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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitätsleben

oder zu "ndrer Stunde wiederkomme. Ihre heutige Vorlesung führt mich
zu Ihnen. Sie haben uns darin nicht geschont, wahrhaftig nicht, aber heut¬
zutage, wo man es liebt, sich ernsthafte Dinge mit einem Spitzentuch voll
Lau cle ruills Kours wegzufächeln, ist es ein wahrer Genuß, kräftige, selbst
grobe Worte zu hören.

Der Professor saß unbeweglich in der Sofaecke, das Kochbuch in der
Hand, und starrte die Sprecherin an, ohne ein Wort zu sagen. Er hatte
eine eigentümliche Art, sich lästige Personen vom Halse zu schaffen. Er ließ
sie reden und reden, ohne sie zu unterbreche", ohne ihnen entgegenzukommen,
ohne einem unklaren oder unfertigen Gedanken mit dem richtigen Worte nach¬
zuhelfen. Er ließ sie ihr ganzes Garn abwickeln, bis sie damit zu Ende
waren und atemlos vor ihm standen, dann hatte er sie ganz in der Hand;
oder er ließ die Quälgeister sich ruhig in offenbaren Unsinn hineinschwatzen,
ohne sie darauf aufmerksam zu machen, bis sie sich in einen solchen Wirrwarr
von Phrasen, Wünschen, Annahmen und Behauptungen verwickelt hatten, daß
eine Verständigung überhaupt nicht mehr möglich war, und die Besucher ganz
verstört wieder abzogen. Draußen ärgerten sie sich dann wütend, nicht über
sich selber, was erklärlich gewesen wäre, sondern über den Professor und
schimpften auf feine Grobheit.

Dieses einfache Verfahren schien ihm nun auch gegen Fräulein Luise
Schmidt das einzig richtige. Er ließ sie reden. Als sie aber erzählte, es sei
ihr nicht möglich gewesen, die Entrüstung unter ihren Mitschwestern zu be¬
seitigen, sie Hütten sich alle entschlossen, die Vorlesungen des Professors nicht
wehr zu besuche", sprang Knorre auf und rief freudig überrascht: Ist das
Wahr? Hören Sie, eine beßre Nachricht konnten Sie mir nicht bringen. Die
geheimnisvolle Vase hat also gewirkt! Aber Sie -- was wollen Sie denn
nun noch, Fräulein Schmidt?

Ich? ich werde ruhig weiter zu Ihnen kommen, Herr Professor, und Ihre
Vorlesungen weiter hören.

Das können Sie nicht, das dürfen Sie nicht, rief Knorre, das verbietet
Ahnen der Korpsgeist!

Korpsgeist? Den giebts unter Frauen nicht. Sie sehen, Herr Professor,
ich bin in gewissem Sinne auch Weiberfeind. Ich kenne mein Geschlecht zu
genau. Wenns Korpsgeist unter ihnen gäbe, dann würden die einen nicht im
Elend verkommen und die andern im Überfluß prasseu. Ich gebe Ihnen im
Grunde ganz Recht. wir find ein klägliches Geschlecht. Es giebt unter uns
die dümmste" Kreaturen, aber auch einige gescheite, es giebt unter uns die
faulsten Geschöpfe, aber auch einige fleißige. Und wenn ich auf der Prome¬
nade eine Frau in der Karosse fahren sehe, wie sie dasitzt, zurückgelehnt, mit
halbgeschlossenen Augen, dumm, stumpfsinnig, hochnäsig und die beschäftigten
Menschen wie unangenehme Traumbilder an sich vorbeiziehen sieht, dann


Bilder aus dem Universitätsleben

oder zu «ndrer Stunde wiederkomme. Ihre heutige Vorlesung führt mich
zu Ihnen. Sie haben uns darin nicht geschont, wahrhaftig nicht, aber heut¬
zutage, wo man es liebt, sich ernsthafte Dinge mit einem Spitzentuch voll
Lau cle ruills Kours wegzufächeln, ist es ein wahrer Genuß, kräftige, selbst
grobe Worte zu hören.

Der Professor saß unbeweglich in der Sofaecke, das Kochbuch in der
Hand, und starrte die Sprecherin an, ohne ein Wort zu sagen. Er hatte
eine eigentümliche Art, sich lästige Personen vom Halse zu schaffen. Er ließ
sie reden und reden, ohne sie zu unterbreche«, ohne ihnen entgegenzukommen,
ohne einem unklaren oder unfertigen Gedanken mit dem richtigen Worte nach¬
zuhelfen. Er ließ sie ihr ganzes Garn abwickeln, bis sie damit zu Ende
waren und atemlos vor ihm standen, dann hatte er sie ganz in der Hand;
oder er ließ die Quälgeister sich ruhig in offenbaren Unsinn hineinschwatzen,
ohne sie darauf aufmerksam zu machen, bis sie sich in einen solchen Wirrwarr
von Phrasen, Wünschen, Annahmen und Behauptungen verwickelt hatten, daß
eine Verständigung überhaupt nicht mehr möglich war, und die Besucher ganz
verstört wieder abzogen. Draußen ärgerten sie sich dann wütend, nicht über
sich selber, was erklärlich gewesen wäre, sondern über den Professor und
schimpften auf feine Grobheit.

Dieses einfache Verfahren schien ihm nun auch gegen Fräulein Luise
Schmidt das einzig richtige. Er ließ sie reden. Als sie aber erzählte, es sei
ihr nicht möglich gewesen, die Entrüstung unter ihren Mitschwestern zu be¬
seitigen, sie Hütten sich alle entschlossen, die Vorlesungen des Professors nicht
wehr zu besuche», sprang Knorre auf und rief freudig überrascht: Ist das
Wahr? Hören Sie, eine beßre Nachricht konnten Sie mir nicht bringen. Die
geheimnisvolle Vase hat also gewirkt! Aber Sie — was wollen Sie denn
nun noch, Fräulein Schmidt?

Ich? ich werde ruhig weiter zu Ihnen kommen, Herr Professor, und Ihre
Vorlesungen weiter hören.

Das können Sie nicht, das dürfen Sie nicht, rief Knorre, das verbietet
Ahnen der Korpsgeist!

Korpsgeist? Den giebts unter Frauen nicht. Sie sehen, Herr Professor,
ich bin in gewissem Sinne auch Weiberfeind. Ich kenne mein Geschlecht zu
genau. Wenns Korpsgeist unter ihnen gäbe, dann würden die einen nicht im
Elend verkommen und die andern im Überfluß prasseu. Ich gebe Ihnen im
Grunde ganz Recht. wir find ein klägliches Geschlecht. Es giebt unter uns
die dümmste» Kreaturen, aber auch einige gescheite, es giebt unter uns die
faulsten Geschöpfe, aber auch einige fleißige. Und wenn ich auf der Prome¬
nade eine Frau in der Karosse fahren sehe, wie sie dasitzt, zurückgelehnt, mit
halbgeschlossenen Augen, dumm, stumpfsinnig, hochnäsig und die beschäftigten
Menschen wie unangenehme Traumbilder an sich vorbeiziehen sieht, dann


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[0187] Bilder aus dem Universitätsleben oder zu «ndrer Stunde wiederkomme. Ihre heutige Vorlesung führt mich zu Ihnen. Sie haben uns darin nicht geschont, wahrhaftig nicht, aber heut¬ zutage, wo man es liebt, sich ernsthafte Dinge mit einem Spitzentuch voll Lau cle ruills Kours wegzufächeln, ist es ein wahrer Genuß, kräftige, selbst grobe Worte zu hören. Der Professor saß unbeweglich in der Sofaecke, das Kochbuch in der Hand, und starrte die Sprecherin an, ohne ein Wort zu sagen. Er hatte eine eigentümliche Art, sich lästige Personen vom Halse zu schaffen. Er ließ sie reden und reden, ohne sie zu unterbreche«, ohne ihnen entgegenzukommen, ohne einem unklaren oder unfertigen Gedanken mit dem richtigen Worte nach¬ zuhelfen. Er ließ sie ihr ganzes Garn abwickeln, bis sie damit zu Ende waren und atemlos vor ihm standen, dann hatte er sie ganz in der Hand; oder er ließ die Quälgeister sich ruhig in offenbaren Unsinn hineinschwatzen, ohne sie darauf aufmerksam zu machen, bis sie sich in einen solchen Wirrwarr von Phrasen, Wünschen, Annahmen und Behauptungen verwickelt hatten, daß eine Verständigung überhaupt nicht mehr möglich war, und die Besucher ganz verstört wieder abzogen. Draußen ärgerten sie sich dann wütend, nicht über sich selber, was erklärlich gewesen wäre, sondern über den Professor und schimpften auf feine Grobheit. Dieses einfache Verfahren schien ihm nun auch gegen Fräulein Luise Schmidt das einzig richtige. Er ließ sie reden. Als sie aber erzählte, es sei ihr nicht möglich gewesen, die Entrüstung unter ihren Mitschwestern zu be¬ seitigen, sie Hütten sich alle entschlossen, die Vorlesungen des Professors nicht wehr zu besuche», sprang Knorre auf und rief freudig überrascht: Ist das Wahr? Hören Sie, eine beßre Nachricht konnten Sie mir nicht bringen. Die geheimnisvolle Vase hat also gewirkt! Aber Sie — was wollen Sie denn nun noch, Fräulein Schmidt? Ich? ich werde ruhig weiter zu Ihnen kommen, Herr Professor, und Ihre Vorlesungen weiter hören. Das können Sie nicht, das dürfen Sie nicht, rief Knorre, das verbietet Ahnen der Korpsgeist! Korpsgeist? Den giebts unter Frauen nicht. Sie sehen, Herr Professor, ich bin in gewissem Sinne auch Weiberfeind. Ich kenne mein Geschlecht zu genau. Wenns Korpsgeist unter ihnen gäbe, dann würden die einen nicht im Elend verkommen und die andern im Überfluß prasseu. Ich gebe Ihnen im Grunde ganz Recht. wir find ein klägliches Geschlecht. Es giebt unter uns die dümmste» Kreaturen, aber auch einige gescheite, es giebt unter uns die faulsten Geschöpfe, aber auch einige fleißige. Und wenn ich auf der Prome¬ nade eine Frau in der Karosse fahren sehe, wie sie dasitzt, zurückgelehnt, mit halbgeschlossenen Augen, dumm, stumpfsinnig, hochnäsig und die beschäftigten Menschen wie unangenehme Traumbilder an sich vorbeiziehen sieht, dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/187>, abgerufen am 22.12.2024.