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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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so stark, daß man kaum fünf Schritt weit sehen konnte. Geradezu voll¬
gepfropft waren die Räume an vaterländischen Gedenktagen, die beim alten
Schindler immer mit großem Nachdruck und lärmender Begeistrung begangen
wurden. Das ganze Lokal war denn mit Fahnen und Kränzen geschmückt,
und die Kellnerinnen erschienen in Weiß mit Blumen im Haar und schwarz-
weiß-roten Schleifen und Schärpen- Die Dankesschreiben, die dem Wirte
von hohen und höchsten Herrschaften für seine patriotische Gesinnung
übersandt worden waren, hingen schön eingerahmt und geschmückt an den
Wänden.

Der erste April, dieser Lärm und diese Beleuchtung ^- das konnte nur
die Feier vou Bismarcks Geburtstag sein. Ich trat also ein und fand an
einem Tische neben der Thür noch ein bescheidnes Plätzchen. Mit einemmale
wurde es still. Aller Augen waren nach der Mitte des Lokals gerichtet, wo
sich der alte Schindler, ein kleiner, dicker Manu in Frack und weißer
Halsbinde, auf einen Tisch geschwungen und Silentium für die Festrede ver¬
langt hatte. Ich kannte diese Art von Reden schon. Schindler trug alles
mit gewaltigem Pathos und leidenschaftlichen Arm- und Beinbewegungen vor,
verstand aber nicht das geringste von dem, was er sagte, denn die Reden
waren ihm von Studenten zusammengesetzt worden, und er hatte alles wört¬
lich auswendig gelernt. Das war immerhin eine Leistung, wenn man bedenkt,
daß derartige Reden absichtlich aus verwickelten cieervnianischen Perioden ge¬
baut waren, mit unendlich langen Sntzungeheuern, denen der Schwanz und
der .Kopf fehlte. Mit unfreiwilliger Komik donnerte der vor Eifer schwitzende
Redner diese Flut hochklingender, sinnlos aneinandergereihter Redewendungen
heraus und erntete dafür bei den Gästen ein jubelndes Bravo uach dem andern.
Oft waren lateinische, dem Redner natürlich ganz fremde Citate eingestreut,
die weder zu Kaisers Geburtstag, noch zum Sedaufeste, noch zu irgend einem
Gedenktage in irgend welcher Beziehung standen, denn sie stammten gewöhnlich
aus Horazens Liebesoden oder enthielten irgend eine Zweideutigkeit. Denn
jauchzte die ganze Gesellschaft vom ältesten Kanuuergerichtsrat bis zum jüngsten
Semester vor Vergnügen.

So war es denn anch heute. Ich gab aber auf die tolle Rede wenig
acht, denn mich fesselte das Gesicht einer Kellnerin, das mir bekannt vorkam.
Wo in aller Welt hatte ich das Mädchen schon gesehn? Ich sann und sann
und konnte sie nicht unterbringen. Da huschte sie an mir vorbei und sagte
zu einem ihrer Bekannten: Der Otte hat sich heute wieder ordentlich ein¬
geschossen. Ich sag Ihnen, er ist geladen wie 'ne Haubitze.

Mit einem Schlage tauchte in mir die kleine Universitätsstadt und Pedell
Papeudick auf. Ich sah die Kellnerin genauer an, und richtig! es konnte
niemand anders sein, als das Lieschen ans der Wiesengasse. Ich rief ihren
Namen. Sie drehte sich auf ihrem Absatz herum, daß die weißen Röcke und


so stark, daß man kaum fünf Schritt weit sehen konnte. Geradezu voll¬
gepfropft waren die Räume an vaterländischen Gedenktagen, die beim alten
Schindler immer mit großem Nachdruck und lärmender Begeistrung begangen
wurden. Das ganze Lokal war denn mit Fahnen und Kränzen geschmückt,
und die Kellnerinnen erschienen in Weiß mit Blumen im Haar und schwarz-
weiß-roten Schleifen und Schärpen- Die Dankesschreiben, die dem Wirte
von hohen und höchsten Herrschaften für seine patriotische Gesinnung
übersandt worden waren, hingen schön eingerahmt und geschmückt an den
Wänden.

Der erste April, dieser Lärm und diese Beleuchtung ^- das konnte nur
die Feier vou Bismarcks Geburtstag sein. Ich trat also ein und fand an
einem Tische neben der Thür noch ein bescheidnes Plätzchen. Mit einemmale
wurde es still. Aller Augen waren nach der Mitte des Lokals gerichtet, wo
sich der alte Schindler, ein kleiner, dicker Manu in Frack und weißer
Halsbinde, auf einen Tisch geschwungen und Silentium für die Festrede ver¬
langt hatte. Ich kannte diese Art von Reden schon. Schindler trug alles
mit gewaltigem Pathos und leidenschaftlichen Arm- und Beinbewegungen vor,
verstand aber nicht das geringste von dem, was er sagte, denn die Reden
waren ihm von Studenten zusammengesetzt worden, und er hatte alles wört¬
lich auswendig gelernt. Das war immerhin eine Leistung, wenn man bedenkt,
daß derartige Reden absichtlich aus verwickelten cieervnianischen Perioden ge¬
baut waren, mit unendlich langen Sntzungeheuern, denen der Schwanz und
der .Kopf fehlte. Mit unfreiwilliger Komik donnerte der vor Eifer schwitzende
Redner diese Flut hochklingender, sinnlos aneinandergereihter Redewendungen
heraus und erntete dafür bei den Gästen ein jubelndes Bravo uach dem andern.
Oft waren lateinische, dem Redner natürlich ganz fremde Citate eingestreut,
die weder zu Kaisers Geburtstag, noch zum Sedaufeste, noch zu irgend einem
Gedenktage in irgend welcher Beziehung standen, denn sie stammten gewöhnlich
aus Horazens Liebesoden oder enthielten irgend eine Zweideutigkeit. Denn
jauchzte die ganze Gesellschaft vom ältesten Kanuuergerichtsrat bis zum jüngsten
Semester vor Vergnügen.

So war es denn anch heute. Ich gab aber auf die tolle Rede wenig
acht, denn mich fesselte das Gesicht einer Kellnerin, das mir bekannt vorkam.
Wo in aller Welt hatte ich das Mädchen schon gesehn? Ich sann und sann
und konnte sie nicht unterbringen. Da huschte sie an mir vorbei und sagte
zu einem ihrer Bekannten: Der Otte hat sich heute wieder ordentlich ein¬
geschossen. Ich sag Ihnen, er ist geladen wie 'ne Haubitze.

Mit einem Schlage tauchte in mir die kleine Universitätsstadt und Pedell
Papeudick auf. Ich sah die Kellnerin genauer an, und richtig! es konnte
niemand anders sein, als das Lieschen ans der Wiesengasse. Ich rief ihren
Namen. Sie drehte sich auf ihrem Absatz herum, daß die weißen Röcke und


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[0621] so stark, daß man kaum fünf Schritt weit sehen konnte. Geradezu voll¬ gepfropft waren die Räume an vaterländischen Gedenktagen, die beim alten Schindler immer mit großem Nachdruck und lärmender Begeistrung begangen wurden. Das ganze Lokal war denn mit Fahnen und Kränzen geschmückt, und die Kellnerinnen erschienen in Weiß mit Blumen im Haar und schwarz- weiß-roten Schleifen und Schärpen- Die Dankesschreiben, die dem Wirte von hohen und höchsten Herrschaften für seine patriotische Gesinnung übersandt worden waren, hingen schön eingerahmt und geschmückt an den Wänden. Der erste April, dieser Lärm und diese Beleuchtung ^- das konnte nur die Feier vou Bismarcks Geburtstag sein. Ich trat also ein und fand an einem Tische neben der Thür noch ein bescheidnes Plätzchen. Mit einemmale wurde es still. Aller Augen waren nach der Mitte des Lokals gerichtet, wo sich der alte Schindler, ein kleiner, dicker Manu in Frack und weißer Halsbinde, auf einen Tisch geschwungen und Silentium für die Festrede ver¬ langt hatte. Ich kannte diese Art von Reden schon. Schindler trug alles mit gewaltigem Pathos und leidenschaftlichen Arm- und Beinbewegungen vor, verstand aber nicht das geringste von dem, was er sagte, denn die Reden waren ihm von Studenten zusammengesetzt worden, und er hatte alles wört¬ lich auswendig gelernt. Das war immerhin eine Leistung, wenn man bedenkt, daß derartige Reden absichtlich aus verwickelten cieervnianischen Perioden ge¬ baut waren, mit unendlich langen Sntzungeheuern, denen der Schwanz und der .Kopf fehlte. Mit unfreiwilliger Komik donnerte der vor Eifer schwitzende Redner diese Flut hochklingender, sinnlos aneinandergereihter Redewendungen heraus und erntete dafür bei den Gästen ein jubelndes Bravo uach dem andern. Oft waren lateinische, dem Redner natürlich ganz fremde Citate eingestreut, die weder zu Kaisers Geburtstag, noch zum Sedaufeste, noch zu irgend einem Gedenktage in irgend welcher Beziehung standen, denn sie stammten gewöhnlich aus Horazens Liebesoden oder enthielten irgend eine Zweideutigkeit. Denn jauchzte die ganze Gesellschaft vom ältesten Kanuuergerichtsrat bis zum jüngsten Semester vor Vergnügen. So war es denn anch heute. Ich gab aber auf die tolle Rede wenig acht, denn mich fesselte das Gesicht einer Kellnerin, das mir bekannt vorkam. Wo in aller Welt hatte ich das Mädchen schon gesehn? Ich sann und sann und konnte sie nicht unterbringen. Da huschte sie an mir vorbei und sagte zu einem ihrer Bekannten: Der Otte hat sich heute wieder ordentlich ein¬ geschossen. Ich sag Ihnen, er ist geladen wie 'ne Haubitze. Mit einem Schlage tauchte in mir die kleine Universitätsstadt und Pedell Papeudick auf. Ich sah die Kellnerin genauer an, und richtig! es konnte niemand anders sein, als das Lieschen ans der Wiesengasse. Ich rief ihren Namen. Sie drehte sich auf ihrem Absatz herum, daß die weißen Röcke und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/621>, abgerufen am 08.01.2025.