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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Dynamik

Beginn der Tragödie. Da wird gemordet, geplündert, gesengt und gebrannt,
und kaum einer der Geschädigten verteidigt sich und seine Habe. Der Schloß-
Herr öffnet auf die Forderung seiner Bauern die Thore seines festen, ver¬
teidigungsfähigen Hauses und läßt es plündern; der kräftige, wvhlbewciffnete
Mann läßt den Pöbel, mit milder, vorwurfsvoller Rede ihn empfangend, in
sein Haus dringen, sein Weib, sein Kind, sich selbst mißhandeln, ohne auch
nur die Faust zu erheben; der junge, gesunde Mann, ja der Offizier reicht
einem Dutzend Strolchen die Hände zur Fesselung dar ohne Widerstreben;
der Hausherr verbietet seinen treuen Dienstboten, die ihn und das Haus ver¬
teidigen wollen, eine Hand zu rühren gegen die eindringende Schar, fast gewiß,
zum Tode abgeführt zu werden. Kaum einer, der es vorzieht, sein Leben
sich so teuer als möglich bezahlen zu lassen, der Manns genug ist, den Degen
zu ziehen, und wenn es dann zum Tode geht, im Kampf für Leben, Familie,
Hab und Gut zu fallen. Nachher gehen dann diese blutscheuen, unnatürlich
manierlicher Leute mit einer wunderbaren Würde aufs Schafott, eine in
vollendeten Umgangsformen entnervte Gesellschaft, ein in der Treibhausluft
des Hoflebens, in geistreicher Leckerei, in weicher Formeuknltur der kräftigen
Luft der Natur entwöhntes, an Willen zum Handeln und an Willen zum Leben
erschlafftes Geschlecht, zuoberst der König selbst, dem nicht bloß die Kraft,
sondern auch das Bewußtsein seiner königlichen Gewalt fehlte. Wären es
kräftige Männer gewesen, diese obern Klaffen von 1789, wer weiß, ob eine
entschloßne Verteidigung trotz all der schreienden Mißstände politischer und
sozialer Art, die sich angehäuft hatten, nicht dennoch Staat und Gesellschaft
vor diesen Orgien der Bestie im Masfenmenschen, die man noch heute manch¬
mal als notwendige und große Episode der Weltgeschichte rühmen hört, ge¬
rettet hätte. Freilich ein Schwächling wie König Ludwig, der kein Blut
sehen konnte, und eine Aristokratie, die ihm gleich war, kurz leitende Gewalten,
die nur noch von Anstand, Würde, Milde, von Scheu vor der Gewalt be¬
herrscht waren, sie wurden von der geistlosen Faust und dem unanständigen
Willen der Massen leicht niedergeschlagen. Nachher machte man aus dem
Siege brutaler Naturkraft über krankhafte Verweichlichung weltbewegende Ideen-
kämpfe, aus dem Fußtritt eines zügellos gewordnen Pöbels erhabne Prin¬
zipien, aus der Sinnlosigkeit der wild gewordnen Herde tiefe Weisheiten von
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und noch heute betet so mancher
diesen Götzen an. und noch heute kann man die drei Heiligenbilder des
Anarchismus von 1793 an allen Straßen zu Paris prangen sehen, zum Be¬
weise dafür, zu welchem Unsinn ein Volk herabsinken kann, wenn die Staats¬
formen seines Kulturlebens nicht von starken Händen, klarem Bewußtsein und
kräftigem Willen gehütet und verteidigt werden.

Gott bewahre uns vor solcher Schwäche! Die leitenden Klaffen wenige
seems, einige Männer wenigstens sollten die Erfahrungen der Geschichte sich


Dynamik

Beginn der Tragödie. Da wird gemordet, geplündert, gesengt und gebrannt,
und kaum einer der Geschädigten verteidigt sich und seine Habe. Der Schloß-
Herr öffnet auf die Forderung seiner Bauern die Thore seines festen, ver¬
teidigungsfähigen Hauses und läßt es plündern; der kräftige, wvhlbewciffnete
Mann läßt den Pöbel, mit milder, vorwurfsvoller Rede ihn empfangend, in
sein Haus dringen, sein Weib, sein Kind, sich selbst mißhandeln, ohne auch
nur die Faust zu erheben; der junge, gesunde Mann, ja der Offizier reicht
einem Dutzend Strolchen die Hände zur Fesselung dar ohne Widerstreben;
der Hausherr verbietet seinen treuen Dienstboten, die ihn und das Haus ver¬
teidigen wollen, eine Hand zu rühren gegen die eindringende Schar, fast gewiß,
zum Tode abgeführt zu werden. Kaum einer, der es vorzieht, sein Leben
sich so teuer als möglich bezahlen zu lassen, der Manns genug ist, den Degen
zu ziehen, und wenn es dann zum Tode geht, im Kampf für Leben, Familie,
Hab und Gut zu fallen. Nachher gehen dann diese blutscheuen, unnatürlich
manierlicher Leute mit einer wunderbaren Würde aufs Schafott, eine in
vollendeten Umgangsformen entnervte Gesellschaft, ein in der Treibhausluft
des Hoflebens, in geistreicher Leckerei, in weicher Formeuknltur der kräftigen
Luft der Natur entwöhntes, an Willen zum Handeln und an Willen zum Leben
erschlafftes Geschlecht, zuoberst der König selbst, dem nicht bloß die Kraft,
sondern auch das Bewußtsein seiner königlichen Gewalt fehlte. Wären es
kräftige Männer gewesen, diese obern Klaffen von 1789, wer weiß, ob eine
entschloßne Verteidigung trotz all der schreienden Mißstände politischer und
sozialer Art, die sich angehäuft hatten, nicht dennoch Staat und Gesellschaft
vor diesen Orgien der Bestie im Masfenmenschen, die man noch heute manch¬
mal als notwendige und große Episode der Weltgeschichte rühmen hört, ge¬
rettet hätte. Freilich ein Schwächling wie König Ludwig, der kein Blut
sehen konnte, und eine Aristokratie, die ihm gleich war, kurz leitende Gewalten,
die nur noch von Anstand, Würde, Milde, von Scheu vor der Gewalt be¬
herrscht waren, sie wurden von der geistlosen Faust und dem unanständigen
Willen der Massen leicht niedergeschlagen. Nachher machte man aus dem
Siege brutaler Naturkraft über krankhafte Verweichlichung weltbewegende Ideen-
kämpfe, aus dem Fußtritt eines zügellos gewordnen Pöbels erhabne Prin¬
zipien, aus der Sinnlosigkeit der wild gewordnen Herde tiefe Weisheiten von
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und noch heute betet so mancher
diesen Götzen an. und noch heute kann man die drei Heiligenbilder des
Anarchismus von 1793 an allen Straßen zu Paris prangen sehen, zum Be¬
weise dafür, zu welchem Unsinn ein Volk herabsinken kann, wenn die Staats¬
formen seines Kulturlebens nicht von starken Händen, klarem Bewußtsein und
kräftigem Willen gehütet und verteidigt werden.

Gott bewahre uns vor solcher Schwäche! Die leitenden Klaffen wenige
seems, einige Männer wenigstens sollten die Erfahrungen der Geschichte sich


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[0069] Dynamik Beginn der Tragödie. Da wird gemordet, geplündert, gesengt und gebrannt, und kaum einer der Geschädigten verteidigt sich und seine Habe. Der Schloß- Herr öffnet auf die Forderung seiner Bauern die Thore seines festen, ver¬ teidigungsfähigen Hauses und läßt es plündern; der kräftige, wvhlbewciffnete Mann läßt den Pöbel, mit milder, vorwurfsvoller Rede ihn empfangend, in sein Haus dringen, sein Weib, sein Kind, sich selbst mißhandeln, ohne auch nur die Faust zu erheben; der junge, gesunde Mann, ja der Offizier reicht einem Dutzend Strolchen die Hände zur Fesselung dar ohne Widerstreben; der Hausherr verbietet seinen treuen Dienstboten, die ihn und das Haus ver¬ teidigen wollen, eine Hand zu rühren gegen die eindringende Schar, fast gewiß, zum Tode abgeführt zu werden. Kaum einer, der es vorzieht, sein Leben sich so teuer als möglich bezahlen zu lassen, der Manns genug ist, den Degen zu ziehen, und wenn es dann zum Tode geht, im Kampf für Leben, Familie, Hab und Gut zu fallen. Nachher gehen dann diese blutscheuen, unnatürlich manierlicher Leute mit einer wunderbaren Würde aufs Schafott, eine in vollendeten Umgangsformen entnervte Gesellschaft, ein in der Treibhausluft des Hoflebens, in geistreicher Leckerei, in weicher Formeuknltur der kräftigen Luft der Natur entwöhntes, an Willen zum Handeln und an Willen zum Leben erschlafftes Geschlecht, zuoberst der König selbst, dem nicht bloß die Kraft, sondern auch das Bewußtsein seiner königlichen Gewalt fehlte. Wären es kräftige Männer gewesen, diese obern Klaffen von 1789, wer weiß, ob eine entschloßne Verteidigung trotz all der schreienden Mißstände politischer und sozialer Art, die sich angehäuft hatten, nicht dennoch Staat und Gesellschaft vor diesen Orgien der Bestie im Masfenmenschen, die man noch heute manch¬ mal als notwendige und große Episode der Weltgeschichte rühmen hört, ge¬ rettet hätte. Freilich ein Schwächling wie König Ludwig, der kein Blut sehen konnte, und eine Aristokratie, die ihm gleich war, kurz leitende Gewalten, die nur noch von Anstand, Würde, Milde, von Scheu vor der Gewalt be¬ herrscht waren, sie wurden von der geistlosen Faust und dem unanständigen Willen der Massen leicht niedergeschlagen. Nachher machte man aus dem Siege brutaler Naturkraft über krankhafte Verweichlichung weltbewegende Ideen- kämpfe, aus dem Fußtritt eines zügellos gewordnen Pöbels erhabne Prin¬ zipien, aus der Sinnlosigkeit der wild gewordnen Herde tiefe Weisheiten von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Und noch heute betet so mancher diesen Götzen an. und noch heute kann man die drei Heiligenbilder des Anarchismus von 1793 an allen Straßen zu Paris prangen sehen, zum Be¬ weise dafür, zu welchem Unsinn ein Volk herabsinken kann, wenn die Staats¬ formen seines Kulturlebens nicht von starken Händen, klarem Bewußtsein und kräftigem Willen gehütet und verteidigt werden. Gott bewahre uns vor solcher Schwäche! Die leitenden Klaffen wenige seems, einige Männer wenigstens sollten die Erfahrungen der Geschichte sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/69>, abgerufen am 08.01.2025.