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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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gelesensten Zeitungen ein paar packende Geschichtchen. Herr Räuberhauptmann
Tiburzio, als Hauptvertreter einer verehrlichen Banditenzunft, beherrscht mit
seiner wohlorganisirten Bande jene Bezirke weit und breit. Städter, Bauern,
kleine und große Grundbesitzer zahlen ihm bestimmte Abgaben (einzelne Per¬
sonen nach ihren eignen Angaben bis 3500 Mark jährlich), und zwar nur,
um vor seinen Plünderungen sicher zu sein. Die souveräne Herrschaft dieses
Tiburzio geht so weit, daß er sich vor kurzem den Inspektor eines großen
Gutes, der mit fünfunddreißig Leuten auf dem Felde thätig war, aus dem
Kreise dieser fünfunddreißig herausholte, ihn vor den Augen der vor Schreck
erstarrten Menge erschoß und sich mit dem stolzen Zuruf: "So strafen wir
alle Spione!" empfahl.

Der zweite Fall ist noch packender, besonders in dem Nachspiel, das die
heillose Angst der Beteiligten zeigt. Man fand die Leiche des Vaters des
Bürgermeisters von Viguancllo, eines siebzigjährigen Mannes, gräßlich ver¬
stümmelt vor dein Thore der Stadt mit dem erklärenden Schreiben versehen,
"Tiburzio hat seines Amtes gewaltet an einem, der den Gendarmen den Weg
gezeigthat!" Als der angeführte Berichterstatter, seines Amtes waltend, diese
Thatsache an ein römisches Blatt telegraphirte, stürzte Tags darauf der Sohn
des Ermordeten, also der Bürgermeister von Viguauello, selbst zu ihm und
beschwor ihn bei Himmel und Erde, sofort alles telegraphisch zu widerrufen,
sonst wären sie alle Kinder des Todes. Und unser Berichterstatter -- wider¬
rief. Das heißt, nur nach Rom. An seine deutsche Zeitung erstattete er deu
wahrheitsgetreue" Bericht, wie er hier wiedergegeben ist.

Fragen wir: Wie haben sich solche Zustände dort erhalten können? so
lautet die Antwort: Italien hat keine fest und stramm disziplinirte Heeres -
macht, wie es unsre ans dem Volke heraus- und wieder in das Volk hinein¬
gewachsene ist. Das italienische Volk traut der Kraft und Macht seiner
Regierung weniger als jenen Banditenführern, deshalb der Respekt vor diesen
und die entschieden ablehnende Haltung gegen jene und ihre Organe in Ver¬
folgung der geschilderten Greuelszenen. Ja es gilt dort für geradezu ehren¬
rührig, der Gendarmerie bei ihrer schweren Arbeit irgendwie die Hand zu
bieten. Das Rechtsbewußtsein hat sich in den Köpfen jener Leute infolge der
geschilderten Verhältnisse vollständig verschoben. Die Regierung hat endlich,
nach deu neuesten Depeschen, einige Regimenter ihrer besten und sichersten
Truppen den Herren Briganten nachgeschickt -- vielleicht erreicht sie etwas,
vielleicht auch nur das, daß sich die Herrschaften einen andern Schauplatz für
ihre Thätigkeit suchen.

Glaubt man nun wirklich, daß die Menschen bei uns so ganz anders
geartet wären als da drüben? Wer das Bestreben der staatsfeindlichen Parteien
verfolgt, der weiß, daß wir ohne Staatsmacht, die in nichts anderm als in
einer festen, starken Heeresmacht liegt, vielleicht auf unteren Wege, aber jeden-


gelesensten Zeitungen ein paar packende Geschichtchen. Herr Räuberhauptmann
Tiburzio, als Hauptvertreter einer verehrlichen Banditenzunft, beherrscht mit
seiner wohlorganisirten Bande jene Bezirke weit und breit. Städter, Bauern,
kleine und große Grundbesitzer zahlen ihm bestimmte Abgaben (einzelne Per¬
sonen nach ihren eignen Angaben bis 3500 Mark jährlich), und zwar nur,
um vor seinen Plünderungen sicher zu sein. Die souveräne Herrschaft dieses
Tiburzio geht so weit, daß er sich vor kurzem den Inspektor eines großen
Gutes, der mit fünfunddreißig Leuten auf dem Felde thätig war, aus dem
Kreise dieser fünfunddreißig herausholte, ihn vor den Augen der vor Schreck
erstarrten Menge erschoß und sich mit dem stolzen Zuruf: „So strafen wir
alle Spione!" empfahl.

Der zweite Fall ist noch packender, besonders in dem Nachspiel, das die
heillose Angst der Beteiligten zeigt. Man fand die Leiche des Vaters des
Bürgermeisters von Viguancllo, eines siebzigjährigen Mannes, gräßlich ver¬
stümmelt vor dein Thore der Stadt mit dem erklärenden Schreiben versehen,
„Tiburzio hat seines Amtes gewaltet an einem, der den Gendarmen den Weg
gezeigthat!" Als der angeführte Berichterstatter, seines Amtes waltend, diese
Thatsache an ein römisches Blatt telegraphirte, stürzte Tags darauf der Sohn
des Ermordeten, also der Bürgermeister von Viguauello, selbst zu ihm und
beschwor ihn bei Himmel und Erde, sofort alles telegraphisch zu widerrufen,
sonst wären sie alle Kinder des Todes. Und unser Berichterstatter — wider¬
rief. Das heißt, nur nach Rom. An seine deutsche Zeitung erstattete er deu
wahrheitsgetreue» Bericht, wie er hier wiedergegeben ist.

Fragen wir: Wie haben sich solche Zustände dort erhalten können? so
lautet die Antwort: Italien hat keine fest und stramm disziplinirte Heeres -
macht, wie es unsre ans dem Volke heraus- und wieder in das Volk hinein¬
gewachsene ist. Das italienische Volk traut der Kraft und Macht seiner
Regierung weniger als jenen Banditenführern, deshalb der Respekt vor diesen
und die entschieden ablehnende Haltung gegen jene und ihre Organe in Ver¬
folgung der geschilderten Greuelszenen. Ja es gilt dort für geradezu ehren¬
rührig, der Gendarmerie bei ihrer schweren Arbeit irgendwie die Hand zu
bieten. Das Rechtsbewußtsein hat sich in den Köpfen jener Leute infolge der
geschilderten Verhältnisse vollständig verschoben. Die Regierung hat endlich,
nach deu neuesten Depeschen, einige Regimenter ihrer besten und sichersten
Truppen den Herren Briganten nachgeschickt — vielleicht erreicht sie etwas,
vielleicht auch nur das, daß sich die Herrschaften einen andern Schauplatz für
ihre Thätigkeit suchen.

Glaubt man nun wirklich, daß die Menschen bei uns so ganz anders
geartet wären als da drüben? Wer das Bestreben der staatsfeindlichen Parteien
verfolgt, der weiß, daß wir ohne Staatsmacht, die in nichts anderm als in
einer festen, starken Heeresmacht liegt, vielleicht auf unteren Wege, aber jeden-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/156>, abgerufen am 23.07.2024.