Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Skandal, sei" Leben in einer solchen Spelnnke zu verbringen! -- Fräulein
Schmidt schloß ängstlich die Thür. -- Wie sehen Sie ans! Wollen Sie sich
mit aller Gewalt nnter die Erde bringe"? Wie können Sie es nur nnshalteu
in dieser Luft, in dieser Höhle, wo uicht ein Sonnenstrahl hereinbringt!

Er sah sich schnell im Zimmer um. Ans dem Tische stand etwas Brot,
Butter und Comet Beef, auch ein Spirituskocher, und daneben lag ein auf¬
geschlagnes Buch. Was treiben Sie denn da? fragte er.

Es ist der Beowulf, deu ich zu übersetzen versuche, erwiderte Luise etwas
eingeschüchtert. Ich kauu die Geschichte der englischen Sprache ohne Angel¬
sächsisch nicht verstehen.

Und dazu sperren Sie sich in diesen Käfig ein? Das ist wirklich eine
Unvernunft, die ihresgleichen sucht!

Luise wollte etwas erwidern, aber Kiwrre schnitt ihr das Wort ab und
s"gte: Ich verstehe! Sie wolle" sage". Ihre Mittel reichen nicht aus. Das
ist Unsinn! Sie sind krank -- reden Sie nicht, dagegen ist nichts einzuwenden.
Sie sind krank, das sieht man Ihren Augen und Ihrer Gesichtsfarbe an.
Lassen Sie mich doch ausreden! Sie haben mich um meinen Rat gebeten, und
den sollen Sie haben. Ehe wir weiter über Ihre Studien verhandeln, müssen
Sie vor allen Dingen gesund werden, ganz gesund. Zunächst weg mit dem
"Ngelsächstscheu Schmöker da! Dann müssen sie aus dieser Höhle fort, fort
"uff Land, in eine andre Luft, in gesunde Verhältnisse. Sie müssen Ihr
Gehirn und Ihre Nerven ruhen lassen.

Er griff in die Brusttasche: Hier haben Sie ein Billet nach Neudieten-
dvrf. Dort erwartet Sie ein Wagen, der Sie ans das Gut meines Bruders
bringen wird. Dort werden Sie den Sommer aushalten, dagegen ist gar
"indes einzuwenden, Sie werden aushalten! Ich habe Ihnen dort mei"e beiden
Zimmer im Giebel nach dem Walde angewiesen. Morgen früh fahren Sie
ab. um sechs Uhr, verstehen Sie? Morgen früh um sechs Uhr. Vergessen Sie
nicht, das Billet abstempeln zu lassen, und damit glückliche Reise!

Der Professor gab ihr die Hemd, sah sie noch einmal unter seinen bnschrgen
Augenbrauen halb ingrimmig halb freundlich an und verschwand dann aus
dem Zimmer.

Luise stand sprachlos dn. Sie war während der ganze Szene nicht aus
der Verlegenheit herausgekommen. Auf solchen Besuch war sie nicht vor¬
bereitet gewesen. Es sah so wenig ordentlich in ihrem Zimmer aus; das siel
ihr jetzt alles doppelt ans, und die Angst, der Professor könnte das bemerkt
habe" und in seiner Rücksichtslosigkeit darüber schelten, peinigte sie.

Nun war er fort, und sie stand noch immer mit dem Billet in der Hand
dn und wußte uicht. was sie von diesem Manne mit dem rauhen Wesen und
dem guten Herzen denken sollte. Dann setzte sie sich still in die Sofaecke und
hielt die Hände vors Gesicht. Demut und Freude, Verzagthett und Hoffnung.


Grenzboten IV 1802

ein Skandal, sei» Leben in einer solchen Spelnnke zu verbringen! — Fräulein
Schmidt schloß ängstlich die Thür. — Wie sehen Sie ans! Wollen Sie sich
mit aller Gewalt nnter die Erde bringe»? Wie können Sie es nur nnshalteu
in dieser Luft, in dieser Höhle, wo uicht ein Sonnenstrahl hereinbringt!

Er sah sich schnell im Zimmer um. Ans dem Tische stand etwas Brot,
Butter und Comet Beef, auch ein Spirituskocher, und daneben lag ein auf¬
geschlagnes Buch. Was treiben Sie denn da? fragte er.

Es ist der Beowulf, deu ich zu übersetzen versuche, erwiderte Luise etwas
eingeschüchtert. Ich kauu die Geschichte der englischen Sprache ohne Angel¬
sächsisch nicht verstehen.

Und dazu sperren Sie sich in diesen Käfig ein? Das ist wirklich eine
Unvernunft, die ihresgleichen sucht!

Luise wollte etwas erwidern, aber Kiwrre schnitt ihr das Wort ab und
s"gte: Ich verstehe! Sie wolle» sage». Ihre Mittel reichen nicht aus. Das
ist Unsinn! Sie sind krank — reden Sie nicht, dagegen ist nichts einzuwenden.
Sie sind krank, das sieht man Ihren Augen und Ihrer Gesichtsfarbe an.
Lassen Sie mich doch ausreden! Sie haben mich um meinen Rat gebeten, und
den sollen Sie haben. Ehe wir weiter über Ihre Studien verhandeln, müssen
Sie vor allen Dingen gesund werden, ganz gesund. Zunächst weg mit dem
"Ngelsächstscheu Schmöker da! Dann müssen sie aus dieser Höhle fort, fort
"uff Land, in eine andre Luft, in gesunde Verhältnisse. Sie müssen Ihr
Gehirn und Ihre Nerven ruhen lassen.

Er griff in die Brusttasche: Hier haben Sie ein Billet nach Neudieten-
dvrf. Dort erwartet Sie ein Wagen, der Sie ans das Gut meines Bruders
bringen wird. Dort werden Sie den Sommer aushalten, dagegen ist gar
"indes einzuwenden, Sie werden aushalten! Ich habe Ihnen dort mei»e beiden
Zimmer im Giebel nach dem Walde angewiesen. Morgen früh fahren Sie
ab. um sechs Uhr, verstehen Sie? Morgen früh um sechs Uhr. Vergessen Sie
nicht, das Billet abstempeln zu lassen, und damit glückliche Reise!

Der Professor gab ihr die Hemd, sah sie noch einmal unter seinen bnschrgen
Augenbrauen halb ingrimmig halb freundlich an und verschwand dann aus
dem Zimmer.

Luise stand sprachlos dn. Sie war während der ganze Szene nicht aus
der Verlegenheit herausgekommen. Auf solchen Besuch war sie nicht vor¬
bereitet gewesen. Es sah so wenig ordentlich in ihrem Zimmer aus; das siel
ihr jetzt alles doppelt ans, und die Angst, der Professor könnte das bemerkt
habe» und in seiner Rücksichtslosigkeit darüber schelten, peinigte sie.

Nun war er fort, und sie stand noch immer mit dem Billet in der Hand
dn und wußte uicht. was sie von diesem Manne mit dem rauhen Wesen und
dem guten Herzen denken sollte. Dann setzte sie sich still in die Sofaecke und
hielt die Hände vors Gesicht. Demut und Freude, Verzagthett und Hoffnung.


Grenzboten IV 1802
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213307"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_566" prev="#ID_565"> ein Skandal, sei» Leben in einer solchen Spelnnke zu verbringen! &#x2014; Fräulein<lb/>
Schmidt schloß ängstlich die Thür. &#x2014; Wie sehen Sie ans! Wollen Sie sich<lb/>
mit aller Gewalt nnter die Erde bringe»? Wie können Sie es nur nnshalteu<lb/>
in dieser Luft, in dieser Höhle, wo uicht ein Sonnenstrahl hereinbringt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_567"> Er sah sich schnell im Zimmer um. Ans dem Tische stand etwas Brot,<lb/>
Butter und Comet Beef, auch ein Spirituskocher, und daneben lag ein auf¬<lb/>
geschlagnes Buch.  Was treiben Sie denn da? fragte er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_568"> Es ist der Beowulf, deu ich zu übersetzen versuche, erwiderte Luise etwas<lb/>
eingeschüchtert. Ich kauu die Geschichte der englischen Sprache ohne Angel¬<lb/>
sächsisch nicht verstehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_569"> Und dazu sperren Sie sich in diesen Käfig ein? Das ist wirklich eine<lb/>
Unvernunft, die ihresgleichen sucht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_570"> Luise wollte etwas erwidern, aber Kiwrre schnitt ihr das Wort ab und<lb/>
s"gte: Ich verstehe! Sie wolle» sage». Ihre Mittel reichen nicht aus. Das<lb/>
ist Unsinn! Sie sind krank &#x2014; reden Sie nicht, dagegen ist nichts einzuwenden.<lb/>
Sie sind krank, das sieht man Ihren Augen und Ihrer Gesichtsfarbe an.<lb/>
Lassen Sie mich doch ausreden! Sie haben mich um meinen Rat gebeten, und<lb/>
den sollen Sie haben. Ehe wir weiter über Ihre Studien verhandeln, müssen<lb/>
Sie vor allen Dingen gesund werden, ganz gesund. Zunächst weg mit dem<lb/>
"Ngelsächstscheu Schmöker da! Dann müssen sie aus dieser Höhle fort, fort<lb/>
"uff Land, in eine andre Luft, in gesunde Verhältnisse. Sie müssen Ihr<lb/>
Gehirn und Ihre Nerven ruhen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_571"> Er griff in die Brusttasche: Hier haben Sie ein Billet nach Neudieten-<lb/>
dvrf. Dort erwartet Sie ein Wagen, der Sie ans das Gut meines Bruders<lb/>
bringen wird. Dort werden Sie den Sommer aushalten, dagegen ist gar<lb/>
"indes einzuwenden, Sie werden aushalten! Ich habe Ihnen dort mei»e beiden<lb/>
Zimmer im Giebel nach dem Walde angewiesen. Morgen früh fahren Sie<lb/>
ab. um sechs Uhr, verstehen Sie? Morgen früh um sechs Uhr. Vergessen Sie<lb/>
nicht, das Billet abstempeln zu lassen, und damit glückliche Reise!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_572"> Der Professor gab ihr die Hemd, sah sie noch einmal unter seinen bnschrgen<lb/>
Augenbrauen halb ingrimmig halb freundlich an und verschwand dann aus<lb/>
dem Zimmer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_573"> Luise stand sprachlos dn. Sie war während der ganze Szene nicht aus<lb/>
der Verlegenheit herausgekommen. Auf solchen Besuch war sie nicht vor¬<lb/>
bereitet gewesen. Es sah so wenig ordentlich in ihrem Zimmer aus; das siel<lb/>
ihr jetzt alles doppelt ans, und die Angst, der Professor könnte das bemerkt<lb/>
habe» und in seiner Rücksichtslosigkeit darüber schelten, peinigte sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_574" next="#ID_575"> Nun war er fort, und sie stand noch immer mit dem Billet in der Hand<lb/>
dn und wußte uicht. was sie von diesem Manne mit dem rauhen Wesen und<lb/>
dem guten Herzen denken sollte. Dann setzte sie sich still in die Sofaecke und<lb/>
hielt die Hände vors Gesicht. Demut und Freude, Verzagthett und Hoffnung.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1802</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0193] ein Skandal, sei» Leben in einer solchen Spelnnke zu verbringen! — Fräulein Schmidt schloß ängstlich die Thür. — Wie sehen Sie ans! Wollen Sie sich mit aller Gewalt nnter die Erde bringe»? Wie können Sie es nur nnshalteu in dieser Luft, in dieser Höhle, wo uicht ein Sonnenstrahl hereinbringt! Er sah sich schnell im Zimmer um. Ans dem Tische stand etwas Brot, Butter und Comet Beef, auch ein Spirituskocher, und daneben lag ein auf¬ geschlagnes Buch. Was treiben Sie denn da? fragte er. Es ist der Beowulf, deu ich zu übersetzen versuche, erwiderte Luise etwas eingeschüchtert. Ich kauu die Geschichte der englischen Sprache ohne Angel¬ sächsisch nicht verstehen. Und dazu sperren Sie sich in diesen Käfig ein? Das ist wirklich eine Unvernunft, die ihresgleichen sucht! Luise wollte etwas erwidern, aber Kiwrre schnitt ihr das Wort ab und s"gte: Ich verstehe! Sie wolle» sage». Ihre Mittel reichen nicht aus. Das ist Unsinn! Sie sind krank — reden Sie nicht, dagegen ist nichts einzuwenden. Sie sind krank, das sieht man Ihren Augen und Ihrer Gesichtsfarbe an. Lassen Sie mich doch ausreden! Sie haben mich um meinen Rat gebeten, und den sollen Sie haben. Ehe wir weiter über Ihre Studien verhandeln, müssen Sie vor allen Dingen gesund werden, ganz gesund. Zunächst weg mit dem "Ngelsächstscheu Schmöker da! Dann müssen sie aus dieser Höhle fort, fort "uff Land, in eine andre Luft, in gesunde Verhältnisse. Sie müssen Ihr Gehirn und Ihre Nerven ruhen lassen. Er griff in die Brusttasche: Hier haben Sie ein Billet nach Neudieten- dvrf. Dort erwartet Sie ein Wagen, der Sie ans das Gut meines Bruders bringen wird. Dort werden Sie den Sommer aushalten, dagegen ist gar "indes einzuwenden, Sie werden aushalten! Ich habe Ihnen dort mei»e beiden Zimmer im Giebel nach dem Walde angewiesen. Morgen früh fahren Sie ab. um sechs Uhr, verstehen Sie? Morgen früh um sechs Uhr. Vergessen Sie nicht, das Billet abstempeln zu lassen, und damit glückliche Reise! Der Professor gab ihr die Hemd, sah sie noch einmal unter seinen bnschrgen Augenbrauen halb ingrimmig halb freundlich an und verschwand dann aus dem Zimmer. Luise stand sprachlos dn. Sie war während der ganze Szene nicht aus der Verlegenheit herausgekommen. Auf solchen Besuch war sie nicht vor¬ bereitet gewesen. Es sah so wenig ordentlich in ihrem Zimmer aus; das siel ihr jetzt alles doppelt ans, und die Angst, der Professor könnte das bemerkt habe» und in seiner Rücksichtslosigkeit darüber schelten, peinigte sie. Nun war er fort, und sie stand noch immer mit dem Billet in der Hand dn und wußte uicht. was sie von diesem Manne mit dem rauhen Wesen und dem guten Herzen denken sollte. Dann setzte sie sich still in die Sofaecke und hielt die Hände vors Gesicht. Demut und Freude, Verzagthett und Hoffnung. Grenzboten IV 1802

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/193
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/193>, abgerufen am 22.12.2024.