts oder


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[0021] Lin amerikanischer Sozialist andern Sinne gebraucht, den wir vielleicht gelegentlich einmal darlegen. John Stuart Mill giebt sich viel Mühe, die Spartheorie in jenem gewöhnlichen Sinne zu begründen, den die dentschfreisiunigen Priester des goldnen Kalbes dem arbeitenden Volke so salbungsvoll zu predigen verstehen. Gleich darauf zeigt er, daß der bei weitem größte Teil des Nationalkapitals alljährlich durch Arbeit neu geschaffen wird, und daß nur ein ganz geringer Teil davon einen Zeitraum von wenigen Jahren überdauert. Wir wünschten wohl das ver¬ dutzte Gesicht gesehen zu haben, mit dem er, sich besinnend, die Worte nieder¬ geschrieben haben muß: Dieser Umstand scheint freilich nicht für die Kapital¬ bildung durch Sparen zu sprechen! Ganz gewiß nicht! Was durch Sparen gebildet wird, ist nicht Kapital, nicht Volksvermögen, sondern Knpitalanspruch. Sparen ist nnr unter der Bedingung möglich, daß viele, daß die meisten nicht Sparen. Der Sparprozeß verschiebt die Besitzansprüche an das vorhandne Vvlksvermögen, dieses selbst aber läßt er unverändert. Wenn A nicht sein ganzes Einkommen verbraucht, so kann der Nest nur unter der Bedingung Kapital werden, daß ihn irgend ein V von A entlehnt. Dieser B wird gewöhnlich ein Mensch sein, der mit seinem Einkommen nicht reicht, sei es, daß er wirklich zum Leben nicht genug hat oder ein Verschwender ist; den Fall produktiver Verwendung des Darlehns lassen wir der Einfachheit wegen aus dem Spiele. Die nationale Gütermenge wird durch den Darlehens¬ vertrag weder vermehrt noch vermindert; seine Wirkung besteht nur darin, daß sich B im Augenblick einen größern Teil dieser Gütermenge aneignen kann, dasür aber dann alle Zukunft hindurch in der Güteraneignung beschränkt ist, indem er alljährlich in Gestalt von Zinsen einen Teil seines Einkommens, der ihm überwiesenen Anweisung auf Güter, an A oder dessen Erben abtreten muß. Dieser kann nun nach Belieben entweder um diesen Betrag mehr ver¬ brauchen oder den Zins wieder zinsbringend anlegen und sich vorbehalten, wann es ihm einmal passen wird, auf den nach seinen Ansprüchen gemessenen Teil der nationalen Gütermasse Beschlag zu legen und ihn so den weniger bemittelten Volksgenosse» zu sperren. Und so wenig der Sparer das Volks¬ vermögen vermehrt, so wenig vermindert es der Verschwender. Er vernichtet nur Güter, die lediglich zu dem Zwecke, vernichtet zu werden, erzeugt werden. Wenn niemand Champagner und niemand Brokat verbrauchte, so würden diese Luxusartikel nicht hergestellt werden, und das Volksvcrmögen würde um ihre Menge geringer sein. Indem der Verschwender diese Dinge ihrer Bestimmung zuführt, erhält er die Produktion im Gange und macht sich um die Volkswirtschaft verdient. Er mag sich selbst, er mag seine Familie, er mag die Moral schädigen, das Volksvermögen schädigt er nicht. Nur in den zwei Fallen richtet er volkswirtschaftlichen Schaden an, wenn er andrer Leute Vermögen verbraucht und hierdurch deren Kanfkraft vernichtet, und wenn er zugleich eine Müßiggänger ist, also zum jährlichen Nationalprodntt nichts oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/21>, abgerufen am 03.07.2024.