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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Die nucitolische Bahn

Muhammedaner doppelt willkommen sind. Diese europäische Einwanderung
übt einen sehr günstigen Einfluß auf die einheimische Bevölkerung ans, da sie
auf höherer Kulturstufe steht. Ihre Ansiedlungen zeichnen sich durch Sauber¬
keit und eine gewisse Wohlhabenheit ans, ihre Felder, schreibt Goltz Pascha
in der Münchner Allgemeinen Zeitung, sind sorgfältiger bestellt als sonst in
der Umgegend. Im August dieses Jahres hat nun die Eisenbahngesellschaft
einen Vertrag mit der Pforte abgeschlossen, wodurch sie verpflichtet wird,
zwölftausend bulgarische Auswanderer zu befördern, die in der Umgegend von
Eskischehir und an andern Punkten der Bahn angesiedelt werden sollen. Dieser
Zuzug kann der Bahnverwaltung nur angenehm sein, denn dadurch wird die
Landeskultur und die Verkehrsentwickelung der Bahn noch mehr befördert.
Auch in Zukunft werden die aus den christlichen Balkanstaaten auswandernden
Muhammedaner der Bahn großen Nutzen bringen, denn diese Länder beherbergen
noch über eine Million Bekenner des Islam.

Wie mächtig könnte sich das Land erst entwickeln, wenn der deutsche
Landmann hier Einzug hielte und der Lehrmeister des türkischen Bauern würde!
Alle Kenner Kleinasiens stimmen darin überein, daß der Nordwesten, ganz
besonders aber der Südrand der großen Halbinsel nach Klima und Boden¬
beschaffenheit für europäische Kolonisation sehr geeignet wäre. Der deutsche
Ansiedler würde sicher hier schneller vorwärts kommen als in Palästina, Kau-
kasien, Brasilien und den Laplatastaaten.

Daß die cincitolische Bahn in ihrer Verlängerung bis Bagdad und Basra
eine große Zukunft hat, steht außer Zweifel; sie bildet den nächsten Landweg
genau in südöstlicher Richtung von Mitteleuropa über Wien und Konstantinopel
nach Indien, Ostasien, Ostafrika und Australien. Für die Türkei kann der
Bau geradezu eine Lebensfrage werden, deshalb erklärte ihn auch der General¬
stab für unaufschiebbar. Abgesehen von der militärischen Wichtigkeit jener
Linien, die sofort in die Augen springt, kann die Bahn aber auch dazu bei¬
tragen, das türkische Reich in Asien immer mehr zu festigen, denn es ist all¬
bekannt, daß es mit dem Ansehen des Sultans in Kurdistan und Mesopotamien
-- von Arabien wollen wir ganz schweigen -- bisher schlecht bestellt war.

Es ist sehr erfreulich, daß die deutschen Geldleute endlich aus ihrer
Zurückhaltung herausgetreten sind, und daß sie sich zu ihrer Thätigkeit ein
Feld gewählt haben, das große Zukunft hat. Mögen bald weitere Unter¬
nehmungen ins Leben treten, die unsrer Industrie und Handelswelt in gleicher
Weise nützen können, wie das Unternehmen der Deutschen Bank!




Die nucitolische Bahn

Muhammedaner doppelt willkommen sind. Diese europäische Einwanderung
übt einen sehr günstigen Einfluß auf die einheimische Bevölkerung ans, da sie
auf höherer Kulturstufe steht. Ihre Ansiedlungen zeichnen sich durch Sauber¬
keit und eine gewisse Wohlhabenheit ans, ihre Felder, schreibt Goltz Pascha
in der Münchner Allgemeinen Zeitung, sind sorgfältiger bestellt als sonst in
der Umgegend. Im August dieses Jahres hat nun die Eisenbahngesellschaft
einen Vertrag mit der Pforte abgeschlossen, wodurch sie verpflichtet wird,
zwölftausend bulgarische Auswanderer zu befördern, die in der Umgegend von
Eskischehir und an andern Punkten der Bahn angesiedelt werden sollen. Dieser
Zuzug kann der Bahnverwaltung nur angenehm sein, denn dadurch wird die
Landeskultur und die Verkehrsentwickelung der Bahn noch mehr befördert.
Auch in Zukunft werden die aus den christlichen Balkanstaaten auswandernden
Muhammedaner der Bahn großen Nutzen bringen, denn diese Länder beherbergen
noch über eine Million Bekenner des Islam.

Wie mächtig könnte sich das Land erst entwickeln, wenn der deutsche
Landmann hier Einzug hielte und der Lehrmeister des türkischen Bauern würde!
Alle Kenner Kleinasiens stimmen darin überein, daß der Nordwesten, ganz
besonders aber der Südrand der großen Halbinsel nach Klima und Boden¬
beschaffenheit für europäische Kolonisation sehr geeignet wäre. Der deutsche
Ansiedler würde sicher hier schneller vorwärts kommen als in Palästina, Kau-
kasien, Brasilien und den Laplatastaaten.

Daß die cincitolische Bahn in ihrer Verlängerung bis Bagdad und Basra
eine große Zukunft hat, steht außer Zweifel; sie bildet den nächsten Landweg
genau in südöstlicher Richtung von Mitteleuropa über Wien und Konstantinopel
nach Indien, Ostasien, Ostafrika und Australien. Für die Türkei kann der
Bau geradezu eine Lebensfrage werden, deshalb erklärte ihn auch der General¬
stab für unaufschiebbar. Abgesehen von der militärischen Wichtigkeit jener
Linien, die sofort in die Augen springt, kann die Bahn aber auch dazu bei¬
tragen, das türkische Reich in Asien immer mehr zu festigen, denn es ist all¬
bekannt, daß es mit dem Ansehen des Sultans in Kurdistan und Mesopotamien
— von Arabien wollen wir ganz schweigen — bisher schlecht bestellt war.

Es ist sehr erfreulich, daß die deutschen Geldleute endlich aus ihrer
Zurückhaltung herausgetreten sind, und daß sie sich zu ihrer Thätigkeit ein
Feld gewählt haben, das große Zukunft hat. Mögen bald weitere Unter¬
nehmungen ins Leben treten, die unsrer Industrie und Handelswelt in gleicher
Weise nützen können, wie das Unternehmen der Deutschen Bank!




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[0162] Die nucitolische Bahn Muhammedaner doppelt willkommen sind. Diese europäische Einwanderung übt einen sehr günstigen Einfluß auf die einheimische Bevölkerung ans, da sie auf höherer Kulturstufe steht. Ihre Ansiedlungen zeichnen sich durch Sauber¬ keit und eine gewisse Wohlhabenheit ans, ihre Felder, schreibt Goltz Pascha in der Münchner Allgemeinen Zeitung, sind sorgfältiger bestellt als sonst in der Umgegend. Im August dieses Jahres hat nun die Eisenbahngesellschaft einen Vertrag mit der Pforte abgeschlossen, wodurch sie verpflichtet wird, zwölftausend bulgarische Auswanderer zu befördern, die in der Umgegend von Eskischehir und an andern Punkten der Bahn angesiedelt werden sollen. Dieser Zuzug kann der Bahnverwaltung nur angenehm sein, denn dadurch wird die Landeskultur und die Verkehrsentwickelung der Bahn noch mehr befördert. Auch in Zukunft werden die aus den christlichen Balkanstaaten auswandernden Muhammedaner der Bahn großen Nutzen bringen, denn diese Länder beherbergen noch über eine Million Bekenner des Islam. Wie mächtig könnte sich das Land erst entwickeln, wenn der deutsche Landmann hier Einzug hielte und der Lehrmeister des türkischen Bauern würde! Alle Kenner Kleinasiens stimmen darin überein, daß der Nordwesten, ganz besonders aber der Südrand der großen Halbinsel nach Klima und Boden¬ beschaffenheit für europäische Kolonisation sehr geeignet wäre. Der deutsche Ansiedler würde sicher hier schneller vorwärts kommen als in Palästina, Kau- kasien, Brasilien und den Laplatastaaten. Daß die cincitolische Bahn in ihrer Verlängerung bis Bagdad und Basra eine große Zukunft hat, steht außer Zweifel; sie bildet den nächsten Landweg genau in südöstlicher Richtung von Mitteleuropa über Wien und Konstantinopel nach Indien, Ostasien, Ostafrika und Australien. Für die Türkei kann der Bau geradezu eine Lebensfrage werden, deshalb erklärte ihn auch der General¬ stab für unaufschiebbar. Abgesehen von der militärischen Wichtigkeit jener Linien, die sofort in die Augen springt, kann die Bahn aber auch dazu bei¬ tragen, das türkische Reich in Asien immer mehr zu festigen, denn es ist all¬ bekannt, daß es mit dem Ansehen des Sultans in Kurdistan und Mesopotamien — von Arabien wollen wir ganz schweigen — bisher schlecht bestellt war. Es ist sehr erfreulich, daß die deutschen Geldleute endlich aus ihrer Zurückhaltung herausgetreten sind, und daß sie sich zu ihrer Thätigkeit ein Feld gewählt haben, das große Zukunft hat. Mögen bald weitere Unter¬ nehmungen ins Leben treten, die unsrer Industrie und Handelswelt in gleicher Weise nützen können, wie das Unternehmen der Deutschen Bank!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/162>, abgerufen am 22.12.2024.