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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Gisenbahndeutsch

Ich Wünschte, ich könnte einmal in dieser Weise den Entwurf unsers
bürgerlichen Gesetzbuches durchackern. Es wäre das freilich eine Arbeit, die
Jahre in Anspruch nehmen würde, aber es lohnte der Mühe. Vor Gericht
gilt bekanntlich der Satz: Unkenntnis des Gesetzes schützt nicht vor Strafe.
Aber wie ist es denn, wenn jemand das Gesetz zwar kennt, aber nicht versteht?
Ich bin fest überzeugt, daß von der Ausrede: "Ich habe die und die Vorschrift
nicht verstanden" nur deshalb so wenig Gebrauch gemacht wird, weil die
Menschen viel lieber lasterhaft als lächerlich erscheinen; mit dem Bekenntnis,
etwas nicht verstanden zu haben, würden sie sich ja lächerlich machen. Ich
frage mich täglich, wenn ich Bekanntmachungen von Behörden, polizeiliche Ver¬
ordnungen u. tgi. lese: Wie soll das das arme Volk nur verstehen? Unser
einer hat ja schon zu kauen, um hinter den Sinn zu kommen! Alle Vor¬
schriften insbesondre, die sich auf unsre Verkehrsanstalten beziehen, müßten
sich schon um der Ausländer willen, die in Deutschland reisen, der einfachsten
und klarsten Ausdrucksweise befleißen und sich von allem Amtsstil losmachen.
Was soll sich ein Franzose unter einem "Bestätignngsvermerk" denken?

Es sind übrigens nicht bloß die "Besörderungsbediuguugen," die in diesem
schwülstigen und weitschweifigen Kanzleistil abgefaßt sind, auch die bahnpoli¬
zeilichen Vorschriften, die auf den Bahnhöfen und in deu Bahnwagen ange¬
schlagen sind, leiden daran. Da lautet z. B. ein Paragraph:

"Hunde und andre Tiere dürfen in den Personenwagen nicht mitgeführt
werden. Ausgenommen hiervon sind jedoch kleine Hunde, welche auf dem Schoße
getragen (!) werden, sofern (!) gegen deren Mitnahme von > warum nicht lieber
Seitens?! den Mitreisenden derselben (!) Wagenabteilnng (!) Einspruch nicht (!) er¬
hoben wird."

Auch hier dasselbe stelzfüßige Uudeutsch, dieselbe Belastung mit überflüs¬
sigen, selbstverständlichen Zusätzen. Oder sollte etwa die dritte "Wageu-
abteilung" etwas dagegen einzuwenden haben, wenn in der zweiten eine Dame
einen Pinscher auf dein Schoße "trägt"?

Diese polizeilichen Bestimmungen sind aber auch noch in anderm Sinne
in schlechtem Deutsch abgefaßt. Sie enthalten nämlich Borschriften, über deren
Durchführung zu wachen offenbar gar niemand die Absicht hat. Das ist aber
das schlechteste Deutsch, das man sich denken kann. In demselben Wagen
dritter Klasse, wo ich mir soeben den schönen Huudeparagraphen abgeschrieben!
hatte -- es war auf dem Bahnhof in E"" --, erschienen zwei Minuten
später acht Nimrods mit fünf, sage und schreibe fünf großen Jagdhunden, die
sich alle dreizehn gemütlich darin einrichteten, so gemütlich, daß ich daraus
sehn konnte: sie waren hier alle wie zu Hause. Das war mir denn doch
äußeren Spaß, ich stieg aus und suchte mir eine kleine,,Wagenabteilung," in
der an beiden Thüren inwendig angeschlagen stand: Rauchen verboten. Als
ich aber drin war, sah ich zu meinem Erstaunen zwei Herren sitzen, die un-


Gisenbahndeutsch

Ich Wünschte, ich könnte einmal in dieser Weise den Entwurf unsers
bürgerlichen Gesetzbuches durchackern. Es wäre das freilich eine Arbeit, die
Jahre in Anspruch nehmen würde, aber es lohnte der Mühe. Vor Gericht
gilt bekanntlich der Satz: Unkenntnis des Gesetzes schützt nicht vor Strafe.
Aber wie ist es denn, wenn jemand das Gesetz zwar kennt, aber nicht versteht?
Ich bin fest überzeugt, daß von der Ausrede: „Ich habe die und die Vorschrift
nicht verstanden" nur deshalb so wenig Gebrauch gemacht wird, weil die
Menschen viel lieber lasterhaft als lächerlich erscheinen; mit dem Bekenntnis,
etwas nicht verstanden zu haben, würden sie sich ja lächerlich machen. Ich
frage mich täglich, wenn ich Bekanntmachungen von Behörden, polizeiliche Ver¬
ordnungen u. tgi. lese: Wie soll das das arme Volk nur verstehen? Unser
einer hat ja schon zu kauen, um hinter den Sinn zu kommen! Alle Vor¬
schriften insbesondre, die sich auf unsre Verkehrsanstalten beziehen, müßten
sich schon um der Ausländer willen, die in Deutschland reisen, der einfachsten
und klarsten Ausdrucksweise befleißen und sich von allem Amtsstil losmachen.
Was soll sich ein Franzose unter einem „Bestätignngsvermerk" denken?

Es sind übrigens nicht bloß die „Besörderungsbediuguugen," die in diesem
schwülstigen und weitschweifigen Kanzleistil abgefaßt sind, auch die bahnpoli¬
zeilichen Vorschriften, die auf den Bahnhöfen und in deu Bahnwagen ange¬
schlagen sind, leiden daran. Da lautet z. B. ein Paragraph:

„Hunde und andre Tiere dürfen in den Personenwagen nicht mitgeführt
werden. Ausgenommen hiervon sind jedoch kleine Hunde, welche auf dem Schoße
getragen (!) werden, sofern (!) gegen deren Mitnahme von > warum nicht lieber
Seitens?! den Mitreisenden derselben (!) Wagenabteilnng (!) Einspruch nicht (!) er¬
hoben wird."

Auch hier dasselbe stelzfüßige Uudeutsch, dieselbe Belastung mit überflüs¬
sigen, selbstverständlichen Zusätzen. Oder sollte etwa die dritte „Wageu-
abteilung" etwas dagegen einzuwenden haben, wenn in der zweiten eine Dame
einen Pinscher auf dein Schoße „trägt"?

Diese polizeilichen Bestimmungen sind aber auch noch in anderm Sinne
in schlechtem Deutsch abgefaßt. Sie enthalten nämlich Borschriften, über deren
Durchführung zu wachen offenbar gar niemand die Absicht hat. Das ist aber
das schlechteste Deutsch, das man sich denken kann. In demselben Wagen
dritter Klasse, wo ich mir soeben den schönen Huudeparagraphen abgeschrieben!
hatte — es war auf dem Bahnhof in E"" —, erschienen zwei Minuten
später acht Nimrods mit fünf, sage und schreibe fünf großen Jagdhunden, die
sich alle dreizehn gemütlich darin einrichteten, so gemütlich, daß ich daraus
sehn konnte: sie waren hier alle wie zu Hause. Das war mir denn doch
äußeren Spaß, ich stieg aus und suchte mir eine kleine,,Wagenabteilung," in
der an beiden Thüren inwendig angeschlagen stand: Rauchen verboten. Als
ich aber drin war, sah ich zu meinem Erstaunen zwei Herren sitzen, die un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/612>, abgerufen am 06.01.2025.