Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Die Reise ins Kloster Sophie wußte um unser Geheimnis, über sie verriet uns nicht, denn ihr Auch sonst fanden wir Gelegenheit, allerhand zu thun, was uns unter¬ Tante Emma tadelte uns sehr ob dieser Gedächtnisschwäche und hielt **) Julie. *) gepflegt-
Die Reise ins Kloster Sophie wußte um unser Geheimnis, über sie verriet uns nicht, denn ihr Auch sonst fanden wir Gelegenheit, allerhand zu thun, was uns unter¬ Tante Emma tadelte uns sehr ob dieser Gedächtnisschwäche und hielt **) Julie. *) gepflegt-
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0626" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213102"/> <fw type="header" place="top"> Die Reise ins Kloster</fw><lb/> <p xml:id="ID_2119"> Sophie wußte um unser Geheimnis, über sie verriet uns nicht, denn ihr<lb/> war der Hund ein Greuel. So'n altes Tier wird so gehöscht*) und is doch<lb/> mau ein alten Dorfteckel! sagte sie. Weiß nich mal ein Unterschied zu machen!<lb/> Neulich hat er an ein Tag Komteß Anna ihr Kleid zerrissen und den Post¬<lb/> boten ins Bein gebissen, und das will ein feinen Hund sein. Was mein ersten<lb/> Bräntgam sein Swiegervater von die zweite Frau her war, der hat 'neu<lb/> richtigen, seinen, echten Teckelhund gehabt! Oh was ein Tier! Der is jetzt<lb/> bei die Baroneß Schilu,°"') und der beißt bloß die Postbotens und die Schostein-<lb/> fegers, der weiß, was sich gehört: Kule abers is zu gemein zu so was! hat<lb/> neulich ein richtigen Baron die Hose zerrissen, wo man doch bei solchen Herr¬<lb/> schaften nich mal sehen muß, daß sie ein Hose anhaben! Und nachher is<lb/> grä Fräulein bloß besorgt gewesen, ob Kule auch nich ein Stück Hosenzeug<lb/> versluckt hätte. Das is zu doll! Geht ihr man hin und laßt ihm ein büschen<lb/> solennen, das is gut für ihm!</p><lb/> <p xml:id="ID_2120"> Auch sonst fanden wir Gelegenheit, allerhand zu thun, was uns unter¬<lb/> hielt. Es hatte etwas sehr Gemütliches, in dem großen Klostergarten umher-<lb/> zustreifen und eigentlich alles thun zu können, was man wollte. Jedes Hans<lb/> lag für sich und hatte wieder seinen eignen, abgeschloßnen Garten. Wir be¬<lb/> suchten auch diese Privatgärten mit großer Unbefangenheit, ohne jemand um<lb/> Erlaubnis zu fragen. Hin und wieder stießen wir dabei auf eine alte Dame,<lb/> die uns erstaunt betrachtete, nach unserm Namen fragte, uns wohl auch etwas<lb/> schenkte. Das war denn eine der vielen Klvsterdamen gewesen, die wir nie¬<lb/> mals unterscheiden lernten. Einige waren Komtessen, andre Baronessen; noch<lb/> andre grä Frünleins. Einige trugen branne, andre grane Strohhüte, sonst<lb/> aber waren sie einander alle sehr ähnlich, und wir wußten nie, ob gestern<lb/> Komteß Julie mit uns gesprochen hatte oder Baroneß Adeline.</p><lb/> <p xml:id="ID_2121" next="#ID_2122"> Tante Emma tadelte uns sehr ob dieser Gedächtnisschwäche und hielt<lb/> uns öfter eine längere Rede, in der sie uus auseinandersetzte, es sei eine große<lb/> Ehre für uns, von diesen vornehmen Damen überhaupt freundlich behandelt<lb/> zu werden. Wir sagten natürlich „ja" zu diesen Ermahnungen, Sophie aber<lb/> stand auch hier wieder auf unsrer Seite. Mensch bleibt Mensch! sagte sie,<lb/> während sie kunstvoll ein Hähnchen spickte; und Klosterdame bleibt Kloster¬<lb/> dame. Bloß daß die einen ein Badleuten haben und die andern keinen, das<lb/> is der ganze Unterschied. Unser grä Fräulein hat keinen Badleuten, was den<lb/> Dienst hier for mir sehr swer macht. Besonders im Winter. Denn es is<lb/> nich gut, daß der Mensch allein sei; das hat unse Pastor auch gesagt, als<lb/> vergangen Jahr in unsre Klosterkirche 'ne Trauung war. Gott, wo war das<lb/> schön! Christine, die Frau Prijöriu ihr Kammerjumfer, mit'u Fremden aus<lb/> Kiel! Ein feine Partie: ein Leichdoruenvperatör und Zahuausreißer mit'u<lb/> offnes Geschäft, und hatte noch gar kein einzige Frau vorher gehabt! Und<lb/> Christine is doch gewiß in die Vierziger gewesen. Aber wers Glück haben<lb/> soll, der kriegts auch. Frau Prijöriu hat die Braut sehr viel schöne Sachen<lb/> geschenkt und nachher auch die Hochzeit ausgerichtet, und das ganze Kloster<lb/> hat mit einmal von Christine gesprochen, was doch 'ne große Ehre war. Und<lb/> der Vräntgam is auch dankbar gewesen und hat zu Frau Prijöriu gesagt, wenn<lb/> sie mal was an die Zahnens oder die Füßens hätt', so sollt sie man getrost<lb/> zu ihn kommen. Er wollt allens gern besorgen und zum halben Preis; abers</p><lb/> <note xml:id="FID_55" place="foot"> **) Julie.</note><lb/> <note xml:id="FID_56" place="foot"> *) gepflegt- </note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0626]
Die Reise ins Kloster
Sophie wußte um unser Geheimnis, über sie verriet uns nicht, denn ihr
war der Hund ein Greuel. So'n altes Tier wird so gehöscht*) und is doch
mau ein alten Dorfteckel! sagte sie. Weiß nich mal ein Unterschied zu machen!
Neulich hat er an ein Tag Komteß Anna ihr Kleid zerrissen und den Post¬
boten ins Bein gebissen, und das will ein feinen Hund sein. Was mein ersten
Bräntgam sein Swiegervater von die zweite Frau her war, der hat 'neu
richtigen, seinen, echten Teckelhund gehabt! Oh was ein Tier! Der is jetzt
bei die Baroneß Schilu,°"') und der beißt bloß die Postbotens und die Schostein-
fegers, der weiß, was sich gehört: Kule abers is zu gemein zu so was! hat
neulich ein richtigen Baron die Hose zerrissen, wo man doch bei solchen Herr¬
schaften nich mal sehen muß, daß sie ein Hose anhaben! Und nachher is
grä Fräulein bloß besorgt gewesen, ob Kule auch nich ein Stück Hosenzeug
versluckt hätte. Das is zu doll! Geht ihr man hin und laßt ihm ein büschen
solennen, das is gut für ihm!
Auch sonst fanden wir Gelegenheit, allerhand zu thun, was uns unter¬
hielt. Es hatte etwas sehr Gemütliches, in dem großen Klostergarten umher-
zustreifen und eigentlich alles thun zu können, was man wollte. Jedes Hans
lag für sich und hatte wieder seinen eignen, abgeschloßnen Garten. Wir be¬
suchten auch diese Privatgärten mit großer Unbefangenheit, ohne jemand um
Erlaubnis zu fragen. Hin und wieder stießen wir dabei auf eine alte Dame,
die uns erstaunt betrachtete, nach unserm Namen fragte, uns wohl auch etwas
schenkte. Das war denn eine der vielen Klvsterdamen gewesen, die wir nie¬
mals unterscheiden lernten. Einige waren Komtessen, andre Baronessen; noch
andre grä Frünleins. Einige trugen branne, andre grane Strohhüte, sonst
aber waren sie einander alle sehr ähnlich, und wir wußten nie, ob gestern
Komteß Julie mit uns gesprochen hatte oder Baroneß Adeline.
Tante Emma tadelte uns sehr ob dieser Gedächtnisschwäche und hielt
uns öfter eine längere Rede, in der sie uus auseinandersetzte, es sei eine große
Ehre für uns, von diesen vornehmen Damen überhaupt freundlich behandelt
zu werden. Wir sagten natürlich „ja" zu diesen Ermahnungen, Sophie aber
stand auch hier wieder auf unsrer Seite. Mensch bleibt Mensch! sagte sie,
während sie kunstvoll ein Hähnchen spickte; und Klosterdame bleibt Kloster¬
dame. Bloß daß die einen ein Badleuten haben und die andern keinen, das
is der ganze Unterschied. Unser grä Fräulein hat keinen Badleuten, was den
Dienst hier for mir sehr swer macht. Besonders im Winter. Denn es is
nich gut, daß der Mensch allein sei; das hat unse Pastor auch gesagt, als
vergangen Jahr in unsre Klosterkirche 'ne Trauung war. Gott, wo war das
schön! Christine, die Frau Prijöriu ihr Kammerjumfer, mit'u Fremden aus
Kiel! Ein feine Partie: ein Leichdoruenvperatör und Zahuausreißer mit'u
offnes Geschäft, und hatte noch gar kein einzige Frau vorher gehabt! Und
Christine is doch gewiß in die Vierziger gewesen. Aber wers Glück haben
soll, der kriegts auch. Frau Prijöriu hat die Braut sehr viel schöne Sachen
geschenkt und nachher auch die Hochzeit ausgerichtet, und das ganze Kloster
hat mit einmal von Christine gesprochen, was doch 'ne große Ehre war. Und
der Vräntgam is auch dankbar gewesen und hat zu Frau Prijöriu gesagt, wenn
sie mal was an die Zahnens oder die Füßens hätt', so sollt sie man getrost
zu ihn kommen. Er wollt allens gern besorgen und zum halben Preis; abers
**) Julie.
*) gepflegt-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |