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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Lhina und das Abendland

Weigerten sie sich, so wollte man von so widerspenstigen Vasallen auch den
mitgebrachten Tribut nicht annehmen. Aber auch in den Fällen, wo sie der
Forderung nachkamen, waren die Erfolge sehr gering und standen nicht ent¬
fernt im Verhältnis zu einer solchen Erniedrigung. Die bleibenden Ergebnisse
waren fast uur litterarischer Art. Vor allem sind die Reisebeschreibungen von
Nieuwhof, der im Jahre 1655 Goyer und Keyzer begleitete, sowie von Staun-
ton, der sich im Jahre 1792 im Gefolge des Earl of Macartney befand, noch
jetzt lesenswert.

Nur die Russen setzten es schon viel eher als andre Völker durch, von
den Chinesen als gleichberechtigte Macht anerkannt zu werden. Zwar ver¬
suchte es der Pekinger Hof auch hier mit seinem gewohnten Hochmute: mehrere
Gesandte mußten unverrichteter Sache umkehren, weil sie keinen Fußfall thun
wollten. Als aber um die Wende des sechzehnten Jahrhunderts die Russen
ganz Sibirien in Besitz nahmen, da erwiesen sich bald die Verhältnisse stärker
als der Widerwille der hohen chinesischen Beamten gegen den politischen Ver¬
kehr auf gleichem Fuße mit Ausländern -- der erste derartige Fall in der
Geschichte des Reiches der Mitte. Denn um den ewigen Grenzstreitigkeiten
ein Ende zu machen, bequemten sich die Chinesen endlich zu Verhandlungen,
die im Jahre 1689 zum Vertrage von Nertschinsk führten. Darin wurde
bestimmt, daß längs der genau festgestellten Grenze herüber und hinüber freier
Handel stattfinden dürfte. Noch größern Erfolg hatte eine Gesandtschaft im
Jahre 1727, denn in dem Vertrage vou Kinchta erlaubten die Chinesen den
Russen unter anderm die Errichtung einer Missionsstation in Peking, das
erste Beispiel dieser Art. Römisch-katholische Missionare wurden zwar schon
lange in China geduldet, sie hatten aber noch kein formelles Recht zur Nieder-
lassung. Der Vertrag von Kiächta ist bis 1851, also mehr als hundertund¬
zwanzig Jahre, in Kraft gewesen; hierzu läßt sich in aller Geschichte wohl
kaum irgendwo ein Gegenstück finden. Beiderseits scheint man also recht zu¬
frieden gewesen zu sein. Dazu trug allerdings auch bei, daß die russischem
Gesandten lange nicht so hochmütig behandelt wurden als die meisten andern,
die nach Peking kamen.

Der Karawanenhandel entwickelte sich gut. Lange Zeit hindurch kam der
bei weitem größte Teil des in Europa verbrauchten Thees auf dem Land¬
wege an; deshalb herrscht noch jetzt vielfach die irrige Ansicht, dieser Kara¬
wanenthee sei besser als der auf dem Seewege gekommene, während es doch
ganz klar ist, daß die Seeluft dem Inhalt von luftdicht verkoteter Blechkisten
nichts anhaben kann.

Für alle andern Abendländer blieb der Handel bis zum Jahre 1842 auf
Kanton beschränkt, und bis dahin, also bis kaum vor einem halben Jahr¬
hundert, waren die Verhältnisse dort ganz ungeregelt. Alle Ausländer waren
auf einige Faktoreien angewiesen und durften nur mit solchen Chinesen Handel


Lhina und das Abendland

Weigerten sie sich, so wollte man von so widerspenstigen Vasallen auch den
mitgebrachten Tribut nicht annehmen. Aber auch in den Fällen, wo sie der
Forderung nachkamen, waren die Erfolge sehr gering und standen nicht ent¬
fernt im Verhältnis zu einer solchen Erniedrigung. Die bleibenden Ergebnisse
waren fast uur litterarischer Art. Vor allem sind die Reisebeschreibungen von
Nieuwhof, der im Jahre 1655 Goyer und Keyzer begleitete, sowie von Staun-
ton, der sich im Jahre 1792 im Gefolge des Earl of Macartney befand, noch
jetzt lesenswert.

Nur die Russen setzten es schon viel eher als andre Völker durch, von
den Chinesen als gleichberechtigte Macht anerkannt zu werden. Zwar ver¬
suchte es der Pekinger Hof auch hier mit seinem gewohnten Hochmute: mehrere
Gesandte mußten unverrichteter Sache umkehren, weil sie keinen Fußfall thun
wollten. Als aber um die Wende des sechzehnten Jahrhunderts die Russen
ganz Sibirien in Besitz nahmen, da erwiesen sich bald die Verhältnisse stärker
als der Widerwille der hohen chinesischen Beamten gegen den politischen Ver¬
kehr auf gleichem Fuße mit Ausländern — der erste derartige Fall in der
Geschichte des Reiches der Mitte. Denn um den ewigen Grenzstreitigkeiten
ein Ende zu machen, bequemten sich die Chinesen endlich zu Verhandlungen,
die im Jahre 1689 zum Vertrage von Nertschinsk führten. Darin wurde
bestimmt, daß längs der genau festgestellten Grenze herüber und hinüber freier
Handel stattfinden dürfte. Noch größern Erfolg hatte eine Gesandtschaft im
Jahre 1727, denn in dem Vertrage vou Kinchta erlaubten die Chinesen den
Russen unter anderm die Errichtung einer Missionsstation in Peking, das
erste Beispiel dieser Art. Römisch-katholische Missionare wurden zwar schon
lange in China geduldet, sie hatten aber noch kein formelles Recht zur Nieder-
lassung. Der Vertrag von Kiächta ist bis 1851, also mehr als hundertund¬
zwanzig Jahre, in Kraft gewesen; hierzu läßt sich in aller Geschichte wohl
kaum irgendwo ein Gegenstück finden. Beiderseits scheint man also recht zu¬
frieden gewesen zu sein. Dazu trug allerdings auch bei, daß die russischem
Gesandten lange nicht so hochmütig behandelt wurden als die meisten andern,
die nach Peking kamen.

Der Karawanenhandel entwickelte sich gut. Lange Zeit hindurch kam der
bei weitem größte Teil des in Europa verbrauchten Thees auf dem Land¬
wege an; deshalb herrscht noch jetzt vielfach die irrige Ansicht, dieser Kara¬
wanenthee sei besser als der auf dem Seewege gekommene, während es doch
ganz klar ist, daß die Seeluft dem Inhalt von luftdicht verkoteter Blechkisten
nichts anhaben kann.

Für alle andern Abendländer blieb der Handel bis zum Jahre 1842 auf
Kanton beschränkt, und bis dahin, also bis kaum vor einem halben Jahr¬
hundert, waren die Verhältnisse dort ganz ungeregelt. Alle Ausländer waren
auf einige Faktoreien angewiesen und durften nur mit solchen Chinesen Handel


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[0077] Lhina und das Abendland Weigerten sie sich, so wollte man von so widerspenstigen Vasallen auch den mitgebrachten Tribut nicht annehmen. Aber auch in den Fällen, wo sie der Forderung nachkamen, waren die Erfolge sehr gering und standen nicht ent¬ fernt im Verhältnis zu einer solchen Erniedrigung. Die bleibenden Ergebnisse waren fast uur litterarischer Art. Vor allem sind die Reisebeschreibungen von Nieuwhof, der im Jahre 1655 Goyer und Keyzer begleitete, sowie von Staun- ton, der sich im Jahre 1792 im Gefolge des Earl of Macartney befand, noch jetzt lesenswert. Nur die Russen setzten es schon viel eher als andre Völker durch, von den Chinesen als gleichberechtigte Macht anerkannt zu werden. Zwar ver¬ suchte es der Pekinger Hof auch hier mit seinem gewohnten Hochmute: mehrere Gesandte mußten unverrichteter Sache umkehren, weil sie keinen Fußfall thun wollten. Als aber um die Wende des sechzehnten Jahrhunderts die Russen ganz Sibirien in Besitz nahmen, da erwiesen sich bald die Verhältnisse stärker als der Widerwille der hohen chinesischen Beamten gegen den politischen Ver¬ kehr auf gleichem Fuße mit Ausländern — der erste derartige Fall in der Geschichte des Reiches der Mitte. Denn um den ewigen Grenzstreitigkeiten ein Ende zu machen, bequemten sich die Chinesen endlich zu Verhandlungen, die im Jahre 1689 zum Vertrage von Nertschinsk führten. Darin wurde bestimmt, daß längs der genau festgestellten Grenze herüber und hinüber freier Handel stattfinden dürfte. Noch größern Erfolg hatte eine Gesandtschaft im Jahre 1727, denn in dem Vertrage vou Kinchta erlaubten die Chinesen den Russen unter anderm die Errichtung einer Missionsstation in Peking, das erste Beispiel dieser Art. Römisch-katholische Missionare wurden zwar schon lange in China geduldet, sie hatten aber noch kein formelles Recht zur Nieder- lassung. Der Vertrag von Kiächta ist bis 1851, also mehr als hundertund¬ zwanzig Jahre, in Kraft gewesen; hierzu läßt sich in aller Geschichte wohl kaum irgendwo ein Gegenstück finden. Beiderseits scheint man also recht zu¬ frieden gewesen zu sein. Dazu trug allerdings auch bei, daß die russischem Gesandten lange nicht so hochmütig behandelt wurden als die meisten andern, die nach Peking kamen. Der Karawanenhandel entwickelte sich gut. Lange Zeit hindurch kam der bei weitem größte Teil des in Europa verbrauchten Thees auf dem Land¬ wege an; deshalb herrscht noch jetzt vielfach die irrige Ansicht, dieser Kara¬ wanenthee sei besser als der auf dem Seewege gekommene, während es doch ganz klar ist, daß die Seeluft dem Inhalt von luftdicht verkoteter Blechkisten nichts anhaben kann. Für alle andern Abendländer blieb der Handel bis zum Jahre 1842 auf Kanton beschränkt, und bis dahin, also bis kaum vor einem halben Jahr¬ hundert, waren die Verhältnisse dort ganz ungeregelt. Alle Ausländer waren auf einige Faktoreien angewiesen und durften nur mit solchen Chinesen Handel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/77>, abgerufen am 06.01.2025.