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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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aber eine desto größere Sympathie beanspruchen die zahlreichen Gäste, die wan¬
dern, um Arbeit zu suchen, und keine finden können, die wider Willen arbeits-
uud brotlos geworden sind, die in unerwünschte und unwillkommene Zwangs¬
ferien versetzt sind. Auch für sie haben freilich die Ferien auf der Landstraße
ihr Gutes. Hier wie in den Bädern hat die Zeit nicht den sonst vorausgesetzten
hohen Wert; in ihren Ferien haben auch die Zeit, die sonst niemals Zeit
haben. Arbeitgeber und "Arbeitnehmer" verlernen auf diese Weise einmal
das nervöse Hasten, die "Arbeitnehmer" allerdings unter dem lähmenden Druck
der Sorge um das liebe Brot. Der gräßliche Spruch aus dem Lande jenseits
der Nordsee mit der am höchsten entwickelten Industrie: liiruz is rnoiuz^ wird
einmal nichts geachtet, die Minuten sind nicht so kostbar, daß man aller
Augenblicke die Uhr zur Hand nehmen müßte. Es hat einen erfrischenden Ein¬
fluß auf Körper und Geist, daß man sich auf der Landstraße nur langsam
weiterbewegen kaun, indem man einen Fuß vor den andern setzt; es ist ein¬
mal etwas ganz andres als von früh bis spät in den dumpfen Räumen einer
Fabrik an der Maschine zu stehn und zu arbeiten und das Getriebe der Riemen
und Räder halb mechanisch anzustarren und die häßlichen Geräusche, das
surren und Sausen, Stampfen und Stoßen, Dröhnen und Stöhnen halb be¬
täubt anzuhören. Kein Wunder, daß besonders die jüngern Arbeiter oft den
unwiderstehlichen Drang nach Freiheit in sich spüren und ohne Ursache in
keckem Wagemut aufs Ungewisse fortziehn, froh, dem Räderwerk der ganzen
Riesenniaschinerie, die, um den erträumten Fortschritt der Gesamtheit zu be¬
wirken, den Einzelnen zum Sklaven macht, zu entrinnen. Hat denn Giusti so
Unrecht, wenn er meint: "Nie hat auf Erden sich zurecht gefunden, wer keine
Ader hat vom Vagabunden"?

Auf der Landstraße empfindet der aus dein Käfig entwischte Vogel einen wahren
Haß gegen alles, was schnell, was mit Dampf geht. So sehr er an den
eilenden Gang der Maschinen gewöhnt war, der ihn zu fortwährender reger
Aufmerksamkeit zwang, wenn er nicht eine Nummer in der Unfallstatistik werden
wollte, so schnell schickt er sich in die langsame, schrittweise vor sich gehende
Bewegung des Fußwauderns. Die Geschwindigkeit eines vorübersauseuden
Eisenbahnzuges, eines rasch fahrenden Wagens, eines Pferdes, eines Fahrrades
kann ihn ärgern. Nur immer langsam voran! So geht ein Extrem ins andre
über; Ruhe und Bedächtigkeit folgen auf Überarbeit und Überproduktion. Der
Haß gegen alles Schnelle kann in einem anarchistischen Kopfe Gedanken der
Zerstörung erzeugen: wie wäre es, wenn wir die Schienenwege zertrümmerten,
die Telegraphen umstürzten und die Maschinen in Stücke schlügen, sie, die


aber eine desto größere Sympathie beanspruchen die zahlreichen Gäste, die wan¬
dern, um Arbeit zu suchen, und keine finden können, die wider Willen arbeits-
uud brotlos geworden sind, die in unerwünschte und unwillkommene Zwangs¬
ferien versetzt sind. Auch für sie haben freilich die Ferien auf der Landstraße
ihr Gutes. Hier wie in den Bädern hat die Zeit nicht den sonst vorausgesetzten
hohen Wert; in ihren Ferien haben auch die Zeit, die sonst niemals Zeit
haben. Arbeitgeber und „Arbeitnehmer" verlernen auf diese Weise einmal
das nervöse Hasten, die „Arbeitnehmer" allerdings unter dem lähmenden Druck
der Sorge um das liebe Brot. Der gräßliche Spruch aus dem Lande jenseits
der Nordsee mit der am höchsten entwickelten Industrie: liiruz is rnoiuz^ wird
einmal nichts geachtet, die Minuten sind nicht so kostbar, daß man aller
Augenblicke die Uhr zur Hand nehmen müßte. Es hat einen erfrischenden Ein¬
fluß auf Körper und Geist, daß man sich auf der Landstraße nur langsam
weiterbewegen kaun, indem man einen Fuß vor den andern setzt; es ist ein¬
mal etwas ganz andres als von früh bis spät in den dumpfen Räumen einer
Fabrik an der Maschine zu stehn und zu arbeiten und das Getriebe der Riemen
und Räder halb mechanisch anzustarren und die häßlichen Geräusche, das
surren und Sausen, Stampfen und Stoßen, Dröhnen und Stöhnen halb be¬
täubt anzuhören. Kein Wunder, daß besonders die jüngern Arbeiter oft den
unwiderstehlichen Drang nach Freiheit in sich spüren und ohne Ursache in
keckem Wagemut aufs Ungewisse fortziehn, froh, dem Räderwerk der ganzen
Riesenniaschinerie, die, um den erträumten Fortschritt der Gesamtheit zu be¬
wirken, den Einzelnen zum Sklaven macht, zu entrinnen. Hat denn Giusti so
Unrecht, wenn er meint: „Nie hat auf Erden sich zurecht gefunden, wer keine
Ader hat vom Vagabunden"?

Auf der Landstraße empfindet der aus dein Käfig entwischte Vogel einen wahren
Haß gegen alles, was schnell, was mit Dampf geht. So sehr er an den
eilenden Gang der Maschinen gewöhnt war, der ihn zu fortwährender reger
Aufmerksamkeit zwang, wenn er nicht eine Nummer in der Unfallstatistik werden
wollte, so schnell schickt er sich in die langsame, schrittweise vor sich gehende
Bewegung des Fußwauderns. Die Geschwindigkeit eines vorübersauseuden
Eisenbahnzuges, eines rasch fahrenden Wagens, eines Pferdes, eines Fahrrades
kann ihn ärgern. Nur immer langsam voran! So geht ein Extrem ins andre
über; Ruhe und Bedächtigkeit folgen auf Überarbeit und Überproduktion. Der
Haß gegen alles Schnelle kann in einem anarchistischen Kopfe Gedanken der
Zerstörung erzeugen: wie wäre es, wenn wir die Schienenwege zertrümmerten,
die Telegraphen umstürzten und die Maschinen in Stücke schlügen, sie, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/142>, abgerufen am 22.12.2024.