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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lin rettender Gedanke

Abrichtungsanstalt für Journalisten, nicht fehlen, und ich wäre bereit, sofort
für diese einen Lehrplan auszuarbeiten. Kommen wird es zu dieser Ein¬
richtung, darauf können wir uns verlassen, und ich will mir für den Fall
nur die Priorität wahren.

So oft ich ein Zeitungsblatt der richtigen Art gelesen habe, ist mein
Gesichtskreis dermaßen erweitert, daß ich gleichzeitig meine Angen mit einem ins
Unendliche tragenden Fernrohr und mit einem das Unsichtbare sichtbar
machenden Mikroskop bewaffnet glaube. Ich erkenne die geheimsten Gedanken
aller Staatenlenker rund um die Erde; die schwierigsten, verwickeltsten An¬
gelegenheiten der Finanz- und Wirtschaftspolitik liegen klar vor meinen Blicken;
ich lose spielend den Kampf streitender Interesse"; ich urteile mit untrüglicher
Sicherheit und Schürfe über das Getriebe in Wissenschaft und Kunst; ich bin
zugegen bei einer Kabinettsberatnng und bei dem Zank zweier Weiber in der
äußersten Vorstadt, und hinter dein glücklichen Paare, das seine eheliche Ver¬
bindung anzeigt, erscheint mir mit aller Deutlichkeit die Figur des Heirats¬
vermittlers, der das Band zwischen Krotoschin und Öttingen geknüpft hat,
und nicht minder der künftige Scheidungsprozeß. Doch wer vermöchte mit die
Schätze aufzuzählen, mit denen ein einziges solches Blatt unser Wissen be¬
reichert, all die Vorstellungen, die es weckt, all die großen Gedanken, die es
anregt!

Nur einen Gedanken, einen schöpferischen, wie ich in aller Bescheidenheit
sagen darf, der mir heute aus der Zeitungslektüre aufgegangen ist. will ich
hier mitteilen und durch die Verfolgung des Wegs, auf dem ich zu ihm ge¬
kommen bin, alle Skeptiker überzeugen.

Mit Entzücken las ich die Schilderungen, welchen glänzenden Erfolg die
liebenswürdige Feindin Deutschlands, Fürstin Metternich. mit ihren rastlosen
Bemühungen hat, die schöne Zeit des zweiten Kaiserreichs, das von den
Neidern LW-Nmxirö geschimpft und von den plumpe" Händen der Deutschen
zertrümmert wurde, in Wien wieder auferstehen zu lassen: die goldne Zeit,
da echtes Gold in Rauch aufging und als Niederschlag Talmigold blieb, ganz
wie in der Zauberküche der Alchimisten! Die Nörgler von dazumal behaup¬
teten zwar, es sei ein schlechter Handel, für edles Metall eine schlechte Kom¬
position zu erwerben, doch seitdem haben wir vom Herrn Staatssekretär
von Bötticher gelernt, daß zwischen echtem und unechten: Material kein Unter¬
schied besteht. Und selbst angenommen. Talmi wäre wirklich weniger wert
als Dukatengold, und die heutige vergoldete Jugend müßte richtiger vermesfingt
genannt werden: was läge daran? Der eine Zeit lang, wie es schien, ver-
geßne Wiener Wahlspruch: "Alleweil fidel!" kommt wieder zu Ehren. Man
lebt nur einmal! VvAus ig, Mlsrö! ^prös nous 1s cleluM! Morgen wieder
instit! Die sonderbaren Schwärmer, die sich in harter Gehirnarbeit um das
Heil der Menschheit sorgen, was haben sie davon, wenn ihre Anstrengungen


Lin rettender Gedanke

Abrichtungsanstalt für Journalisten, nicht fehlen, und ich wäre bereit, sofort
für diese einen Lehrplan auszuarbeiten. Kommen wird es zu dieser Ein¬
richtung, darauf können wir uns verlassen, und ich will mir für den Fall
nur die Priorität wahren.

So oft ich ein Zeitungsblatt der richtigen Art gelesen habe, ist mein
Gesichtskreis dermaßen erweitert, daß ich gleichzeitig meine Angen mit einem ins
Unendliche tragenden Fernrohr und mit einem das Unsichtbare sichtbar
machenden Mikroskop bewaffnet glaube. Ich erkenne die geheimsten Gedanken
aller Staatenlenker rund um die Erde; die schwierigsten, verwickeltsten An¬
gelegenheiten der Finanz- und Wirtschaftspolitik liegen klar vor meinen Blicken;
ich lose spielend den Kampf streitender Interesse»; ich urteile mit untrüglicher
Sicherheit und Schürfe über das Getriebe in Wissenschaft und Kunst; ich bin
zugegen bei einer Kabinettsberatnng und bei dem Zank zweier Weiber in der
äußersten Vorstadt, und hinter dein glücklichen Paare, das seine eheliche Ver¬
bindung anzeigt, erscheint mir mit aller Deutlichkeit die Figur des Heirats¬
vermittlers, der das Band zwischen Krotoschin und Öttingen geknüpft hat,
und nicht minder der künftige Scheidungsprozeß. Doch wer vermöchte mit die
Schätze aufzuzählen, mit denen ein einziges solches Blatt unser Wissen be¬
reichert, all die Vorstellungen, die es weckt, all die großen Gedanken, die es
anregt!

Nur einen Gedanken, einen schöpferischen, wie ich in aller Bescheidenheit
sagen darf, der mir heute aus der Zeitungslektüre aufgegangen ist. will ich
hier mitteilen und durch die Verfolgung des Wegs, auf dem ich zu ihm ge¬
kommen bin, alle Skeptiker überzeugen.

Mit Entzücken las ich die Schilderungen, welchen glänzenden Erfolg die
liebenswürdige Feindin Deutschlands, Fürstin Metternich. mit ihren rastlosen
Bemühungen hat, die schöne Zeit des zweiten Kaiserreichs, das von den
Neidern LW-Nmxirö geschimpft und von den plumpe» Händen der Deutschen
zertrümmert wurde, in Wien wieder auferstehen zu lassen: die goldne Zeit,
da echtes Gold in Rauch aufging und als Niederschlag Talmigold blieb, ganz
wie in der Zauberküche der Alchimisten! Die Nörgler von dazumal behaup¬
teten zwar, es sei ein schlechter Handel, für edles Metall eine schlechte Kom¬
position zu erwerben, doch seitdem haben wir vom Herrn Staatssekretär
von Bötticher gelernt, daß zwischen echtem und unechten: Material kein Unter¬
schied besteht. Und selbst angenommen. Talmi wäre wirklich weniger wert
als Dukatengold, und die heutige vergoldete Jugend müßte richtiger vermesfingt
genannt werden: was läge daran? Der eine Zeit lang, wie es schien, ver-
geßne Wiener Wahlspruch: „Alleweil fidel!" kommt wieder zu Ehren. Man
lebt nur einmal! VvAus ig, Mlsrö! ^prös nous 1s cleluM! Morgen wieder
instit! Die sonderbaren Schwärmer, die sich in harter Gehirnarbeit um das
Heil der Menschheit sorgen, was haben sie davon, wenn ihre Anstrengungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/92>, abgerufen am 06.01.2025.