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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Fischerleben auf der Adria

mehr als tausend dieser Tiere herausgezogen werden. Das ist aber keine
Kleinigkeit, wenn man sich vergegenwärtigt, daß viele ein Gewicht von zwei¬
hundert Kilo haben, ja daß man auch schon solche von mehr als dreihundert
aus dem Meere gezogen hat.

Der Auftritt, der nun folgt, ist bei uns nicht so wild und gewaltthätig,
wie ihn seinerzeit der Abbate Cetti beschrieb, der die Matcmzci, d. h. die
Schlachterei an den sardinischen Küsten mit angesehen hat. Dieser erzählt,
mit welcher Wut die Totschläger arbeiten, weil sie einen gewissen Anteil an
der Beute erhalten und deshalb so viel wie möglich, und hauptsächlich die
größten Thuue, zu töten suchen. Einem Menschen, der ins Meer fiele oder
sonst in Gefahr käme, würden sie jetzt gewiß nicht zu Hilfe kommen, wie man
während der Schlacht auf die Verwundeten auch keine Rücksicht nimmt. Man
schlägt, schreit, wütet und zieht den Thun so eilig wie möglich aus dem Wasser.
Nachdem sich die Fische einigermaßen vermindert haben, wird eingehalten, die
Kammer von neuem herangezogen, der noch übrige Fang enger eingeschlossen:
und ein neuer Sturm erhebt sich, ein neues Morden beginnt. So wechseln
Schlagen und Anziehen des Netzes, bis endlich auch der Boden der Toten-
kammer nachgekommen und kein Thun mehr übrig ist. Das Blut der Fische
färbt weithin das Meer.

So heißblütig sind unsre Leute an der Adria nicht. Sie werfen die
Fische an eine umzäunte und abgegrenzte Stelle, wo sich nur sehr wenig
Wasser befindet. Dort schlagen diese um sich, drängen und quetschen sich, be¬
spritzen die Steine mit Blut, bis sie erschöpft oder leblos den Menschen zum
Opfer fallen, die alsbald mit ihren Messern herankommen. Die Menschen aber
drängen sich nicht minder zusammen, um im größten Getümmel und in der
ärgsten Aufregung so rasch wie möglich ein Stück zu erwischen. Solchen Tieren
gegenüber, die die Größe eines Mannes haben, und im Angesicht des Blutes,
das weithin das Ufer färbt, der scharfen Messer, die in den Eingeweiden
arbeiten, kann man wohl auch daran denken, daß das Gejohle und Geschrei
mit einem tiefinnerlichcn Zug in den Menschen zusammenhänge, der sich be¬
sonders laut dann äußert, wenn sich eine große Menge angesammelt hat --
nämlich an die Berauschung oder die Genugthuung durch und an Massenmord.
Es ist das eine Mitgift unsrer Substanz, die bei allen derartigen Gelegen¬
heiten durchschlügt.

Die Tiere werdeu dann ans einer Art von Gerüst aufgehängt, nach¬
dem ihr Unterleib auseinandergeschnitten und die getrennten Körperhälften dnrch
hineingeschobne Stäbchen auseinandergespreizt worden sind, damit die Luft
freien Zutritt habe.

Cetti erzählt, daß auf diesem Schauplatz jedermann Dieb sei. Das
Stehlen sei hier weder eine Schande, noch ein Verbrechen. Dem ergriffnen
Diebe widerfahre weiter nichts, als daß er das gestohlene Gut wieder verliere.


Fischerleben auf der Adria

mehr als tausend dieser Tiere herausgezogen werden. Das ist aber keine
Kleinigkeit, wenn man sich vergegenwärtigt, daß viele ein Gewicht von zwei¬
hundert Kilo haben, ja daß man auch schon solche von mehr als dreihundert
aus dem Meere gezogen hat.

Der Auftritt, der nun folgt, ist bei uns nicht so wild und gewaltthätig,
wie ihn seinerzeit der Abbate Cetti beschrieb, der die Matcmzci, d. h. die
Schlachterei an den sardinischen Küsten mit angesehen hat. Dieser erzählt,
mit welcher Wut die Totschläger arbeiten, weil sie einen gewissen Anteil an
der Beute erhalten und deshalb so viel wie möglich, und hauptsächlich die
größten Thuue, zu töten suchen. Einem Menschen, der ins Meer fiele oder
sonst in Gefahr käme, würden sie jetzt gewiß nicht zu Hilfe kommen, wie man
während der Schlacht auf die Verwundeten auch keine Rücksicht nimmt. Man
schlägt, schreit, wütet und zieht den Thun so eilig wie möglich aus dem Wasser.
Nachdem sich die Fische einigermaßen vermindert haben, wird eingehalten, die
Kammer von neuem herangezogen, der noch übrige Fang enger eingeschlossen:
und ein neuer Sturm erhebt sich, ein neues Morden beginnt. So wechseln
Schlagen und Anziehen des Netzes, bis endlich auch der Boden der Toten-
kammer nachgekommen und kein Thun mehr übrig ist. Das Blut der Fische
färbt weithin das Meer.

So heißblütig sind unsre Leute an der Adria nicht. Sie werfen die
Fische an eine umzäunte und abgegrenzte Stelle, wo sich nur sehr wenig
Wasser befindet. Dort schlagen diese um sich, drängen und quetschen sich, be¬
spritzen die Steine mit Blut, bis sie erschöpft oder leblos den Menschen zum
Opfer fallen, die alsbald mit ihren Messern herankommen. Die Menschen aber
drängen sich nicht minder zusammen, um im größten Getümmel und in der
ärgsten Aufregung so rasch wie möglich ein Stück zu erwischen. Solchen Tieren
gegenüber, die die Größe eines Mannes haben, und im Angesicht des Blutes,
das weithin das Ufer färbt, der scharfen Messer, die in den Eingeweiden
arbeiten, kann man wohl auch daran denken, daß das Gejohle und Geschrei
mit einem tiefinnerlichcn Zug in den Menschen zusammenhänge, der sich be¬
sonders laut dann äußert, wenn sich eine große Menge angesammelt hat —
nämlich an die Berauschung oder die Genugthuung durch und an Massenmord.
Es ist das eine Mitgift unsrer Substanz, die bei allen derartigen Gelegen¬
heiten durchschlügt.

Die Tiere werdeu dann ans einer Art von Gerüst aufgehängt, nach¬
dem ihr Unterleib auseinandergeschnitten und die getrennten Körperhälften dnrch
hineingeschobne Stäbchen auseinandergespreizt worden sind, damit die Luft
freien Zutritt habe.

Cetti erzählt, daß auf diesem Schauplatz jedermann Dieb sei. Das
Stehlen sei hier weder eine Schande, noch ein Verbrechen. Dem ergriffnen
Diebe widerfahre weiter nichts, als daß er das gestohlene Gut wieder verliere.


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[0086] Fischerleben auf der Adria mehr als tausend dieser Tiere herausgezogen werden. Das ist aber keine Kleinigkeit, wenn man sich vergegenwärtigt, daß viele ein Gewicht von zwei¬ hundert Kilo haben, ja daß man auch schon solche von mehr als dreihundert aus dem Meere gezogen hat. Der Auftritt, der nun folgt, ist bei uns nicht so wild und gewaltthätig, wie ihn seinerzeit der Abbate Cetti beschrieb, der die Matcmzci, d. h. die Schlachterei an den sardinischen Küsten mit angesehen hat. Dieser erzählt, mit welcher Wut die Totschläger arbeiten, weil sie einen gewissen Anteil an der Beute erhalten und deshalb so viel wie möglich, und hauptsächlich die größten Thuue, zu töten suchen. Einem Menschen, der ins Meer fiele oder sonst in Gefahr käme, würden sie jetzt gewiß nicht zu Hilfe kommen, wie man während der Schlacht auf die Verwundeten auch keine Rücksicht nimmt. Man schlägt, schreit, wütet und zieht den Thun so eilig wie möglich aus dem Wasser. Nachdem sich die Fische einigermaßen vermindert haben, wird eingehalten, die Kammer von neuem herangezogen, der noch übrige Fang enger eingeschlossen: und ein neuer Sturm erhebt sich, ein neues Morden beginnt. So wechseln Schlagen und Anziehen des Netzes, bis endlich auch der Boden der Toten- kammer nachgekommen und kein Thun mehr übrig ist. Das Blut der Fische färbt weithin das Meer. So heißblütig sind unsre Leute an der Adria nicht. Sie werfen die Fische an eine umzäunte und abgegrenzte Stelle, wo sich nur sehr wenig Wasser befindet. Dort schlagen diese um sich, drängen und quetschen sich, be¬ spritzen die Steine mit Blut, bis sie erschöpft oder leblos den Menschen zum Opfer fallen, die alsbald mit ihren Messern herankommen. Die Menschen aber drängen sich nicht minder zusammen, um im größten Getümmel und in der ärgsten Aufregung so rasch wie möglich ein Stück zu erwischen. Solchen Tieren gegenüber, die die Größe eines Mannes haben, und im Angesicht des Blutes, das weithin das Ufer färbt, der scharfen Messer, die in den Eingeweiden arbeiten, kann man wohl auch daran denken, daß das Gejohle und Geschrei mit einem tiefinnerlichcn Zug in den Menschen zusammenhänge, der sich be¬ sonders laut dann äußert, wenn sich eine große Menge angesammelt hat — nämlich an die Berauschung oder die Genugthuung durch und an Massenmord. Es ist das eine Mitgift unsrer Substanz, die bei allen derartigen Gelegen¬ heiten durchschlügt. Die Tiere werdeu dann ans einer Art von Gerüst aufgehängt, nach¬ dem ihr Unterleib auseinandergeschnitten und die getrennten Körperhälften dnrch hineingeschobne Stäbchen auseinandergespreizt worden sind, damit die Luft freien Zutritt habe. Cetti erzählt, daß auf diesem Schauplatz jedermann Dieb sei. Das Stehlen sei hier weder eine Schande, noch ein Verbrechen. Dem ergriffnen Diebe widerfahre weiter nichts, als daß er das gestohlene Gut wieder verliere.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/86>, abgerufen am 08.01.2025.